07.03.2019

Virtueller Lärm

Komplexe Simulationen von Zuggeräuschen sollen besseren Lärmschutz ermöglichen.

Eisenbahnlärm stört. Vor allem in der Nähe von Wohngebieten sorgen Züge regelmäßig für schlaflose Nächte. Umso wichtiger ist es, Züge und Schienen so zu optimieren, dass Geräusche gedämmt werden. Empa-Forscher haben eine Computersimulation entwickelt, die realitätsgetreu aufzeigt, wie Bahnlärm entsteht und welche technischen Maßnahmen zielführend sind, ihn zu verhindern.

Abb.: Simulierter Zugglärm: Was der Zuhörer als Lärm wahrnimmt, ist in...
Abb.: Simulierter Zugglärm: Was der Zuhörer als Lärm wahrnimmt, ist in Wahrheit eine Kombi­nation zahlreicher Einzel­geräusche. (Bild: Empa)

„Lärm besteht aus verschiedenen Bestandteilen“, erklärt Reto Pieren von der Empa-Abteilung „Akustik und Lärmminderung“, verantwortlich für die Programmierung der Simulation, die ein Team von Empa-Forschern in einem Horizon2020-Projekt der EU entwickelte. „Die Räder, die Schienen, die Lüftung, der Motor – alles erzeugt Geräusche und verursacht als Ganzes dann die Lärmemission des Zuges.“ In anderen Worten: Pieren hat für die über hundert Geräuschquellen eines fahrenden Zuges einzelne Algorithmen entwickelt. Das ermöglicht es, den Zug als Ganzes hörbar zu machen oder aber nur einzelne Komponenten.

Nebst den diversen Geräuschquellen eines fahrenden Zuges integriert er außerdem Umwelteinflüsse in seine Berechnungen. Dazu gehören Lärm­schutzwände, Fahr­geschwindigkeit, Zustand der Gleise, Außen­temperatur und sogar die Beschaffenheit des Bodens. Ziel der Simulation ist es, nicht nur Optimierungs­potenzial bestehender Zugkom­positionen aufzuzeigen, sondern in Zukunft auch Voraussagen treffen zu können, wie beispielswiese neue Räder oder Bauteile den Lärm einer Bahnlinie verändern würden.

Die Simulation der Empa ist einzigartig, denn bisherige Programme verwenden echte Tonaufnahmen. Pieren jedoch hat die einzelnen Geräusche am Computer hergestellt. Dabei wird für jede Zug­komponente unter Berücksichtigung der physikalischen Parameter das entsprechende akustische Signal berechnet. Physikalische Parameter heißt in diesem Fall Eigenschaften wie die Oberflächen­beschaffenheit und das Material der Gleise und der einzelnen Räder. Diese Grundparameter stammen dabei aus eigenen Messungen, Messungen von Fahrzeug­herstellern und Simulations­rechnungen und werden in die Simulation eingespeist. Aus diesen Daten berechnet der Algorithmus den abgestrahlten Schalldruck, aus dem wiederum das Geräusch bei einem bestimmten Zuhörerpunkt simuliert wird.

Beim Rollgeräusch wird auch das Bremssystem der Wagen mit einberechnet. „Dahinter verbergen sich Datensätze, die die Oberflächen­mikrostruktur der Räder beschreiben. So wird für jedes Rad eine individuelle Oberflächen­struktur berechnet“, erklärt Pieren. Diese Oberflächen­struktur ist maßgeblich an der entstehenden Reibung mit den Geleisen und somit an der Schall- respektive Lärmentwicklung beteiligt. Je weniger Unebenheiten die Oberfläche der Räder und der Gleise aufweisen, umso leiser das Fahrgeräusch.

Wie ein Anwohner diesen Lärm allerdings wahrnimmt, hängt maßgeblich von der lokalen Umgebung und der Schallausbreitung ab. Schall erfährt bei der Ausbreitung diverse Veränderungen. Er wird durch Luft absorbiert, was dazu führt, dass hohe Frequenzen stärker gedämpft werden als tiefe. Ähnliches passiert bei einer Lärmschutzwand: Hohe Frequenzen sind hinter der Wand tatsächlich weniger laut, tiefe Töne werden jedoch über die Wand gebeugt. Diese zentralen Faktoren können in der Simulation ebenfalls nachgestellt werden, ebenso wie der Standort des Zuhörers – von dem die eigentliche akustische Wahrnehmung des Lärms abhängt.

Den künstlich erzeugten Lärm hat Pieren mit Probanden in einem Hörexperiment überprüft. Erfreulicherweise zeigte sich, dass die Probanden die Simulationen und die künstlich generierten Geräusche als sehr plausibel einstuften. Mit der Simulation lassen sich also Auswirkungen von unter­schiedlichen Maßnahmen hörbar machen. Beispielsweise lässt Pieren die Simulation laufen, platziert im Anschluss eine Schall­schutzwand und lässt erneut einen Zug vorbeifahren. „Wenn wir sagen, eine Maßnahme reduziert den Geräuschpegel um drei Dezibel, können sich die wenigsten vorstellen, was das bedeutet. Wenn ich diese drei Dezibel im direkten Vergleich aber hörbar mache, ist der Effekt sofort klar.“ Die Simulation soll in Zukunft helfen, wichtige Entscheidungen bezüglich Bau und Ausbau von Bahnlinien und Zügen zu unterstützen. Davon profitieren langfristig Bahnbetreiber, Planer und vor allem die Anwohner.

Empa / JOL

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