13.07.2012

Vorhersehbare Selbstorganisierer: „Patchy Colloids“

Winzige Partikel fügen sich ganz von selbst zu komplizierten Strukturen zusammen – neue Rechenmethoden machen dies nun vorhersagbar.

Kolloide sind kleine Teilchen, die in einem anderen Medium – einem Gas oder einer Flüssigkeit – fein verteilt sind. Sie sind meist viel größer als einzelne Atome oder Moleküle, wie etwa die kleinen Fetttröpfchen in der Milch, sind aber viel zu klein um mit freiem Auge sichtbar zu sein. Ihre Oberfläche dieser Kolloide ist nicht immer einheitlich: Im Labor kann man heute sogenannte „Patchy Colloids“ herstellen: Sie haben an bestimmten Stellen Flecken, die ganz andere Eigenschaften aufweisen als der Rest der Oberfläche. Wegen dieser besonderen Stellen können Kolloide aneinander andocken und haften bleiben. Stimmen die äußeren Bedingungen wie Druck und Temperatur, dann können sich viele ganz von selbst zu großen, komplizierten Strukturen aneinanderfügen, ähnlich wie ein Kristall.

Abb.: Aus einem ungeordneten Gewimmel von Teilchen wie dem oben rechts kann spontan Ordnung entstehen (unten links; Bild: TU Wien)

In der Arbeitsgruppe von Gerhard Kahl am Institut für Theoretische Physik der TU Wien untersuchten Günther Doppelbauer und Emanuela Bianchi gemeinsam mit Eva Noya, einer Kollegin aus Madrid, wie solche großen periodischen Strukturen entstehen können. Tatsächlich wurde die Forschungsgruppe in ihren Berechnungen fündig: „Wir konnten Strukturen aus bestimmten patchy Colloids identifizieren, die auch bei erstaunlich hohem Druck noch stabil bleiben“, berichtet Doppelbauer. Die Berechnungen zeigen also mögliche Wege für künftige Experimente auf.

Die Patchy Colloids (oben) ordnen sich in ganz unterschiedlichen Strukturen an abhängig von äußeren Bedingungen (Mitte und unten; Bild: TU Wien)

Wie bei Bausteinen, die man zu ganz verschiedenen Formen zusammenbauen kann, sind auch bei den Kolloiden ganz unterschiedliche Strukturen geometrisch möglich. Welche davon in der Natur tatsächlich vorkommen können, lässt sich nur recht schwer berechnen. Viele verschiedene Konfigurationen mussten durchgetestet werden, um zu sehen, welche von ihnen am stabilsten sind. Bisher war das kaum möglich – der Rechenaufwand ist enorm.

Die Suche nach diesen Gleichgewichtsstrukturen der Kolloide ist vergleichbar mit der Suche nach dem Aufenthaltsort einer Kugel in einer Hügellandschaft: Grundsätzlich kann sich die Kugel überall befinden, doch logischerweise ist sie am ehesten in den Tälern – dort, wo sie am wenigsten potenzielle Energie hat. Um stabile Kolloid-Strukturen zu finden, berechnen die Forscher deshalb die Gibbs-Energie: Neben der Bindungsenergie zwischen den einzelnen Teilchen gehen auch Druck und Temperatur mit ein. „Wenn man am Computer die Konfigurationen mit der geringsten Gibbs-Energie sucht, dann findet man den besten Kompromiss zwischen möglichst guter Bindung zwischen den Teilchen und möglichst dichter Packung“, erklärt Doppelbauer.

Um das Kunststück zu vollbringen, mit Hilfe dieser Gibbs-Energie die Ordnungsstruktur der Teilchen vorherzusagen, verwendete das Team genetische Algorithmen: In der Biologie pflanzen sich Organismen von Generation zu Generation fort, ihre Eigenschaften können sich dabei zufällig ändern, langfristig passt sich die Spezies so optimal an die Umwelt an. Eine analoge Strategie verfolgten die Forscher jetzt mit Computerprogrammen: Sie modifizierten Näherungslösungen leicht und  erhielten so eine neue Generation von Lösungen. Die besten Ergebnisse verwendeten sie weiter – bis sie am Ende im Idealfall die optimale Lösung erhielten. Auf diese Weise lässt sich nun vorhersagen, bei welchen geometrischen Parametern, Drücken und Temperaturen sich die Kolloide zu welchen Strukturen anordnen.

Abb.: Günther Doppelbauer, Eva Noya (oben),. Emanuela Bianchi, Gerhard Kahl (unten; Bild: TU Wien)

In das Gebiet der „Patchy Colloids“ setzen Forscher große Hoffnungen: „Wenn es gelingt, aus Kolloiden diamantartige Strukturen zu erzeugen, dann könnte man photonische Kristalle erzeugen“, sagt Emanuela Bianchi. Mit solche photonischen Kristallen lässt sich Licht auf maßgeschneiderte Weise manipulieren. Mit Patchy Colloids finden viele Experimente statt, um Technologien zur passgenauen Herstellung der Partikel zu erarbeiten. Es ist bereits möglich, die winzigen Kolloide an genau gewählten Stellen mit „Patches“ zu versehen, über die sie aneinander andocken können. Die neuen Rechenmethoden lassen nun eine wissenschaftlich solide Vorhersage zu, welche Arten von Kolloiden Erfolg versprechend sind, anstatt sich auf Trial and Error verlassen zu müssen.

TU Wien / OD

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