Wasserstoff aus Abwärme
Pyroelektrischer Effekt von Kristallen kann zur Spaltung von Wassermolekülen genutzt werden.
Aus oft ungenutzer Abwärme in Industriebetrieben könnte regenerativ Wasserstoff erzeugt werden. Eine Grundlage dazu legte nun Rico Belitz vom Fraunhofer-Technologiezentrum Halbleitermaterialien THM in Freiberg. Er konnte zeigen, dass pyroelektrische Kristalle von außen aufgeprägte Temperaturänderungen zu einer elektrischen Aufladung der Kristalloberflächen führen. Dabei kann die Aufnahme von Ladungsträgern aus der Umgebung zur Kompensation der Oberflächenladungen ausgenutzt werden, um Wasserstoff aus Wasser zu erzeugen.
Abb.: Rico Belitz mit einem Mikroreaktor, in dem er die Wasserstofferzeugung an pyroelektrischen Kristallen nachwies. (Bild: Fh.-THM)
Der Effekt der Pyroelektrizität war bereits in der Antike bekannt, die breite technische Umsetzung erfolgte allerdings erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit der Entwicklung von Infrarot-Sensoren. Die Sensoren nutzen dabei die elektrische Aufladung der Oberflächen pyroelektrischer Materialien bei Wärmeeinwirkung aus. Auf diesem Detektor-Prinzip basiert heute der am häufigsten verwendete Typ von Bewegungsmeldern. Aber auch Pyrometer benutzen kleine, pyroelektrische Kristalle. Diese Geräte lassen sich bei der Bauthermografie zum Aufspüren von Wärmebrücken einsetzen.
Die Arbeiten am Fraunhofer THM verfolgen den Ansatz, pyroelektrische Kristalle im direkten Kontakt mit Wasser einem Temperaturwechsel auszusetzen. Die damit einhergehende Änderung der Oberflächenpotentiale von etwa Bariumtitanatkristallen ermöglicht eine Reaktion der adsorbierten Wasserstoff- und Sauerstoffionen oder -moleküle zur Bildung von gasförmigem Wasserstoff und Sauerstoff. Eine vorab durchgeführte theoretische Studie zu diesem Prozess zeigte, dass dafür eine sehr große wirksame Oberfläche der pyroelektrischen Kristalle nötig ist und die Temperaturwechsel mit hoher Frequenz erfolgen müssen, um in den Bereich messbarer Wasserstoffkonzentrationen zu gelangen.
Für eine relevante Produktionsmenge aus Sicht einer technischen Nutzung, zum Beispiel zur Wandlung von Niedertemperaturabwärme in chemische Energie, wären diese Werte noch weitaus größer. Rico Belitz und seine Kollegen vom Fraunhofer THM und vom Kurt-Schwabe-Institut für Mess- und Sensortechnik e.V. in Meinsberg hatten hier vorläufig das Ziel, das Funktionsprinzip mit einem Labordemonstrator nachzuweisen. „Als pyroelektrisches Material wurde Bariumtitanat ausgewählt. In einem Temperaturfenster von 0 bis 120 °C liegt das kristalline Material in der pyroelektrisch wirkenden, tetragonalen Phase vor, was sehr gut zum Temperaturniveau industrieller Abwärme in Rückkühlanlagen oder dem Rücklauf von Heizungssystemen passt“, erläutert Rico Belitz.
Für die Versuche wurden zunächst grobe Kristallstücke in Mörsern zu Pulver gemahlen, um die wirksame Oberfläche zu erhöhen, und dann in einen kleinen, quaderförmigen Behälter gefüllt. Nach der Polarisation in einem elektrischen Feld wurde der Behälter mit Wasser gefüllt und einer periodischen Temperaturänderung zwischen 40 und 70 °C ausgesetzt. Dies erfolgte in einem speziell dafür konzipierten Mini-Teststand. Um eine Beeinträchtigung durch den in der Atmosphäre enthaltenen Wasserstoff auszuschließen, wurde die Apparatur vor Versuchsbeginn mit Stickstoff gespült. Mit Hilfe eines hochempfindlichen Wasserstoff-Gassensors konnte nach einigen Durchläufen schließlich pyroelektrisch erzeugter Wasserstoff nachgewiesen werden, wenn auch in sehr geringen Mengen. „Dieses Ergebnis zeigt die prinzipielle Möglichkeit auf, pyroelektrische Kristalle zur Erzeugung von Wasserstoff einzusetzen. Für eine spätere technische Umsetzung ist jedoch noch weitere intensive Forschungsarbeit, insbesondere auch unter Verwendung alternativer pyroelektrischer Materialien, erforderlich“, stellt Belitz klar.
Auch wenn es noch ein langer Weg vom Nachweis der prinzipiellen Machbarkeit bis zur tatsächlichen Anwendung ist, zeigt sich ein hohes wissenschaftlich-technisches Interesse an innovativen Methoden zur Energieumwandlung. So wurde die Arbeit von Rico Belitz auf der Frühjahrstagung der European Materials Research Society Anfang Mai 2016 in Lille mit dem „Best Poster Award“ im „Symposium W – Materials and Systems for Microenergy Harvesting and Storage“ ausgezeichnet.
Fh.-THM / JOL