04.01.2019

Vom Atmen der Meere

Nachweis einzelner Argon-Atome ermöglicht Altersbestimmung von ozeanischem Tiefenwasser.

Das Alter des Wassers in den Welt­meeren ist entscheidend für das Verständnis der Ozean­zirkulation, insbesondere für den Transport von Gasen aus der Atmo­sphäre in den tiefen Ozean. Forscher der Universität Heidelberg haben jetzt eine von ihnen entwickelte Technik aus der Atom­physik eingesetzt, um das Alter von ozeanischem Tiefen­wasser in der Zeit­spanne von fünfzig bis tausend Jahren zu bestimmen. Diese neue Datierungs­methode, bei der einzelne Argon-Atome gemessen werden, kam in einer Pilot­studie im Nord­atlantik zum Einsatz. Die Unter­suchungen sind Teil eines inter­disziplinären Projekts mit Ozeano­graphen des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozean­forschung Kiel.

Abb.: Die neue Messmethode ermöglicht die schnelle Datierung von ozeanischem...
Abb.: Die neue Messmethode ermöglicht die schnelle Datierung von ozeanischem Tiefenwasser. (Bild: S. Ebser et al., Springer Nature)

Die Durchmischung der Welt­meere ist von großer Bedeutung für das Leben im Ozean ebenso wie für das globale Klima­system. Neben der Frage, wie das Tiefen­wasser mit frischem Sauer­stoff versorgt wird, ist es für Prognosen des zukünftigen Klimas wichtig zu wissen, wie rasch und in welchen Mengen die Welt­meere das menschen­gemachte Treib­haus­gas CO2 aus der Luft auf­nehmen. Dazu muss man das Alter des Tiefen­wassers kennen. Wie lange dauert es, bis Wasser von der Ober­fläche an einen bestimmten Ort im Inneren der Ozeane vordringt? Für Aufenthalts­zeiten von bis zu etwa fünfzig Jahren gibt es mehrere Methoden der Alters­bestimmung. Für älteres Wasser – und damit für den Groß­teil des Ozeans – stand bisher jedoch keine optimale Mess­methode zur Verfügung, wie die Heidel­berger Forscher betonen.

Für eine Altersdatierung wird das seltene radio­aktive Isotop Ar-39 des Edel­gases Argon genutzt. Aufgrund seiner Halb­werts­zeit von 269 Jahren ist es besonders geeignet für den Bereich von fünfzig bis tausend Jahren. Diese Zeit­spanne ist entscheidend, um das Vordringen von Ober­flächen­wasser in die Tiefe des Ozeans zu verstehen. Aller­dings ist gerade einmal ein Atom von einer Billiarde Argon-Atomen in der Luft und im Ober­flächen­wasser das gesuchte Radio­isotop. Wieviele dieser Isotope sind noch nach­weisbar in Tiefen­wasser, das lange nicht mehr in Kontakt mit der Luft stand? Diese Frage ließ sich bisher nur mit enormem Aufwand und riesigen Proben­mengen beantworten. Die Heidelberger Forscher haben nun eine fundamental neue Mess­methode, die Atom Trap Trace Analysis (ATTA), speziell für Ar-39 weiterentwickelt.

Der Forschungsgruppe von Markus Oberthaler am Kirchhoff-Institut für Physik gelang es mithilfe von ATTA, die Proben­größe für eine Alters­bestimmung von mindestens tausend auf fünf Liter Wasser zu reduzieren. „Anders als bei herkömmlichen Methoden warten wir nicht auf den spontanen Zerfall des Isotops, um dieses dann zu erfassen, sondern bremsen die Atome mit moderner Laser­technik ab, fangen sie in Atom­fallen und zählen selektiv einzelne Atome“, erklärt Sven Ebser, der Erst­autor der Studie. Dabei machen sich die Physiker zunutze, dass jedes Isotop auf minimal unterschiedliches Laser­licht reagiert. Dieser geringe Effekt in der Wellen­länge reicht aus, um die gewünschten Ar-39-Atome zu „manipulieren“ und zu detektieren, während alle anderen Atome ungehindert und unbeachtet die Atom­falle passieren können.

„Erst durch die grund­legende Reduktion der Proben­größe wird die Ar-39-Methode für unsere Untersuchungen verfügbar“, erläutert der Ozeano­graph Toste Tanhua vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozean­forschung. Damit können die Forscher wesentlich genauer bestimmen, wann eine Wasser­probe das letzte Mal im Austausch mit der Atmo­sphäre stand, wie die Pilot­studie nahe der Kapverdischen Inseln gezeigt hat. Dies ermöglicht neue Einblicke in den Transport von Spuren­stoffen im Ozean. So hat sich gezeigt, dass im Untersuchungs­gebiet in Wasser­tiefen zwischen 1.000 und 2.000 Metern deutlich weniger Durch­mischung auftritt als angenommen. Daraus lässt sich berechnen, dass mehr CO2 als bislang gedacht aus der Atmosphäre aufgenommen wird. „Ich bin mir sicher, dass ein welt­umspannender Ar-39-Daten­satz zu ganz neuen Erkenntnissen über die Ozean­zirkulation und das ,Atmen‘ der Welt­meere führen wird“, betont Tanhua.

„Nicht nur die Ozeanforschung, sondern auch die Grund­wasser- und Eis­forschung wird von der neuen Mess­methode profitieren“, sagt Werner Aesch­bach vom Institut für Umwelt­physik der Universität Heidel­berg. Nach den Worten von Oberthaler ist das Projekt ein hevor­ragendes Beispiel dafür, wie Grund­lagen­forschung in der Atom­physik zu Erkenntnissen in Gebieten führen kann, die damit zunächst gar nicht in Verbindung gebracht werden.

U. Heidelberg / DE

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