04.06.2010

Vom Bierkeller zum Beschleuniger

In Dresden reifen Pläne für ein neues Untergrundlabor.

 

Physik Journal – In Dresden reifen Pläne für ein neues Untergrundlabor.

Wenn Physiker in den Untergrund gehen, dann meist mit den besten Absichten. Ihnen geht es darum, grundlegende Fragen der Physik zu beantworten wie: Besteht die ominöse Dunkle Materie aus bislang hypothetischen Teilchen, die nur äußerst selten mit Materie in Wechselwirkung treten? Wie laufen einige Kernreaktionen ab, die für die Synthese chemischer Elemente in Sternen und Supernova-Explosionen essenziell sind? An der Erdoberfläche lassen sich diese Fragen angesichts des ständigen „Trommelfeuers“ der kosmischen Strahlung nicht beantworten. Einen Ausweg bieten aber Experimente unter Tage wie in dem weltgrößten Untergrundlabor, das sich im Straßentunnel von Gran Sasso in den italienischen Abruzzen befindet. Angesichts der dort knappen Kapazitäten haben zahlreiche europäische Experten Ende April in Dresden den Vorschlag diskutiert, im ehemaligen Eiskeller einer Dresdner Brauerei ein Labor für ein spezifisches Forschungsprogramm einzurichten.

Bild: Hinter diesem Tor befindet sich der ehemalige Eiskeller einer Dresdner Brauerei, in dem ein Untergrundbeschleuniger errichtet werden soll.

Den Initiatoren dieses Vorschlags, Daniel Bemmerer vom Forschungszentrum Dresden-Rossendorf sowie Kai Zuber von der TU Dresden, schwebt vor, in diesem „Felsenkeller“, der bereits seit 1982 als Radioaktivitäts-Messlabor genutzt wird, zusätzlich einen Beschleuniger für Protonen und α-Teilchen mit einer Energie von bis zu 3 MeV zu installieren. Damit ließen sich zum einen Reaktionen des Wasserstoffbrennens in der Sonne untersuchen. Zum anderen erhoffen sich die Physiker auch neue Erkenntnisse über die astrophysikalischen r- und s-Prozesse, die in einigen Jahren auch an der neuen Großforschungsanlage FAIR in Darmstadt untersucht werden sollen. Bei diesen schnellen (rapid) oder langsamen (slow) Prozessen entstehen in Supernovae bzw. Sternen sukzessive schwere Elemente durch Neutroneneinfang. Die Reaktionen, welche die dafür benötigten Neutronen zur Verfügung stellen, sind bislang aber nicht genau genug verstanden.

Im Gran Sasso betreibt die LUNA-Kollaboration bereits seit Jahren einen Beschleuniger für ähnliche Untersuchungen, allerdings nur mit einer Energie von bis zu 400 keV. Im Prinzip wäre dieses Labor auch prädestiniert, um einen größeren Beschleuniger aufzunehmen. Damit dieser die Suche der dort vorhandenen Experimente nach Dunkler Materie oder extrem seltenen Ereignissen wie dem neutrinolosen doppelten Betazerfall nicht stört, käme allerdings nur eine „tote Ecke“ als Standort infrage. „Dort müsste ein anderes Experiment weichen. Daher kommt die Idee eines größeren Beschleunigers im Gran Sasso seit 2004 nicht richtig voran“, bedauert Bemmerer. Alternativ ließe sich ein 3-MeV-Beschleuniger auch in einem Eisenbahntunnel bei Canfranc in den Pyrenäen oder einer Mine bei Boulby in England errichten. Im Gegensatz zu diesen drei Standorten ist im Felsenkeller die abschirmende Gesteinsschicht nur 45 Meter mächtig. Eine spezielle Elektronik erlaubt es jedoch, Störsignale durch die in dieser Tiefe noch vorhandenen Myonen zu unterdrücken, sodass „wir nur ein Faktor drei schlechter sind als das 1400 Meter tiefe Gran Sasso-Labor“, sagt Zuber. Im Gegenzug zu den Alternativen würde der Felsenkeller aber von der unmittelbaren Nähe zu Universität und Forschungszentrum sowie dem wissenschaftlichen Umfeld profitieren.

Derzeit bereitet das europäische Kernphysik-Komitee NuPECC einen „Long Range Plan“ vor, der auch ein Kapitel zur Kernastrophysik enthalten wird. „Höchstwahrscheinlich empfiehlt die NuPECC, in Europa zwei neue Untergrundbeschleuniger zu errichten“, ist Zuber überzeugt. Dies soll sicherstellen, dass Europa seine weltweit führende Position in der niederenergetischen Kernastrophysik nicht an Amerika verliert. Angesichts des großen Interesses an den Dresdner Plänen, das sich bei dem Workshop gezeigt hat, versuchen die Initiatoren nun, zwei Millionen Euro für einen Beschleuniger „von der Stange“ sowie die notwendigen Baumaßnahmen aufzutreiben. Gelingt dies, könnten sich ab 2012 Wissenschaftler aus ganz Europa um Strahlzeit bewerben und dann in einem der Stollen forschen, in denen heute noch Wurstdärme lagern oder Lkws parken.

Stefan Jorda

Quelle: Physik Journal, Juni 2010, S. 10

 AH

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