02.07.2012

War das „Rote Kruzifix“ eine verborgene Supernova?

Kürzlich entdeckter C-14-Anstieg in Baumringen könnte auf ein Himmelsphänomen zurückgehen, das in mittelalterlichem Archiv erwähnt ist.

Vor gut einem Monat publizierten japanische Wissenschaftler die Nachricht, sie hätten in den Baumringen alter japanischer Zedern einen mysteriösen Anstieg des Radioisotops Kohlenstoff-14 gemessen (wir berichteten am 5.6.). Dieses Isotop entsteht laufend beim Beschuss der oberen Erdatmosphäre mit kosmischer Strahlung und ist Basis für die Radiokarbonmethode zur Datierung Jahrtausende alter organischer Materialien. Den ungewöhnlichen Anstieg von C-14 um die Jahre 774/775 konnten die Wissenschaftler aber nicht verstehen. Denn glücklicherweise erzeugt unsere Sonne keine so starken Flares, um den beobachteten Anstieg hierdurch plausibel zu erklären. Es ist in kürzerer galaktischer Distanz auch keine Supernova bekannt, die als Ursache in Frage gekommen wäre. Weder sehen wir mit heutigen Mitteln ihre Überreste, noch ist eine solche aus historischen Dokumenten bekannt.

Abb.: War eine Supernova in einem dichten Staubkokon für das „Rote Kruzifix“ verantwortlich? (Bild: NASA)

Einen amerikanischen Studenten mit Interesse in Physik und Geschichte hat dieses Rätsel so fasziniert, dass er die Angelsächsischen Chroniken beim Avalon-Projekt durchsuchte, wo die Universität Yale historische und rechtliche Dokumente online bereitstellt. Unter dem Jahreseintrag 774 wurde Jonathon Allen auch tatsächlich fündig: Neben Einträgen, dass ein König verbannt wurde, Kämpfe stattfanden und im Land der Süd-Sachsen wunderbare Schlangen gesichtet worden seien, berichtet der Chronist auch, ein „Rotes Kruzifix“ sei „nach Sonnenuntergang“ am Himmelszelt erschienen.

Die rote Farbe könnte auf eine Supernova hin deuten, die hinter dicken Gas- und Staubwolken stattgefunden hat, die wahrscheinlich auch heute noch die Sicht auf das Ereignis versperren. Nur die weniger stark absorbierten roten Wellenlängen waren von der Erde aus sichtbar.

Wie der Chicagoer Astronom Geza Gyuk in einem Kommentar erläutert, könnte Allen damit auf die richtige Spur gekommen sein. Astronomische Daten sind aus solchen historischen Chroniken aber oftmals nicht leicht herauszulesen. Der Physiker Donald Olson von der Texas State University weist auf eine alternative Erklärung hin, laut der Schilderung könnte es sich auch um Lichtbrechungen an hohen Eiskristallwolken gehandelt haben. In jedem Fall wäre es nicht die einzige Supernova, die historisch nicht klar belegt ist: „Der Himmel ist groß und die historischen Aufzeichnungen sind nicht sehr gut“, so Gyuk.

Dirk Eidemüller

OD

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