16.03.2021

Was „schlechte Metalle“ ausmacht

Neue Messungen lösen ein Rätsel der Festkörperphysik.

Das Verhalten klassischer Metalle, etwa ihre elektrische Leit­fähigkeit, lässt sich mit gut erprobten physi­kalischen Theorien erklären. Aber es gibt auch exotischere metallische Verbin­dungen, die Rätsel aufgeben: Manche Legierungen sind hart und spröde, spezielle Metall­oxide können durchsichtig sein. Es gibt sogar Materialien genau an der Grenze zwischen Metall und Isolator: Durch winzige Änderungen der chemischen Zusammensetzung wird das Metall zum Isolator – oder umgekehrt. Dabei treten metallische Zustände mit extrem schlechter elektrischer Leitfähigkeit auf, man spricht von „schlechten Metallen“. Bisher schien es, als könne man diese „schlechten Metalle“ mit herkömm­lichen Theorien einfach nicht erklären. Neue Messungen zeigen nun: So „schlecht“ sind diese Metalle gar nicht. Wenn man genau hinsieht, passt ihr Verhalten durchaus zu dem, was man schon bisher über Metalle wusste.

Abb.: Optische Spektro­skopie-Methoden können funda­mentale Fragen der...
Abb.: Optische Spektro­skopie-Methoden können funda­mentale Fragen der Festkörper­physik beantworten helfen. (Bild: TU Wien)

Andrej Pustogow forscht mit seiner Arbeitsgruppe am Institut für Festkörper­physik der TU Wien an speziellen metal­lischen Materialien – es handelt sich um kleine, speziell im Labor gezüchtete Kristalle. „Diese Kristalle können die Eigenschaften eines Metalls annehmen, doch wenn man die Zusammen­setzung minimal variiert, haben wir es plötzlich mit einem Isolator zu tun, der keinen Strom mehr leitet und bei bestimmten Frequenzen durchsichtig ist wie Glas“, sagt Pustogow. Direkt an diesem Übergang stößt man auf ein unge­wöhnliches Phänomen: Der elektrische Widerstand des Metalls wird extrem groß – und zwar größer, als es nach üblichen Theorien überhaupt möglich sein dürfte.

„Elektrischer Widerstand hat damit zu tun, dass die Elektronen an einander oder an den Atomen des Materials gestreut werden“, erklärt Andrej Pustogow. Nach dieser Betrachtungs­weise müsste der größtmögliche elektrische Widerstand gemessen werden, wenn das Elektron auf seinem Weg durch das Material an jedem einzelnen Atom gestreut wird – zwischen einem Atom und seinem Nachbarn befindet sich schließlich nichts, woran das Elektron aus seiner Bahn geworfen werden könnte. Doch bei „schlechten Metallen“ scheint diese Regel nicht zu gelten: Sie zeigen einen noch deutlich höheren Widerstand als dieses Modell erlauben würde. Der Schlüssel zur Lösung dieses Rätsels ist, dass die Material­eigenschaften frequenz­abhängig sind. „Wenn man den elektrischen Widerstand bloß misst, indem man eine Gleich­spannung anlegt, bekommt man nur eine einzige Zahl – den Widerstand für die Frequenz Null“, sagt Andrej Pustogow. „Wir haben hingegen optische Messungen durchgeführt und dafür Lichtwellen mit ganz unter­schiedlichen Frequenzen verwendet.“

Dabei zeigte sich, dass die „schlechten Metalle“ so „schlecht“ gar nicht sind: Bei niedrigen Frequenzen leiten sie zwar kaum Strom, aber bei höheren Frequenzen verhalten sie sich so, wie man das von Metallen erwarten würde. Das Forschungs­team nennt als eine mögliche Ursache winzige Mengen an Verun­reinigungen oder Fehlstellen im Material, welche von einem Metall an der Grenze zu einem Isolator nicht mehr ausreichend abgeschirmt werden können. Diese Defekte können dazu führen, dass manche Bereiche des Kristalls keinen Strom mehr leiten, weil dort die Elektronen an einem bestimmten Ort loka­lisiert bleiben anstatt sich weiterzubewegen. Wenn man an das Material eine Gleichspannung anlegt, sodass die Elektronen von einer Seite des Kristalls zur anderen wandern können, dann trifft praktisch jedes Elektron irgendwann eine solche isolierende Region, und Strom kann kaum fließen. Bei hoher Wechselstrom­frequenz hingegen bewegt sich jedes Elektron ununterbrochen hin und her – es legt im Kristall keinen weiten Weg zurück, weil es immer wieder die Richtung ändert. Das bedeutet, dass in diesem Fall viele Elektronen gar nicht in Kontakt mit einer der isolierenden Regionen im Kristall kommen.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass optische Spektro­skopie ein sehr wichtiges Werkzeug ist, um funda­mentale Fragen der Festkörper­physik zu beantworten“, sagt Pustogow. „Viele Beobachtungen, für die man bisher glaubte, exotische, neuartige Modelle entwickeln zu müssen, könnten sich sehr wohl mit bekannten Theorien erklären lassen, wenn man diese adäquat ergänzt. Unsere Mess­methode zeigt, wo die Ergänzungen notwendig sind.“ Bereits in früheren Studien konnte Pustogow mit seinen internationalen Kollegen mittels spektro­skopischen Methoden wichtigen Einblick in den Grenzbereich zwischen Metall und Isolator erlangen und damit ein Fundament für die Theorie schaffen. Das metallische Verhalten von Materialien, in denen starke Korre­lationen zwischen den Elektronen herrschen, ist auch besonders relevant für die unkonven­tionelle Supra­leitung, die bis heute nicht vollständig verstanden ist.

TU Wien / JOL

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