Voyager-1 in unruhigen Gewässern
Plötzlicher Anstieg der Intensität kosmischer Strahlung weist auf turbulentes Geschehen am äußersten Rand unseres Sonnensystems hin.
Aus den Tiefen des Alls erreicht die Astrophysiker immer noch Kunde. Die unermüdliche Raumsonde Voyager-1 ist nicht nur das am weitesten je in den Weltraum vorgedrungene menschengemachte Objekt. Mit einigen ihrer Instrumente sendet sie beharrlich weiter Daten aus dem Grenzbereich unseres Sonnensystems, wo die durch den Sonnenwind bestimmte Heliosphäre auf das interstellare Medium trifft und vielfältige Wechselwirkungen mit der galaktischen kosmischen Strahlung eingeht. Messungen aus den letzten Jahren zeigen, dass dort überraschende Intensitätssteigerungen energieärmerer kosmischer Strahlung auftreten.
Abb.: Der 5-Tages-Durchschnitt der Elektronen (6-14 MeV, schwarze Linie, logarithmisch) und Protonen (>200 MeV, rote Linie, linear) von Mitte 2008 bis Anfang 2012. Die beiden als Event 1 und 2 gekennzeichnete Anstiege sowie die unterschiedlichen Zuwachsraten sind deutlich erkennbar. (Bild: B. Webber et al. / GRL)
Voyager-1 hat zurzeit 118 Astronomischen Einheiten (AU) Abstand von der Sonne. Sie ist damit seit einigen Jahren jenseits des heliosphärischen Termination Shock, an dem die Dominanz des Sonnenwindes gegenüber dem interstellaren Medium endet. Die Sonde ist nun im Heliosheath, wo solare und galaktische Materie sich mischen, bevor sie in wenigen Jahren in die Heliopause eintritt, wo der solare Einfluss endet.
Die niederenergetische kosmische Strahlung wird durch den Sonnenwind abgeschirmt. Voyager-1 misst also einen Anstieg dieser Strahlung, je weiter sie sich von der Sonne entfernt. In den letzten drei Jahren stellten sich hierbei zwei deutliche Anstiege innerhalb kurzer Zeit heraus, ebenso wie deutliche Veränderungen der Zunahmegeschwindigkeit.
Abb.: Voyager-1 ist das am weitesten je in den Weltraum vorgedrungene menschengemachte Objekt und trat vor einigen Jahren in das Heliosheath ein. (Bild: NASA)
Im Jahr 2009 bei 111 AU konnten die Forscher bei Elektronen von 6 bis14 MeV in einem Zeitraum von gerade einmal zehnTagen einen Intensitätszuwachs von 20 Prozent ermitteln, worauf eine Phase eines langsameren Intensitätsanstieges von nur 8 Prozent statt vorher 19 Prozent pro zurückgelegter AU folgte. Diese Phase endete 2011 bei knapp 117 AU durch einen nochmaligen Intensitätssprung, der bei Elektronen 15 Tage dauerte und 25 Prozent Zuwachs brachte. Diesmal machten auch die höherenergetischen Protonen ab 200 MeV einen Sprung um 5 Prozent über einen Zeitraum von 50 Tagen, was einem sehr unüblichen Anstieg entspricht.
Die Wissenschaftler rätseln noch, welchem Effekt diese Änderungen geschuldet sind. Mögliche Erklärungen beinhalten den Bereich, an dem die Polarisation des Sonnenmagnetfeldes umklappt, oder die Strukturzone des äußeren Heliosheath, an dem die Geschwindigkeit des Plasmastroms der Sonne gegen Null abebbt und dabei Modulationen der kosmischen Strahlung erzeugt. Eines ist jedenfalls sicher: Voyager 1 befindet sich noch im Einflussbereich unseres Zentralgestirns und nicht im interstellaren Raum. Wie die jetzigen Ergebnisse und theoretische Berechnungen vermuten lassen, aber wohl nicht mehr lange: In nur wenigen Jahren wird das erste menschengemachte Objekt auch diese Grenze überschreiten.
Dirk Eidemüller