Verwandlung im Teilchenzoo
Mit der Dreiecks-Singularität der starken Wechselwirkung auf der Spur.
Eine internationale Studie unter Federführung der Uni Bonn hat in Beschleuniger-Daten Hinweise auf einen lang gesuchten Effekt gefunden. Die „Dreiecks-Singularität“ beschreibt, wie Teilchen durch den Austausch von Quarks ihre Identität ändern und dabei ein neues Teilchen vortäuschen können. Der Mechanismus gibt auch neue Einblicke in ein Rätsel: Protonen, Neutronen und viele andere Teilchen sind viel schwerer, als man erwarten würde. Ursache sind Eigenheiten der starken Wechselwirkung, die die Quarks zusammenhält. Die Dreiecks-Singularität könnte dabei helfen, diese Eigenschaften besser zu verstehen.
Die Forscher analysierten in ihrer Studie Daten aus dem COMPASS-Experiment am europäischen Kernforschungszentrum CERN. Darin werden Pionen auf extrem hohe Geschwindigkeiten gebracht und auf Wasserstoff-Atome geschossen. Pionen bestehen aus einem Quark und einem Anti-Quark. Diese werden durch die starke Wechselwirkung zusammengehalten, die mit zunehmendem Abstand ansteigt.
Der Aufprall des Pions auf den Wasserstoff-Kern ist jedoch so stark, dass die Bindung aufreißt. Die in ihr gespeicherte Energie wird dabei auf einen Schlag frei. „Sie wird in Materie umgewandelt, wodurch neue Teilchen entstehen“, erklärt Bernhard Ketzer vom Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Uni Bonn. „Mit derartigen Experimenten können wir also wichtige Informationen über die starke Wechselwirkung gewinnen.“
Im Jahr 2015 registrierten die COMPASS-Detektoren nach einem solchen Crashtest ein ungewöhnliches Signal. Es schien darauf hinzudeuten, dass bei dem Zusammenprall für wenige Sekundenbruchteile ein exotisches neues Teilchen entstanden war. „Normalerweise bestehen Teilchen entweder aus drei Quarks oder aber aus einem Quark und einem Antiquark“, sagt Ketzer. „Dieser neue kurzlebige Zwischenzustand schien dagegen aus vier Quarks zu bestehen.“
Mit seiner Arbeitsgruppe, sowie Kollegen der TU München hat der Wissenschaftler die Daten einer neuen Analyse unterzogen. „Dabei konnten wir zeigen, dass sich das Signal auch anders erklären lässt — nämlich durch die Dreiecks-Singularität“, so Ketzer. Dieser Mechanismus wurde bereits in den 1950er Jahren vom russischen Physiker Lew Dawidowitsch Landau postuliert, bislang aber noch nicht direkt nachgewiesen.
Demnach entstand bei der Teilchenkollision keineswegs ein Vierer-Quark, sondern ein ganz normales Quark-Antiquark-Zwischenprodukt. Dieses zerfiel aber direkt wieder, allerdings auf ungewöhnliche Weise: „Dabei tauschten die beteiligten Partikel Quarks aus und änderten ihre Identität“, sagt Ketzer. „Das resultierende Signal sieht dann exakt so aus wie das von einem Vierer-Quark mit einer anderen Masse.“ Es ist das erste Mal, dass eine solche Dreiecks-Singularität direkt als vermeintliches neues Teilchen in diesem Massenbereich nachgewiesen wurde. Interessant ist das Ergebnis auch deshalb, weil es neue Einblicke in die Natur der starken Wechselwirkung erlaubt.
Protonen, Neutronen, Pionen und andere Hadronen haben eine Masse, die ihnen durch den Higgs-Mechanismus verliehen wird – aber offensichtlich nicht ausschließlich. Denn ein Proton ist etwa zwanzig Mal massereicher, als man es allein mit dem Higgs-Mechanismus erklären kann. „Der Großteil der Masse der Hadronen kommt durch die starke Wechselwirkung zustande“, erklärt Ketzer. „Wie genau die Massen der Hadronen zustande kommen, ist allerdings noch nicht geklärt. Unsere Daten helfen uns, die Eigenschaften der starken Wechselwirkung besser zu verstehen - und vielleicht auch, auf welche Weise sie zur Masse von Teilchen beiträgt.“
Uni Bonn / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
G. D. Alexeev et.al.: Triangle singularity as the origin of the a1(1420), Phys. Rev. Lett. 127, 082501 (2021); DOI: 10.1103/PhysRevLett.127.082501 - Experimentelle Hadronenphysik, Teilchendetektoren, Instrumentierung (B. Ketzer), Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik, Universität Bonn