Vom Atmen der Meere
Nachweis einzelner Argon-Atome ermöglicht Altersbestimmung von ozeanischem Tiefenwasser.
Das Alter des Wassers in den Weltmeeren ist entscheidend für das Verständnis der Ozeanzirkulation, insbesondere für den Transport von Gasen aus der Atmosphäre in den tiefen Ozean. Forscher der Universität Heidelberg haben jetzt eine von ihnen entwickelte Technik aus der Atomphysik eingesetzt, um das Alter von ozeanischem Tiefenwasser in der Zeitspanne von fünfzig bis tausend Jahren zu bestimmen. Diese neue Datierungsmethode, bei der einzelne Argon-Atome gemessen werden, kam in einer Pilotstudie im Nordatlantik zum Einsatz. Die Untersuchungen sind Teil eines interdisziplinären Projekts mit Ozeanographen des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel.
Die Durchmischung der Weltmeere ist von großer Bedeutung für das Leben im Ozean ebenso wie für das globale Klimasystem. Neben der Frage, wie das Tiefenwasser mit frischem Sauerstoff versorgt wird, ist es für Prognosen des zukünftigen Klimas wichtig zu wissen, wie rasch und in welchen Mengen die Weltmeere das menschengemachte Treibhausgas CO2 aus der Luft aufnehmen. Dazu muss man das Alter des Tiefenwassers kennen. Wie lange dauert es, bis Wasser von der Oberfläche an einen bestimmten Ort im Inneren der Ozeane vordringt? Für Aufenthaltszeiten von bis zu etwa fünfzig Jahren gibt es mehrere Methoden der Altersbestimmung. Für älteres Wasser – und damit für den Großteil des Ozeans – stand bisher jedoch keine optimale Messmethode zur Verfügung, wie die Heidelberger Forscher betonen.
Für eine Altersdatierung wird das seltene radioaktive Isotop Ar-39 des Edelgases Argon genutzt. Aufgrund seiner Halbwertszeit von 269 Jahren ist es besonders geeignet für den Bereich von fünfzig bis tausend Jahren. Diese Zeitspanne ist entscheidend, um das Vordringen von Oberflächenwasser in die Tiefe des Ozeans zu verstehen. Allerdings ist gerade einmal ein Atom von einer Billiarde Argon-Atomen in der Luft und im Oberflächenwasser das gesuchte Radioisotop. Wieviele dieser Isotope sind noch nachweisbar in Tiefenwasser, das lange nicht mehr in Kontakt mit der Luft stand? Diese Frage ließ sich bisher nur mit enormem Aufwand und riesigen Probenmengen beantworten. Die Heidelberger Forscher haben nun eine fundamental neue Messmethode, die Atom Trap Trace Analysis (ATTA), speziell für Ar-39 weiterentwickelt.
Der Forschungsgruppe von Markus Oberthaler am Kirchhoff-Institut für Physik gelang es mithilfe von ATTA, die Probengröße für eine Altersbestimmung von mindestens tausend auf fünf Liter Wasser zu reduzieren. „Anders als bei herkömmlichen Methoden warten wir nicht auf den spontanen Zerfall des Isotops, um dieses dann zu erfassen, sondern bremsen die Atome mit moderner Lasertechnik ab, fangen sie in Atomfallen und zählen selektiv einzelne Atome“, erklärt Sven Ebser, der Erstautor der Studie. Dabei machen sich die Physiker zunutze, dass jedes Isotop auf minimal unterschiedliches Laserlicht reagiert. Dieser geringe Effekt in der Wellenlänge reicht aus, um die gewünschten Ar-39-Atome zu „manipulieren“ und zu detektieren, während alle anderen Atome ungehindert und unbeachtet die Atomfalle passieren können.
„Erst durch die grundlegende Reduktion der Probengröße wird die Ar-39-Methode für unsere Untersuchungen verfügbar“, erläutert der Ozeanograph Toste Tanhua vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung. Damit können die Forscher wesentlich genauer bestimmen, wann eine Wasserprobe das letzte Mal im Austausch mit der Atmosphäre stand, wie die Pilotstudie nahe der Kapverdischen Inseln gezeigt hat. Dies ermöglicht neue Einblicke in den Transport von Spurenstoffen im Ozean. So hat sich gezeigt, dass im Untersuchungsgebiet in Wassertiefen zwischen 1.000 und 2.000 Metern deutlich weniger Durchmischung auftritt als angenommen. Daraus lässt sich berechnen, dass mehr CO2 als bislang gedacht aus der Atmosphäre aufgenommen wird. „Ich bin mir sicher, dass ein weltumspannender Ar-39-Datensatz zu ganz neuen Erkenntnissen über die Ozeanzirkulation und das ,Atmen‘ der Weltmeere führen wird“, betont Tanhua.
„Nicht nur die Ozeanforschung, sondern auch die Grundwasser- und Eisforschung wird von der neuen Messmethode profitieren“, sagt Werner Aeschbach vom Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg. Nach den Worten von Oberthaler ist das Projekt ein hevorragendes Beispiel dafür, wie Grundlagenforschung in der Atomphysik zu Erkenntnissen in Gebieten führen kann, die damit zunächst gar nicht in Verbindung gebracht werden.
U. Heidelberg / DE