01.02.2017

Void schubst Milchstraße

Große unterdichte Region liefert substanziellen Beitrag zur Eigen­ge­schwin­dig­keit der lokalen Gruppe.

Ruhig und gelassen scheint unsere Milchstraße durch die Weiten des Alls zu gleiten, im Verbund mit einer Reihe anderer Galaxien, die zur lokalen Gruppe gehören. Misst man jedoch die Geschwin­digkeit relativ zum kosmischen Mikro­wellen­hinter­grund, so wird schnell klar, dass wir recht zügig unter­wegs sind: Rund 630 Kilo­meter pro Sekunde oder rund zwei Milli­onen Kilo­meter pro Stunde hat unsere lokale Gruppe auf dem Tacho. Wie astro­no­mische Kartie­rungen zeigen, bewegen wir uns dabei grob in die Richtung des großen Attrak­tors – eines Galaxien-Super­haufens und einer der masse­reich­sten Struk­turen im Universum.

Abb.: Der Dipole Repeller rechts oben drückt auf die Galaxien in unserer Umge­bung, während der Shapley-Attrak­tor gravi­ta­tiven Zug ausübt. (Bild: Y. Hoffman et al.)

Lange gingen Astrophysiker davon aus, dass die gravitative Anziehung des großen Attrak­tors, der in etwa 150 bis 250 Milli­onen Licht­jahren Entfer­nung liegt, für die Geschwin­digkeit der lokalen Gruppe verant­wort­lich sei. Ana­lysen der Bewegung von Galaxien zeigten jedoch, dass sich in deut­lich größerer Entfer­nung hinter dem großen Attrak­tor noch eine weitere riesige Struk­tur befindet, der Shapley-Super­haufen. Dieser liegt in einer Distanz von etwa 700 Milli­onen Licht­jahren und ist die größte bekannte Konzen­tra­tion von Galaxien in dieser Entfer­nung von der Milch­straße.

Wenn man nun die Geschwindigkeitsverteilung der bekannten Galaxien und Galaxien­haufen und ihre gravi­ta­tive Wirkung auf­ein­ander ver­gleicht, würde man erwarten, dass der Geschwin­dig­keits­vektor unserer lokalen Gruppe mehr oder weniger in Richtung dieser Super­haufen zeigt. Drei­dimen­sio­nale Dar­stel­lungen mit einge­tra­genen Geschwin­dig­keits­vek­toren zeichnen jedoch ein komple­xeres Bild: Galaxien-Super­haufen wie die Shapley-Konzen­tra­tion sind durchaus „Senken” in einem solchen Bild – bei statis­tischen Ana­lysen offen­baren sich jedoch auch „Quellen”, die ähn­lich wie das Feld eines Magneten absto­ßende Wirkung haben kann. Solche Quellen sind Regionen unter­durch­schnitt­licher Dichte im All, auf Englisch „Voids”.

Ein internationales Team von Astronomen um Yehuda Hoffman von der Hebrew Univer­sity of Jeru­salem hat nun dank einer umfang­reichen Ana­lyse von Galaxien­geschwin­dig­keiten einen Void aus­machen können, der anschei­nend großen Ein­fluss auf die Bewe­gung der lokalen Gruppe hat. Wie die Daten, die unter anderem mit Hilfe hoch­auf­ge­löster Auf­nahmen des Hubble-Welt­raum­tele­skops gewonnen wurden, zeigen, befindet sich diese Region von der Milch­straße aus gesehen unge­fähr in ent­gegen­ge­setzter Rich­tung wie die Shapley-Konzen­tra­tion. Auf­grund der Ähn­lich­keit des Fluss­bildes der Galaxien­geschwin­dig­keiten mit dem Feld eines Stab­mag­neten haben die Forscher dieses Void den „Dipole Repeller” getauft.

Diese Region ist bislang nicht sonderlich gut kartiert. Das liegt auch daran, dass ange­sichts der geringen Materie­dichte dort wenig leuch­tende Objekte auf­treten. Aller­dings hatten frühere Beob­ach­tungs­pro­gramme, vor allem im Röntgen­bereich, bereits auf eine unter­durch­schnitt­lich dichte Region hinge­wiesen, die sich am Ort des jetzt iden­tifi­zierten Dipole Repellers befindet. Auch andere Ana­lysen hatten bereits vermuten lassen, dass min­des­tens ein kos­mischer Void die lokale Gruppe in Rich­tung der Shapley-Konzen­tra­tion „schubst”. Mit der neuen Studie von Hoff­man und Kolle­gen wird nun aller­­dings klar, dass es sich ver­mut­­lich nur um einen großen Void handelt, der sich zudem noch relativ gut loka­li­­sieren lässt und in Zukunft zum Ziel von Beob­ach­tungs­kampagnen werden dürfte.

Die große Überraschung liegt nicht zuletzt darin, dass der absto­ßende Ein­fluss des Dipole Repellers sogar einen grö­ßeren Beitrag zum Geschwin­dig­keits­vektor der Milch­straße und ihrer Nach­bargala­xien haben könnte als der gravi­ta­tive Zug des Shapley-Super­haufens. Das lässt sich mit den nun vor­lie­genden Daten zwar noch nicht klar ent­scheiden, aber es gibt einen ein­deu­tigen Hin­weis auf die Bedeu­tung des Dipole Repellers: Der Geschwin­dig­keits­vektor der Milch­straße zeigt ziem­lich ein­deutig in direkter Linie weg vom Dipole Repeller und nicht direkt hin zur Shapley-Konzen­tra­tion.

Insgesamt gehen die Forscher davon aus, dass die abstoßende Wirkung von Voids und die anzie­hende Wirkung von Galaxien-Konzen­tra­tionen sich unge­fähr die Waage halten dürften und beide auch etwa gleich häufig auf­treten. Aller­dings sind die Voids schwerer zu identi­fi­zieren und zu kartieren. Vor allem von kommenden Beob­ach­tungs­pro­grammen im optischen, Infra­rot- und Radio­bereich, die mit Hilfe der Rot­ver­schie­bung einen tieferen Ein­blick in die Ver­tei­lung von Galaxien und ihrer Geschwin­dig­keiten liefern werden, erhoffen sich die Astro­nomen hier wichtige Erkennt­nisse.

Dirk Eidemüller

RK

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