Warum Tropfen sich erst ausbreiten – und dann wieder zusammenziehen
Neue Möglichkeiten für die Reinigung von empfindlichen Oberflächen.
Es gibt Flüssigkeitstropfen, die sich erst auf Oberflächen ausbreiten und dann von allein wieder zusammenziehen – das hat ein Forschungsteam um Nate Cira von der Cornell University in den USA und Stefan Karpitschka vom MPI für Dynamik und Selbstorganisation jetzt herausgefunden. Dieser Bumerang-Effekt hängt dabei von der Zusammensetzung der Tröpfchen ab. Da diese beim Zusammenziehen – anders als beim herkömmlichen Trocknen – so gut wie keine Spuren hinterlassen, birgt das Phänomen neue Möglichkeiten für die Reinigung und Beseitigung von Partikeln auf empfindlichen Oberflächen, wie beispielsweise Mikrochips.
Denn eine mechanische Reinigung von empfindlichen Oberflächen wie elektronischen Bauteilen ist oft nicht möglich. Verunreinigungen, die bei der Produktion entstehen, müssen jedoch entfernt werden, um die technische Funktion der Komponenten zu gewährleisten. Konventionelle Methoden, die auf Verdampfung beruhen, lassen dabei jedoch oft kleine Partikel auf der Oberfläche zurück. Durch ihre Arbeit an der Dynamik von Flüssigkeitsgemischen hat das Team einen neuen Ansatz zur Lösung des Problems entwickelt. Die Wissenschaftler nutzten dazu den Marangoni-Effekt, das physikalische Prinzip hinter dem Bumerang-Verhalten.
Weinliebhabern ist vielleicht schon aufgefallen, dass sich Flüssigkeitsgemische ausdehnen oder zusammenziehen und so Muster bilden. Nach dem Einschenken des Weins bildet das Gemisch aus Alkohol und Wasser verschiedene Muster auf der Oberfläche des Glases. Der Grund dafür sind die unterschiedlichen Oberflächenspannungen und Verdunstungsgeschwindigkeiten von Wasser und Alkohol.
Dieses Prinzip ist auch die Grundlage für den beobachteten Bumerang-Effekt, hier jedoch mit einer Mischung aus den drei Flüssigkeiten, Wasser, Alkohol und Propylenglykol. Letzteres findet auch in der Industrie breite Anwendung, unter anderem in Farben, Lacken und Kosmetika. „Je nach Zusammensetzung breitet sich ein Tropfen aus den drei Komponenten entweder aus oder zieht sich zusammen, wenn man ihn auf eine Glasoberfläche gibt“, erläutert Cira. „Bei bestimmten Mischungsverhältnissen beobachten wir jedoch zuerst eine Ausbreitung und einige Sekunden später eine Kontraktion.“ Neben der Zusammensetzung der Tröpfchen spielen darüber hinaus auch die Luftfeuchtigkeit und die Temperatur eine Rolle, wie die Forscher feststellten.
Doch wie kommt es zu diesem ungewöhnlichen Verhalten des Gemisches? „Wir beobachten konkurrierende Marangoni-Effekte: Der Alkohol am Rand des Tropfens verdampft zuerst, die Oberflächenspannung ändert sich und erzeugt eine Kraft nach außen“, erklärt Karpitschka. „Die Folge: Der Tropfen breitet sich aus. Sobald der Alkohol am Rand verschwunden ist, kehrt sich der Effekt um und der Tropfen zieht sich wieder zusammen. Da gleichzeitig nun auch das Wasser vom Rand verdunstet, nimmt der Tropfen dabei rückstandsfrei alle löslichen Partikel auf seinem Weg mit.“
Auf der Grundlage dieser Entdeckung könnte somit auch eine völlig neue Methode zur Reinigung empfindlicher Oberflächen und Materialien entwickelt werden. Verunreinigungen und Partikel, die sich bei der Fertigung ablagern, könnten so rückstandslos und mit weniger Lösungsmitteln entfernt werden als bei herkömmlichen Verfahren.
MPI-DS / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
D. A. Baumgartner et al.: Marangoni spreading and contracting three-component droplets on completely wetting surfaces, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 119, e2120432119 (2022); DOI: 10.1073/pnas.2120432119 - Meinig School of Biomedical Engineering, Cornell University, Ithaca, USA
- Grenzflächen komplexer Fluide (S. Karpitschka), Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen