Wasserstoffatome unterm Mikroskop
Direkte Beobachtung von Knotenstrukturen in elektronischen Zuständen des Wasserstoffatoms.
In Atomen lassen sich mithilfe von elektronischen Wellenfunktionen unter anderem Ladungsverteilungen beschreiben, deren Größenordnung weit vom alltäglichen Erfahrungshorizont entfernt ist. Die experimentelle Beobachtung der Ladungsverteilung wird dadurch erschwert, dass der Vorgang der Messung selbst Auswirkungen auf die Wellenfunktion hat. Jede Messung erfasst außerdem selektiv nur eine Manifestation der möglichen Zustände. Physiker behalfen sich daher bislang mit Berechnungen von Ladungsverteilungen, die mit Lehrbuchwissen möglich sind. Unter der Federführung von Wissenschaftlern des Max-Born-Instituts in Berlin gelang es nun einem internationalen Forscherteam ein Mikroskop zu entwickeln, das die Vergrößerung der Wellenfunktion angeregter Wasserstoffatome um einen Faktor von mehr als zwanzigtausend erlaubt. Damit können die Knotenstrukturen der elektronischen Zustände des Wasserstoffatoms auf einem zweidimensionalen Detektor sichtbar gemacht werden. Die Ergebnisse der Arbeit stellen die Verwirklichung einer drei Jahrzehnte alten Idee dar.
Abb.: Links: Zweidimensionale Projektion von Elektronen, versehen mit Quantenzahlen (n1, n2, m) und mit (von oben nach unten) 0, 1, 2 und 3 Knoten; Rechts: Vergleich der experimentell gemessenen radialen Verteilung (durchgehende Linien) mit Ergebnissen aus quantenmechanischen Berechnungen (gestrichelte Linien). (Bild: MBI)
Immer wieder wurden neue Experimente angeregt, um die faszinierenden Vorhersagen der Quantenmechanik zu veranschaulichen. So erhielten beispielweise Haroche und Wineland den Nobelpreis 2012 für ihre Arbeiten zur Messung und Steuerung einzelner Quantensysteme in störungsfreien Quantenexperimenten, die den Weg für genauere optische Uhren und möglicherweise sogar für die zukünftige Realisierung eines Quantencomputers ebneten. Vor ungefähr 30 Jahren haben russische Theoretiker eine experimentelle Methode vorgestellt um die Eigenschaften von Wellenfunktionen zu messen. Sie schlugen vor, Experimente zur Erforschung der Laserionisierung von atomarem Wasserstoff in einem statischen elektrischen Feld durchzuführen. Sie sagten voraus, dass die Projektion von Elektronen auf einem zweidimensionalen Detektor (der senkrecht zum statischen elektrischen Feld platziert ist) die Messung von Interferenzmustern erlaubt, welche unmittelbar die Knotenstruktur der elektronischen Wellenfunktion widerspiegelt.
Diese Tatsache liegt in der besonderen Eigenschaft des Wasserstoffs begründet, welches als einziges in der Natur vorkommendes Atom nur ein Elektron enthält. Aufgrund dieser Besonderheit lassen sich die Wellenfunktionen des Wasserstoffs als Produkt von genau zwei Wellenfunktionen darstellen, welche beschreiben, wie sich die Wellenfunktion als eine Funktion zweier sog. „parabolischer Koordinaten“ verändert. Wesentlich ist, dass die Form der beiden parabelförmigen Wellenfunktionen unabhängig von der Stärke des statischen elektrischen Feldes gleichbleibend ist und somit auf der gesamten Reise des Elektrons vom Ionisierungsort zum zweidimensionalen Detektor (im hier besprochenen Experiment etwa ein halber Meter) erhalten bleibt.
Die schlüssige Idee in die experimentelle Realität umzusetzen war indessen alles andere als einfach. Da Wasserstoffatome nicht chemisch stabil sind, mussten die Forscher zunächst per Laserdissoziation ein geeignetes Vorläufermolekül (Wasserstoffdisulfid) hergestellen. Dann regten sie die Wasserstoffatome in entsprechende elektronische Zustände an, was wiederum zwei weitere, genau abzustimmende Laserquellen erforderte. Waren die Elektronen dann angeregt, kam schließlich eine äußerst empfindliche elektrostatische Linse zum Einsatz, um die physikalischen Dimensionen des Atoms in den Bereich einer Millimeterskala zu vergrößern, auf der sie sich dann mit bloßem Auge auf einem zweidimensionalen Bildwandler beobachten und mit einem Kamerasystem aufnehmen ließ.
Wie die experimentell ermittelten Projektionen auf dem zweidimensionalen Detektor zeigen, können die Knoten leicht über die Messungen erfasst werden. Der experimentelle Aufbau dient hier als Mikroskop, das es bei einer Vergrößerung um einen Faktor von etwa zwanzigtausend ermöglicht, sehr tief in ein Wasserstoffatom hinein zu schauen. Über den reinen Nachweis einer mehr als 30 Jahre alten theoretischen Überlegung hinaus, werden in dem Experiment die Feinheiten der Quantenmechanik demonstriert. „Außerdem sollten unsere Ergebnisse als ein fruchtbares Spielfeld für weitere Forschungen dienen, bei denen man beispielsweise Wasserstoffatome gleichzeitig sowohl elektrischen wie magnetischen Feldern aussetzt. Das einfachste Atom in der Natur hat immer noch eine Menge spannender Physik zu bieten“, schreiben die Forscher.
MBI / PH