27.07.2018

Wasserhülle erhöht Strahlenschäden

Energietransfer führt zu stärkeren DNA-Schäden durch inter­molekularen Coulomb­zerfall.

Was für einen gesunden Organismus fatal sein kann, ist bei der Strahlen­therapie von Tumor­gewebe gerade das Ziel: Energie­reiche Strahlung löst in biologischen Zellen zahl­reiche chemische Reaktionen aus – mit zerstörerischer Wirkung für Bio­moleküle. Alpha-, Beta-, Gamma- und intensive Röntgen­strahlen, die umgangs­sprachlich als radio­aktive Strahlung bezeichnet werden, schlagen aus Bio­molekülen reaktive Teilchen wie Radikale, Ionen und langsame Elektronen heraus. Diese schädigen das Erb­gut und andere Teile der Zelle. So können sie einen oder gar beide Stränge in der Strick­leiter­struktur des DNA-Moleküls brechen. Besonders fatal wirken dabei die vielen Elektronen, die ionisierende Strahlung auf ihrem Weg durch das Gewebe aus Bio­molekülen heraus­schlägt. Sie können in einem lawinen­artigen Effekt weitere langsamere Elektronen freisetzen, die aber immer noch genügend Energie besitzen, um Bio­moleküle kaputt zu machen. Einzelne solcher Schäden an Bio­molekülen können Zellen zwar reparieren, mit einer zu großen Zahl werden sie nicht mehr fertig.

Abb.: Künstlerische Darstellung des inter­molekularen Coulomb­zerfalls in einem THF-Wasser-Dimer als Modell für einen Baustein des DNA-Moleküls (Bild: X. Ren / MPIK)

„Wir haben jetzt einen bisher unbekannten Mechanismus für Strahlen­schäden in Bio­molekülen beobachtet“, sagt Alexander Dorn, der am Max-Planck-Institut für Kern­physik eine Forschungs­gruppe leitet. Dabei spielt die Hydrat­hülle, also die Wasser­hülle, die entscheidende Rolle: Jedes Basen­paar der DNA etwa, das einer Sprosse der molekularen Strick­leiter entspricht, ist von einer Hydrat­hülle aus bis zu 22 Wasser­molekülen umgeben. Ein relativ langsames Elektron, wie es ionisierende Strahlung im Gewebe erzeugt, kann aus einem Wasser­molekül dieser Hülle ein Elektron heraus­schlagen. In das entstehende Loch fällt ein anderes Elektron aus dem Wasser­molekül, wobei Energie frei wird. Diese Energie kann dann das Bio­molekül sehr schnell ionisieren. Dieser Prozess heißt inter­molekularer Coulomb­zerfall, den Lorenz Cederbaum von Universität Heidel­berg 1997 theoretisch vorher­gesagt hat und der inzwischen in vielen Experimenten nach­gewiesen wurde.

Letztlich erzeugt ein Elektron mit relativ wenig Energie beim inter­molekularen Coulombzerfall also fünf reaktive Produkte: drei noch energie­ärmere Elektronen sowie die energie­reichen Ionen des Wassers und des Bio­moleküls. Diese Produkte können weitere Schäden anrichten, und zwar besonders gravierende. „Weil gleich mehrere reaktive Teilchen in einem Volumen, das etwa so groß ist wie ein Protein oder ein DNA-Molekül, entstehen, können sie Bio­moleküle irreparabel schädigen“, sagt Alexander Dorn. Auch wenn der Mechanismus im Vergleich zur direkten Ionisierung von Bio­molekülen relativ selten ist, sollten Bio­physiker ihn wegen der relativ großen Schäden, die dabei auftreten können, in ihren Modellen berücksichtigen, wenn sie die Aus­wirkungen von ionisierender Strahlung auf Gewebe berechnen.

Als Modell für ein DNA-Molekül mit Hydrat­hülle untersuchten die Heidel­berger Wissen­schaftler den Komplex aus Tetra­hydro­furan und einem Wasser­molekül. Das organische Molekül ähnelt dem Zucker­molekül Desoxy­ribose, einem der Bau­steine der DNA. Erzeugt ein Elektronen­stoß im Sauerstoff-Atom des Wasser­moleküls in dieser chemischen Allianz ein Loch, so kann das organische Molekül über den inter­molekularen Coulomb­zerfall ionisiert werden. Weil sich die nun jeweils positiv geladenen Wasser- und Tetra­hydro­furan-Moleküle abstoßen, bricht die schwache Bindung auf und es kommt zur Coulomb­explosion des Komplexes.

Die Experimente machten die Heidelberger Forscher mit einem Reaktions­mikroskop. „Damit können wir aus einem einzelnen Coulomb-Zerfall beide Ionen und wenigstens ein Elektron nachweisen“, sagt Xueguang Ren vom Max-Planck-Institut für Kern­physik, der die experimentellen Daten aufgenommen hat. Wissenschaftler der Universität Irkutsk in Russland unter­fütterten die Experimente mit theoretischen Studien, indem sie die Struktur des Komplexes aus Tetra­hydro­furan und Wasser sowie den Ablauf des Coulomb­zerfalls berechneten.

So untersuchten die Forscher, wie oft der Coulomb­zerfall im Vergleich zu einem anderen Prozess auftritt, der zum gleichen Ergebnis führt. Denn ein ursprüngliches, relativ energie­reiches Elektron kann nach­einander auch das Wasser- und das Tetra­hydro­furan-Molekül ionisieren. Die Physiker stellten jedoch fest, dass der Coulomb­zerfall etwa fünfmal wahr­scheinlicher ist als die Doppel­ionisierung durch zwei Stöße des ursprünglichen Elektrons. „Damit dürften auch die Strahlen­schäden durch die mehr­fache Ionisation an nah beieinander liegenden Stellen eines Bio­moleküls beim Coulomb­zerfall fünfmal größer sein“, sagt Xueguang Ren. „Wir erwarten, dass dieser Mechanismus generell ein verbreitetes Phänomen in schwach gebundenen organischen Systemen ist und einen wichtigen Mechanismus für Strahlen­schäden in hydratisierten Bio­molekülen wie DNA darstellt.“

MPIK / DE

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