09.03.2015

Was ihn so rasend machte

Thermonukleare Supernova schleudert Stern aus der Milchstraße – mit vier Millionen Sachen.

Er ist so schnell unterwegs wie kein anderer: Ein Team aus Astrophysikern, unter Leitung von Forschern der FAU, entdeckte vor zehn Jahren in unserer Galaxie einen unscheinbaren Stern, US 708, der sich als wahrer Raser entpuppte. Anhand neuer Beobachtungen, an denen das Team der FAU maßgeblich beteiligt war, ist nun die Ursache für die immense Geschwindigkeit aufgeklärt: Schuld ist eine Explosion, nämlich eine thermo­nukleare Supernova. Mit den jetzigen Ergebnissen lassen sich diese bislang überaus rätselhaften Explosionen besser verstehen.

Mit 4,3 Millionen Kilometern pro Stunde ist US 708 rund zweitausendmal schneller als die Concorde und etwa viereinhalbmal so schnell wie unsere Sonne auf ihrer Bahn ums galaktische Zentrum. Er übertrifft damit alle bisher gemessenen Geschwin­digkeits­rekorde von Sternen um Längen. Sein Tempo ist sogar so hoch, dass er unsere Galaxis auf Nimmer­wieder­sehen verlassen wird. Heute kennen die Astronomen unter den hundert Milliarden Sternen unserer Galaxis gerade einmal zwei Dutzend ähnlich schneller Sterne. Sie entstehen üblicherweise, wenn sich ein Doppelstern dem supermassiven schwarzen Loch im Mittel­punkt der Milchstraße nähert – er wird zerrissen. Ein Stern fällt ins schwarze Loch, der Partner wird aus der Galaxie katapultiert und so zum Hoch­geschwin­digkeits­stern.

Doch die Erlanger Forscher hegten Zweifel, ob auch US 708 aus dem Zentrum unserer Galaxis stammt. Denn was durch diese Theorie der Entstehung weiterhin ein Rätsel blieb: Warum besteht US 708 anders als andere bekannte Hoch­geschwindig­keits­sterne aus Helium? Heliumsterne sind äußert seltene, alte Sterne von nur halber Sonnenmasse. Normale Sterne, wie unsere Sonne, bestehen dagegen hauptsächlich aus Wasserstoff.

Durch die aktuellen Beobachtungen, an denen das Team der FAU überaus großen Anteil hatte, kamen die Forscher der Entstehung von US 708 und damit auch der Ursache für seine immense Geschwindigkeit auf die Spur. Den Wissen­schaftlern um Stephan Geier von der Europäischen Südsternwarte in Garching, der Dr.-Karl-Remeis-Sternwarte der FAU sowie aus den Niederlanden, Großbritannien, den USA und China gelang es, die Flugbahn des Sterns zu rekonstruieren. Dabei kam heraus, dass der Stern unmöglich aus dem Zentrum der Milchstraße kommen kann und daher das dortige supermas­sereiche schwarze Loch als Katapult ausscheidet.

Doch welches Ereignis machte US 708 einerseits zu einem rasenden Stern und andererseits zu einem Heliumstern? Die Forscher entdeckten, dass US 708 sich viel schneller dreht als jeder andere bekannte Heliumstern – ein Hinweis, dass er einmal einen sehr nahen Doppelsternpartner hatte, dessen Gezeiten­kräfte ihn wie einen Brummkreisel aufgezogen haben. Mittels Computer­simulationen ergab sich ein schlüssiges Bild: Der Doppel­stern­partner muss ein Weißer Zwerg gewesen sein. Die beiden Sterne rotierten um einen gemeinsamen Mittelpunkt, kamen sich immer näher, die Umlaufgeschwindigkeit wurde größer. Der Weiße Zwerg entriss seinem Partner so viel von seiner Hülle, dass dessen Heliumkern sichtbar wurde und in der Folge Helium von US 708 zum Weißen Zwerg strömte. Der Abstand wurde noch kleiner, die Geschwin­digkeit noch höher, noch mehr Helium strömte nach – bis es zur thermo­nuklearen Katastrophe kam.

Zwar hatte diese Explosion eine enorme Wucht, sie war jedoch nur zu einem kleinen Teil für das hohe Tempo verantwortlich, mit dem US 708 jetzt durchs Weltall rast. Vielmehr betrugen die Umlauf­geschwindig­keiten im Doppelstern­system kurz vor der Explosion fast tausend Kilometer pro Sekunde. Als der Weiße Zwerg explodierte, fiel mit einem Schlag auch dessen Anziehungskraft weg. US 708 behielt seine bereits ohnehin immens große Geschwindigkeit bei, wurde durch die Supernova sogar noch ein bisschen beschleunigt. Seither ist er als schnellster Stern der Milchstraße unterwegs.

Mit ihren Ergebnissen weisen die Wissenschaftler erstmals einen Zusammenhang zwischen Helium­sternen und thermo­nuklearen Supernovae nach und leisten damit einen wichtigen Beitrag, um besser zu verstehen, was zu einer solch gigantischen Explosion führen kann.

FAU / OD


Weitere Informationen:
Prof. Dr. Ulrich Heber
Tel.: 0951/95222-14
heber@sternwarte.uni-erlangen.de

EnergyViews

EnergyViews
Dossier

EnergyViews

Die neuesten Meldungen zu Energieforschung und -technologie von pro-physik.de und Physik in unserer Zeit.

Sonderhefte

Physics' Best und Best of
Sonderausgaben

Physics' Best und Best of

Die Sonder­ausgaben präsentieren kompakt und übersichtlich neue Produkt­informationen und ihre Anwendungen und bieten für Nutzer wie Unternehmen ein zusätzliches Forum.

Meist gelesen

Themen