03.07.2015

Von guten und schlechten Quanten­zuständen

Trick der Quantentheorie ermöglicht, Zustände aus tausenden Atomen zu beschreiben.

Lange Zeit wurden quantenphysikalische Experimente bloß mit einer kleinen Anzahl von Teil­chen durchgeführt. Schon das Verhalten einzelner Atome oder Moleküle ist oft schwer zu beschreiben. Mittlerweile ist es technisch möglich, auf kontrol­lierte Weise Experimente mit mehreren tausend Quanten­teilchen durchzuführen, allerdings hat man dabei mit großen theore­tischen Schwierig­keiten zu kämpfen. Der Quanten-Zustand eines solchen großen Systems ist nämlich so kompliziert, dass die gesamte Materie der Erde nicht ausreichen würde, ihn auf klassische Art und Weise präzise abzuspeichern.

Ein Team der TU Wien und der Freien Universität Berlin stellt eine Quanten-Tomographie-Methode vor, mit der man mit Hilfe von wenigen Messungen den Zustand eines großen Quanten­systems sehr genau messen und beschreiben kann. Die neue Technik beruht auf der Erkenntnis, dass ein solches System zwar unüber­blickbar viele Quanten­zustände einnehmen könnte, der Großteil von ihnen zunächst aber getrost ignoriert werden kann.

Abb.: Atomchip zum Kühlen und Manipulieren der ultrakalten Atomwolken (Bild: TU Wien)

Wenn man eine Münze wirft, ist das Ergebnis entweder Kopf oder Zahl. Bei Quanten­teilchen ist das kompli­zierter. Wenn sie in zwei verschiedenen Zuständen vorliegen können, dann ist auch jede beliebige Mischung dieser beiden Zustände physikalisch erlaubt. Daher ist es weitaus aufwändiger, den Zustand eines Quanten­teilchens mathematisch zu beschreiben als den Zustand einer Münze, die auf dem Tisch liegt.

„Je mehr Teilchen man betrachtet, umso komplizierter wird die Beschreibung des Gesamt­systems“, erklärt Jörg Schmiedmayer vom Vienna Center for Quantum Science and Technology VCQ an der TU Wien. „Der Speicher­bedarf, den man für die präzise Angabe eines Quanten­zustands benötigt, steigt exponentiell mit der Zahl der Teilchen. Bei einem System mit einigen hundert Teilchen gibt es mehr mögliche Zustände als das Universum Atome hat, es ist daher völlig unmöglich, den Zustand exakt aufzu­schreiben oder zu berechnen.“

Doch wie sich nun zeigt, ist das gar nicht unbedingt nötig: Die in Berlin in der Gruppe von Jens Eisert entwickelte theoretische Methode verwendet eine spezielle Art von Beschrei­bungen der Quanten­zustände, die Continuous Matrix-Product States – „CMP-Zustände“. Diese spezielle Klasse bildet nur einen vergleichs­weise verschwindend kleinen Teil aller möglichen Zustände, für die quanten­physikalische Beschreibung sind aber gerade diese Zustände relevant. „Zu dieser Klasse gehören Zustände mit realis­tischen Quanten­ver­schrän­kungen“, erklärt Eisert. „Exotische, kompli­zierte Muster von Verschränkungen zwischen vielen Quanten­teilchen mögen physikalisch zwar auch erlaubt sein, aber in der Praxis treten sie nicht auf, daher können wir uns auf die CMP-Zustände beschränken.“

Für jeden Quantenzustand gibt es CMP-Zustände, der ihm beliebig nahe­kommen. Egal welchen Zustand das System tatsächlich einnimmt – indem man sich auf CMP-Zustände beschränkt, macht man bloß einen winzigen Fehler. „Man kann sich das so ähnlich vorstellen wie die Bruchzahlen in der Mathe­matik“, sagt Eisert. „Die rationalen Zahlen, die als Bruch dargestellt werden können, stellen nur einen verschwindend kleinen Anteil an der Gesamtheit der reellen Zahlen dar. Aber zu jeder beliebigen Zahl lässt sich ein Bruch finden, der ihm beliebig nahe kommt."

Durch die Beschränkung auf die CMP-Zustände wird es nun möglich, die Zustände großer Quanten­systeme im Experiment auszulesen. „Aus einigen Mess­ergeb­nissen kann man zwar keine vollständige Information über das System erhalten, aber das wollen wir auch gar nicht“, sagt Tim Langen, der die Experimente in Schmied­mayers Forschungs­gruppe leitete. „Wir können mit unserer neuen Methode aus den Messungen den Quanten­zustand rekons­truieren - und zwar so genau, dass wir damit dann das Ergebnis weiterer Messungen vorhersagen können.“ Ähnlich wie bei der Computer­tomographie im Krankenhaus, bei der aus verschie­denen Einzel­bildern ein 3D-Modell berechnet wird, kann man bei dieser Quanten­tomo­graphie aus dem Ergebnis einzelner Quanten­messungen ein gutes Bild des Quanten­zustands herstellen.

Die neue Methode zeigt nicht nur neue Wege für die Vielteilchen-Quanten­physik auf, sie könnte auch neue „Quanten­simulatoren“ ermöglichen – Quanten­systeme, die so präpariert sind, dass sie ein anderes Quanten­system simulieren können, das sich mit herkömmlichen Methoden nicht direkt unter­suchen lässt. „Wenn zwei verschiedene Quanten­systeme grund­sätzlich mit denselben physikalischen Formeln beschrieben werden können, dann lässt sich durch die Unter­suchung des einen viel über das andere lernen“, sagt Schmied­mayer. „Wir können tausende Atome auf unseren Quanten­chips kontrollieren, dieses System eignet sich daher bestens für künftige Quantensimulationen.“

TU Wien / OD

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