Von guten und schlechten Quantenzuständen
Trick der Quantentheorie ermöglicht, Zustände aus tausenden Atomen zu beschreiben.
Lange Zeit wurden quantenphysikalische Experimente bloß mit einer kleinen Anzahl von Teilchen durchgeführt. Schon das Verhalten einzelner Atome oder Moleküle ist oft schwer zu beschreiben. Mittlerweile ist es technisch möglich, auf kontrollierte Weise Experimente mit mehreren tausend Quantenteilchen durchzuführen, allerdings hat man dabei mit großen theoretischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Quanten-Zustand eines solchen großen Systems ist nämlich so kompliziert, dass die gesamte Materie der Erde nicht ausreichen würde, ihn auf klassische Art und Weise präzise abzuspeichern.
Ein Team der TU Wien und der Freien Universität Berlin stellt eine Quanten-Tomographie-Methode vor, mit der man mit Hilfe von wenigen Messungen den Zustand eines großen Quantensystems sehr genau messen und beschreiben kann. Die neue Technik beruht auf der Erkenntnis, dass ein solches System zwar unüberblickbar viele Quantenzustände einnehmen könnte, der Großteil von ihnen zunächst aber getrost ignoriert werden kann.
Abb.: Atomchip zum Kühlen und Manipulieren der ultrakalten Atomwolken (Bild: TU Wien)
Wenn man eine Münze wirft, ist das Ergebnis entweder Kopf oder Zahl. Bei Quantenteilchen ist das komplizierter. Wenn sie in zwei verschiedenen Zuständen vorliegen können, dann ist auch jede beliebige Mischung dieser beiden Zustände physikalisch erlaubt. Daher ist es weitaus aufwändiger, den Zustand eines Quantenteilchens mathematisch zu beschreiben als den Zustand einer Münze, die auf dem Tisch liegt.
„Je mehr Teilchen man betrachtet, umso komplizierter wird die Beschreibung des Gesamtsystems“, erklärt Jörg Schmiedmayer vom Vienna Center for Quantum Science and Technology VCQ an der TU Wien. „Der Speicherbedarf, den man für die präzise Angabe eines Quantenzustands benötigt, steigt exponentiell mit der Zahl der Teilchen. Bei einem System mit einigen hundert Teilchen gibt es mehr mögliche Zustände als das Universum Atome hat, es ist daher völlig unmöglich, den Zustand exakt aufzuschreiben oder zu berechnen.“
Doch wie sich nun zeigt, ist das gar nicht unbedingt nötig: Die in Berlin in der Gruppe von Jens Eisert entwickelte theoretische Methode verwendet eine spezielle Art von Beschreibungen der Quantenzustände, die Continuous Matrix-Product States – „CMP-Zustände“. Diese spezielle Klasse bildet nur einen vergleichsweise verschwindend kleinen Teil aller möglichen Zustände, für die quantenphysikalische Beschreibung sind aber gerade diese Zustände relevant. „Zu dieser Klasse gehören Zustände mit realistischen Quantenverschränkungen“, erklärt Eisert. „Exotische, komplizierte Muster von Verschränkungen zwischen vielen Quantenteilchen mögen physikalisch zwar auch erlaubt sein, aber in der Praxis treten sie nicht auf, daher können wir uns auf die CMP-Zustände beschränken.“
Für jeden Quantenzustand gibt es CMP-Zustände, der ihm beliebig nahekommen. Egal welchen Zustand das System tatsächlich einnimmt – indem man sich auf CMP-Zustände beschränkt, macht man bloß einen winzigen Fehler. „Man kann sich das so ähnlich vorstellen wie die Bruchzahlen in der Mathematik“, sagt Eisert. „Die rationalen Zahlen, die als Bruch dargestellt werden können, stellen nur einen verschwindend kleinen Anteil an der Gesamtheit der reellen Zahlen dar. Aber zu jeder beliebigen Zahl lässt sich ein Bruch finden, der ihm beliebig nahe kommt."
Durch die Beschränkung auf die CMP-Zustände wird es nun möglich, die Zustände großer Quantensysteme im Experiment auszulesen. „Aus einigen Messergebnissen kann man zwar keine vollständige Information über das System erhalten, aber das wollen wir auch gar nicht“, sagt Tim Langen, der die Experimente in Schmiedmayers Forschungsgruppe leitete. „Wir können mit unserer neuen Methode aus den Messungen den Quantenzustand rekonstruieren - und zwar so genau, dass wir damit dann das Ergebnis weiterer Messungen vorhersagen können.“ Ähnlich wie bei der Computertomographie im Krankenhaus, bei der aus verschiedenen Einzelbildern ein 3D-Modell berechnet wird, kann man bei dieser Quantentomographie aus dem Ergebnis einzelner Quantenmessungen ein gutes Bild des Quantenzustands herstellen.
Die neue Methode zeigt nicht nur neue Wege für die Vielteilchen-Quantenphysik auf, sie könnte auch neue „Quantensimulatoren“ ermöglichen – Quantensysteme, die so präpariert sind, dass sie ein anderes Quantensystem simulieren können, das sich mit herkömmlichen Methoden nicht direkt untersuchen lässt. „Wenn zwei verschiedene Quantensysteme grundsätzlich mit denselben physikalischen Formeln beschrieben werden können, dann lässt sich durch die Untersuchung des einen viel über das andere lernen“, sagt Schmiedmayer. „Wir können tausende Atome auf unseren Quantenchips kontrollieren, dieses System eignet sich daher bestens für künftige Quantensimulationen.“
TU Wien / OD