18.08.2016

Von Atto zu Femto

Photodissoziation mittels transienter XUV-Absorptionsspektroskopie untersucht.

Die Attosekundenforschung ist ein neues Forschungs­gebiet der Physik mit dem Ziel, die Bewegung von Elektronen in Atomen, Molekülen und Fest­körpern zeitaufgelöst zu vermessen. Elektronen­dynamik entsteht durch kohärente Anregung verschiedener elektronischer Zustände und kann mit Zeitskalen im Bereich von Attosekunden extrem schnell sein. Chemie hingegen ist das Aufbrechen und die Neuformation von elektronischen Bindungen, bedingt durch die räumliche Umlagerung von atomaren oder molekularen Reaktions­partnern. Solche chemische Dynamik spielt sich auf der langsameren Femto­sekunden­skala ab.

Abb.: Die XUV-Absorption aus einer kernnahen Schale in die Vakanzen in der Valenzschale ist elementspezifisch und abhängig von der lokalen chemischen Umgebung um das Reporteratom.

Nichtsdestotrotz gibt es spannende Wege, auf denen die zeit­aufgelöste Erforschung chemischer Reaktionen stark von den technologischen Entwicklungen in der Atto­sekunden­physik profitieren kann. Atto­sekunden­pulse generiert man durch die Erzeugung hoher Harmonischer, durch die Photonen aus dem infraroten Spektral­bereich in einer stark nicht-linearen Wechselwirkung mit Materie in den Frequenz­bereich des extremen Ultra­violetts (XUV) konvertiert werden. Die kurze zeitliche Dauer solcher Atto­sekunden­pulse bedingt ein breites, kontinuierliches Frequenz­spektrum, ideal geeignet für Absorptions­experimente. Die erreichten Photonen­energien decken den Energie­bereich bis zu hunderten von Elektronen­volt ab, mit denen sich Elektronen in den kernnahen Schalen von Atomen anregen lassen.

Übergänge von gebundenen Elektronen aus kernnahen Schalen in die Valenzschale bieten einzigartige Einblicke in die Struktur und Dynamik von Molekülen. Aufgrund der starken Lokalisierung der Kernschalen sind diese Übergänge element­spezifisch. Gleichzeitig ist in ihnen aber auch die intra­molekulare Umgebung des jeweiligen Atoms kodiert, da das Elektron in eine Vakanz in der Valenz­schale gehoben wird, die von den chemischen Bindungen des Atoms im Molekül abhängt. Wichtig ist nun, dass solche Kern-Valenz­schalen­übergänge nur sehr kurze Lebens­dauern im Bereich weniger Femto­sekunden haben. Die Anwendung ultrakurzer XUV-Pulse bietet daher neue Ansätze für zeit­aufgelöste chemische Studien: Chemische Dynamik, etwa mit einem ultra­violetten Laser­puls angestoßen, lässt sich aus der Perspektive verschiedener Atome innerhalb eines Moleküls in einem transienten XUV-Absorptions­experiment untersuchen. Diese neue Art von chemischen Studien erproben im Moment weltweit nur einige wenige Arbeits­gruppen.

In einem neuen, am Max-Born-Institut Berlin durchgeführten Experiment haben Forscher die Photo­dissoziation von Iodmethan (CHI) und Iodbenzol (CHI) mittels transienter XUV-Absorptions­spektroskopie untersucht. Diese beiden Moleküle unterscheiden sich durch den Bindungs­partner des Iodatoms; in einem Falle ist dies eine Methylgruppe (CH), im anderen Falle eine Phenyl­gruppe mit dem charakteristischen Kohlenstoff­ring (CH). Absorption eines UV-Femto­sekunden­pulses führt zum Brechen der Bindung zwischen dem Iod- und dem benachbarten Kohlen­stoffatom und damit zur Erzeugung von atomarem Iod. Dies untersuchten die Forscher anhand der Absorption an der N,-Kante des Iodatoms. In beiden Molekülen verschwinden die molekularen Kern-Valenz­schalen­übergänge bei UV-Absorption innerhalb der experimentellen Zeit­auflösung. Die zum atomaren Iod hin konvergierenden Übergänge erscheinen unverzüglich im Falle von CHI, jedoch zeitverzögert im Falle von CHI. Im Falle von CHI interpretierten die Forscher diese Beobachtung als die UV-Erzeugung einer Vakanz in der Valenzschale, die in der Nähe des Iodatoms lokalisiert ist.

Damit ergibt sich eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen XUV-Übergang aus dem Kernzustand des Iodatoms. Das Experiment zeigt, wie die Valenz­schale während der Dissoziation des Moleküls relaxiert. Dabei wird eine kontinuierliche Verschiebung der Übergangs­energie der zum atomaren Iod hin konvergierenden Übergänge gemessen. In Falle von CHI hingegen weist das zeit­verzögerte Erscheinen der Absorptions­übergänge auf eine UV-erzeugte Vakanz hin, die ursprünglich innerhalb des Moleküls räumlich entfernt vom Iod-Reporteratom lokalisiert ist. Damit ist die Wahrscheinlichkeit für einen Kern-Valenzschalen­übergang gering. Die Vakanz muss zuerst durch das Molekül wandern, bevor man sie beobachten kann. Dieses Verhalten ist der dominanten π σ* UV-Anregung in Iodbenzol zuzuschreiben, eine Folge des charakteristischen delokalisierten Elektronen­systems im Kohlen­stoffring.

Während in der neuen Studie die experimentellen Daten mittels eines einfachen Models erklärt sind, ermöglicht das MBI mit seiner neu gegründeten Abteilung für Theorie einzig­artige Möglichkeiten für gemeinsame experimentelle und theoretische Untersuchungen von transienter XUV-Absorptions­spektroskopie photochemischer Prozesse. Dabei wird auch eine neue theoretische Herangehens­weise zum Einsatz kommen, die jüngst Forscher des MBI in Kollaboration mit Kollegen in Kanada, dem Vereinten Königreich und der Schweiz entwickelt haben.

FVB / DE

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