08.06.2020 • Astrophysik

Von der Physik zum Leben

Komplexe Reaktionen auf dünnem Eis um Staubkörner im Weltall.

Astronomen des MPI für Astronomie und der Uni Jena haben neue Erkenntnisse zu Eigenschaften eisbedeckter kosmischer Staubkörner gewonnen: Diese haben keine einfachen, regelmäßigen Formen, dick mit Eis bedeckt, sondern bilden lockere Verästelungen mit überraschend großer Oberfläche und vergleichsweise dünnen Eisschichten. Das hat Konsequenzen für die Art und Weise, wie dort komplexe organische Reaktionen ablaufen – und damit auch für die Entstehung von präbiotischen Molekülen, wie sie für den Ursprung des Lebens auf der Erde eine wichtige Rolle gespielt haben könnten.

Abb.: Die schematische Abbildung zeigt Staubkörner (grau) gemischt mit...
Abb.: Die schematische Abbildung zeigt Staubkörner (grau) gemischt mit Eismolekülen (blau), sowie die wichtigsten äußeren physikalischen Einflüsse, die für chemische Prozesse im Weltraum wichtig sind. (Bild: A. M. Quetz, MPIA)

Im Weltall komplexe Moleküle entstehen zu lassen, ist nicht einfach. Die natürlichen Laboratorien, in denen die notwendigen Reaktionen ablaufen, sind nach heutigem Kenntnis­stand winzige interstellare Staubkörner mit Eis-Oberflächen. Die neuen experimen­tellen Ergebnisse von Alexey Potapov von der MPIA-Gruppe Labor-Astrophysik an der Uni Jena und seinen Kollegen deuten darauf hin, dass die Eisschichten unter realistischen Bedingungen so dünn sein können, dass die Oberflächen­struktur der Staubkörner eine wichtige Rolle spielt.

In der Entstehungs­geschichte des Lebens lassen sich grund­legende Schritte ausmachen, die von der Physik über die Chemie bis hin zur Biologie führen. Die meisten chemischen Elemente, darunter Kohlenstoff und Stickstoff, sind durch Kernfusion im Inneren von Sternen entstanden. Im inter­stellaren Medium können sich organische Moleküle bilden, einschließlich jener, die für die Entstehung von Aminosäuren und damit der DNA notwendig sind. Bei den wenigen Gelegen­heiten, bei denen es bisher gelungen ist, mithilfe von Sonden kosmischen Staub direkt zu analysieren, fanden sich komplexe Moleküle, wie zum Beispiel die einfache Aminosäure Glycin. Im Laufe der Entwicklung eines Planeten­systems können solche organischen Moleküle von Meteoriten und frühen Kometen auf Planeten­oberflächen transportiert werden.

Doch wie sich diese Moleküle im Weltall überhaupt bilden können, ist nicht einfach zu beantworten. In den 1960er Jahren begannen Astronomen, die Idee zu entwickeln, dass inter­stellare Staubkörner als eine Art Laboratorien dienen könnten, in denen sich komplexere chemische Reaktionen abspielen. Solche Staubkörner, auf Kohlenstoff- oder Silizium­basis, entstehen typischerweise in den äußeren Schichten kühler Sterne oder nach Supernova-Explosionen. In einer Wolke aus Gas und Staub würden dann entsprechend verschiedene Arten von Molekülen an den kalten Staubkörnchen haften­bleiben. Sobald hinreichend viele Moleküle zusammen­gekommen, laufen interessante chemische Reaktionen ab. Konkret würde es etwa 100.000 Jahre dauern, bis sich um ein Staubkorn ein Mantel aus Eis gebildet hätte. Die Eisschicht könnte dann als winziges kosmisches Chemielabor dienen.

Um diese Ideen zu überprüfen, mussten die Forscher Experimente durchführen, also eisbedeckte Staubkörner und deren Wechsel­wirkung mit Molekülen in Laboratorien auf der Erde untersuchen. Zunächst verwendete man dazu Eisschichten, aufgetragen auf eine gewöhnliche Oberfläche, etwa auf eine Kalium­bromid-Kristall­platte oder eine Metall­oberfläche. Aber das, so zeigen die jetzt veröffent­lichten neuen Ergebnisse, kann allenfalls einen Teil der Antworten liefern. Zur Ausrüstung der Laborgruppe Astrophysik gehören Laser, mit denen sich künstliche Staubkörner erzeugen lassen. Zu diesem Zweck wird ein Laser auf eine Grafitprobe gerichtet und trägt dann winzige Partikel von deren Oberfläche ab. Der Partikel­durchmesser beträgt nur wenige Nanometer. Als Potapov und seine Kollegen solche künstlichen Staubkörner unter­suchten und dabei verschiedene Arten von Eisbildung auf ihren Oberflächen herbei­führten, kamen ihnen Zweifel am Standardbild von Staubkörnern, die dick von Eis ummanteltet sind.

Die Forscher fanden bei Ihren Experimenten nämlich gerade keine Staubkörner, die wie eine Zwiebel vollständig mit mehreren Schichten festem Eis bedeckt waren. Die von ihnen unter möglichst realistisch nach­ge­bildeten Weltraum­bedingungen im Labor erzeugten Staubkörner hatten stattdessen verästelte, komplizierte Formen. Bei solchen Formen ist die Gesamt­oberfläche viel größer als bei einfacheren Formen.

Und das ist ein entscheidender Faktor bei Berechnungen, wie sich die aus Beobachtungen erschlossene Menge an Wasser in Molekül­wolken auf die Staubkörner solcher Wolken verteilen würde. Anstelle von Staubkörnern mit geringer Oberfläche, die mit der verfüg­baren Wassermenge vollständig von Eis bedeckt sein dürften, hat man es dann mit verästelten Staub­gebilden mit extrem großer Gesamt­oberfläche zu tun. Dann reicht die Wassermenge lediglich noch, an einigen Stellen dickere Schichten zu bilden, während an anderen Stellen nur eine einzige Schicht von Eiskristallen vorhanden ist.

Diese andere Art von Struktur hat tief­greifende Folgen für die Rolle der eisigen Staubkörner als winzige kosmische Laboratorien. Chemische Reaktionen hängen von den Molekülen ab, die an der Oberfläche hängen­ge­blieben sind, sowie davon, wie diese Moleküle sich bewegen, auf andere Moleküle treffen, reagieren, sich festsetzen oder wieder lösen können. Diese Umwelt­bedingungen sind in der neuen, verästelten, zum Teil nur von dünnem Eis bedeckten Version der kosmischen Laboratorien völlig anders.

Außerdem gilt: Sind die Körner nicht unter dicken Eisschichten verborgen, sondern kommen zumindest einige der Moleküle direkt mit der Oberfläche in Kontakt, dann kann die Oberfläche als Katalysator wirken, also durch ihre bloße Anwesenheit die Geschwindigkeit bestimmter chemischer Reaktionen verändern. Auf diese Weise würden bestimmte Reaktionen zur Bildung organischer Moleküle, etwa von Formaldehyd oder bestimmten Ammoniak­verbindungen, allein aufgrund der geänderten Verhältnisse im kosmischen Mini-Laboratorium viel häufiger auftreten als ohne Katalyse. Beide genannten Reaktionen sind wichtige Vorläufer von präbiotischen Molekülen. Die Änderung der Reaktions­bedingungen könnte damit direkte Auswirkungen für eine Rekonstruktion der chemischen Vorgeschichte des Lebens haben.

MPIA / RK

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