Vom Seebeben zum Tsunami
Autonome Oberwasserfahrzeuge messen Verschiebungen in den Subduktionszonen zentimetergenau.
Verschiebungen zwischen kontinentalen und ozeanischen Platten am Meeresgrund erzeugen die stärksten Erderschütterungen und die gefährlichsten Tsunamis überhaupt. Wie und wann sie entstehen, wurde bisher jedoch kaum verstanden, da der Meeresboden für Messungen schwer zugänglich ist. Ein internationales Forschungsteam, an dem auch James Foster vom Geodätischen Institut der Universität Stuttgart beteiligt war, konnte dank neuer Technologien in einem Seebebengebiet vor Alaska erstmals zentimetergenaue Messungen durchführen.
Das Chignik Erdbeben am 28. Juli 2021 ereignete sich 32 Kilometer unter dem Meeresboden vor der Küste Alaskas und war mit einer Magnitude von 8,2 das siebstärkste Erdbeben in der Geschichte der USA. Es entstand, weil die ozeanische Pazifikplatte unter die kontinentale Nordamerika-Platte gleitet und dadurch einen enormen Schub verursacht. Die Schäden des Bebens vor Ort hielten sich in der dünn besiedelten Region zwar in Grenzen. Generell jedoch haben solche Megathrust-Erdbeben in der Subduktionszone ein enormes Zerstörungspotenzial. Insbesondere können Tsunamiwellen erzeugt werden. Diese sind am Entstehungsort nicht sehr hoch, können aber Stunden später und viele hundert oder tausend Kilometer entfernt als katastrophaler Tsunami auf die Küsten treffen und viele Menschenleben gefährden.
Trotz der Dimension dieser Naturgefahren sind die relevanten physikalischen Prozesse, die bei Megathrust-Edbeben eine Rolle spielen, noch immer nur in begrenztem Maße verstanden. Daher ist es schwierig, die räumlich-zeitliche Entwicklung der gekoppelten Erdbeben- und Tsunamigefahr in Subduktionszonen abzuschätzen. Um die Wahrscheinlichkeit, dass ein Beben einen Tsunami auslöst, besser prognostizieren zu können, untersuchten die Forscher um Benjamin Brooks vom United States Geological Survey (USGS) kurz vor und etwa zweieinhalb Monate nach dem Chignik-Beben den Meeresboden vor Alaska mit Hilfe eines globalen Navigationssatellitensystems (GNSS) und eines akustischen Ortungssystems sowie eines Roboterschiffs.
Eine Schlüsselrolle spielten dabei autonome Oberwasserfahrzeuge (Wave Glider), an deren Entwicklung James Foster beteiligt war und die sowohl mit GNSS als auch mit akustischen Messgeräten ausgestattet sind. Die moderne Technologie erlaubte zentimetergenaue Messungen der Verschiebungen in den Subduktionszonen und damit ein präzises Bild der komplizierten Gleitprozesse und Verwerfungen. Besonderes Augenmerk war dabei auf die flachen Abschnitte der Gleitzonen gerichtet, da diese entscheidend dafür sind, ob es zu einem Tsunami kommt oder nicht.
Die Messungen wurden in einer Wassertiefe von eintausend bis zweitausend Metern durchgeführt. „Noch besser wäre es, wenn wir Messungen in dreitausend bis viertausend Metern Wassertiefe direkt über dem flachsten Teil des Verwerfungssystems vornehmen könnten“, sagt Foster. Die derzeit auf dem Meeresboden eingesetzten geodätischen Systeme können jedoch in diesen Tiefen nicht eingesetzt werden.
Umso mehr freut sich der Tsunami-Forscher, dass er dank einer Förderung durch der Deutschen Forschungsgemeinschaft und in Zusammenarbeit mit dem Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel bald ein Gerät anschaffen kann, dessen Sensoren geodätische Messungen in diesen Tiefen ermöglichen. „Mit diesem System werden wir erstmals in der Lage sein, die Bewegung des Meeresbodens in diesen tiefsten Abschnitten tsunamigener Verwerfungen direkt zu messen.“
U. Stuttgart / JOL