28.01.2014

Verzahntes Glas

Lasergeschriebene Mikrostrukturen nach natürlichem Vorbild erhöhen die Festigkeit von Gläsern enorm.

Wem schon einmal eine Porzellantasse auf Steinboden gefallen ist, weiß vermutlich um die Sprödigkeit dieses an sich sehr harten Materials. In der Materialforschung sind Härte und Dehnbarkeit üblicherweise Antagonisten. Stähle werden zunehmend spröder, je härter sie werden. In der Natur gibt es jedoch einige Stoffe, die diesem Zusammenhang zu spotten scheinen. Muschelschalen sind sowohl hart als auch zäh. Gleiches gilt für den Zahnschmelz: Zähne zerspringen nicht, sondern zeigen meist nur oberflächliche Risse, die nicht den ganzen Zahn durchziehen. Diese Materialien sind deshalb für die Bionik von hohem Interesse und haben kanadische Forscher nun zur Herstellung ultrastabiler Gläser inspiriert, deren Belastbarkeit um einen Faktor 200 erhöht ist.

Abb.: Die beiden miteinander verzahnten Stücke sorgen für eine enorme Zähigkeit, die ein geeigneter Klebstoff noch verstärkt. (Bild: M. Mirkhalaf et al.)

Wie Aufnahmen mit Elektronenmikroskopen zeigen, ist die Mikrostruktur natürlicher Materialien für deren besondere Eigenschaften verantwortlich. Die große Härte erhalten sie – wie auch die meisten künstlichen harten Stoffe – durch einen sehr hohen Anteil an Mineralien von bis zu 95 Prozent. Ihre Zähigkeit stammt jedoch daher, dass sie dank ihrer Struktur auftretende Spannungsspitzen besser im Volumen verteilen und auftretende Risse stoppen können, bevor diese sich zu sehr aufweiten können. Der scheinbar glatte Zahnschmelz etwa besteht aus spaghettiförmigen Bändern von hochfesten Kristallfasern, die untereinander verästelt sind. Dies reduziert die Härte zwar ein wenig, verringert aber die Sprödigkeit deutlich und macht die Zähne dadurch sehr viel zäher.

François Barthelat und seine Kollegen von der McGill University in Montreal haben dieses Prinzip auf Borosilikatgläser übertragen, wie sie als Behältnisse in Laboren gängig sind. Sie prüften die Zähigkeit und Dehnbarkeit von rechteckigen Glasscheibchen, die 150 Mikrometer dick waren und 22 auf 40 Millimeter maßen. Mit Hilfe eines gepulsten Ultraviolett-Lasers prägten sie verschiedene Muster in die Glasscheibchen.

In solchen Gläsern unterliegt das Laserlicht von 355 Nanometern Wellenlänge nur einer geringen Absorption und führt unfokussiert nicht zu strukturellen Veränderungen. Im Brennpunkt ist die entstehende Hitze jedoch groß genug, um aufgrund der thermalen Ausdehnung radiale Mikrorisse hervorzurufen. Diese erstrecken sich nur über sehr kurze Distanzen, da die Spannung im Glas jenseits des Brennpunktes sehr schnell abnimmt. Die Forscher konnten so innerhalb kurzer Zeit komplexe Muster mit Tausenden von Defekten in Submikrometer-Auflösung in das Glas prägen. Sie benötigten eine Laserleistung von 35 Milliwatt, um Mikrorisse von etwa 7 Mikrometern zu erzeugen. Die Rissgröße stieg dann proportional mit der Laserleistung, bis sie bei etwa 140 Milliwatt ein Plateau von rund 25 Mikrometern erreichte.

„Einen Werkstoff zäher zu machen, indem man Schwachstellen einbaut, scheint zunächst widersprüchlich“, berichtet Barthelat. „Aber in natürlichen Materialien scheint dies eine universelle und mächtige Strategie zu sein.“ Der Clou lag in der besonderen Anordnung der Mikrorisse. Wie vermutet als weniger effektiv erwiesen sich Zickzack-Muster. Als außerordentlich stabil hingegen stellten sich abgerundete wellenförmige Strukturen heraus.

Die Forscher nahmen sich hierfür Perlmutt zum Vorbild, das eine beträchtliche Zähigkeit besitzt. In diesem Naturstoff liegen winzige mineralische Scheiben vor, die sich wechselseitig überdecken und dadurch auftretende Spannungen über einen großen Raumbereich verteilen. Die Wellenmuster in den Borosilikatscheibchen führten zum selben Effekt. Je nachdem, wie stark sie die Verzahnung wählten, konnten die Forscher die Zähigkeit um bis zu über das Hundertfache erhöhen. Die Dehnbarkeit vor Bruch erhöhte sich um gut einen Faktor zwanzig.

Abb.: Muschelschalen sind trotz der Zerbrechlichkeit ihrer Bestandteile extrem widerstandsfähig. Das neuartige Glas ist deshalb ähnlich wie Perlmutt strukturiert. (Bild: F. Barthelat)

Um die Belastbarkeit der Gläser weiter zu steigern, testeten die Forscher auch verschiedene Klebstoffe, die sie in die Mikrostrukturen einsickern ließen. Als besonders wirksam erwies sich Polyurethan, das die Widerstandskraft nochmals um mehr als das Anderthalbfache erhöhen konnte. Damit stieg die Zähigkeit insgesamt um mehr als Zweihundertfache. Andere Klebstoffe erwiesen sich jedoch als weniger geeignet: Wie die Forscher feststellten, müssen Glas und Kleber in ihren Eigenschaften gut zueinander passen. Polymethylsiloxan etwa erwies sich als zu schwach, um nennenswerten Einfluss auf die Festigkeit zu haben. Cyanoacrylat – von Kriminaltechnikern genutzt, um Fingerabdrücke sichtbar zu machen – war jedoch zu stark und zu spröde: Er führte dazu, dass die Risse sich nicht mehr entlang der eingravierten Muster ausbreiteten, wodurch das Ergebnis sich sogar verschlechterte.

Gegenwärtig liegt die Größe der Mikrostrukturen noch im Bereich von Millimetern. In Zukunft, vermuten die Forscher, könnten sich mit Hilfe von Femtosekundenlasern Muster bis in den Mikro- oder Nanometerbereich hinunter erzeugen lassen. Gemäß den Skalengesetzen der Natur sollte dies zu noch stabileren Materialien führen.

Dirk Eidemüller

OD

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