09.12.2005

Weichmacher für harte Metalle

Ein neues Modell erklärt überraschende Eigenschaften von Legierungen.


Weichmacher für harte Metalle

Ein neues Modell erklärt überraschende Eigenschaften von Legierungen.

Eine Legierung aus zwei Metallen hat bisweilen Eigenschaften, die denen der beiden Ausgangsstoffe deutlich überlegen sind. Diese Tatsache nutzen die Menschen seit Beginn der Bronzezeit vor etwa 5000 Jahren: Fügt man dem weichen Kupfer ein wenig Zinn hinzu, so erhält man Bronze – ein hartes, widerstandsfähiges und gut zu verarbeitendes Metall.

Normalerweise erhöht sich die Härte von elementaren Metallen, wenn man sie legiert. Doch einige Metalle mit kubisch-raumzentriertem Kristallgitter, wie Wolfram oder Molybdän, kann man durch Zugabe von Fremdatomen weicher machen. Wie dieses „Legierungs-Weichmachen“ zustande kommt, haben jetzt zwei Forscher vom Air Force Research Lab in Dayton, Ohio, untersucht.

Dallas Trinkle und Christopher Woodward weisen darauf hin, dass das Weichwerden von Legierungen in bestimmten Temperaturbereichen durchaus erwünscht sein kann. Hitzebeständige Metalle wie Niob, Wolfram, Tantal und Molybdän sind in reiner Form bei tiefen Temperaturen zwar extrem hart, aber auch sehr spröde und schlecht formbar. Das schränkt ihre Nutzung für kritische Bauteile etwa in Turbinen stark ein. Es ist jedoch seit langem bekannt, dass Molybdän durch Legierung mit einigen Atomprozent Rhenium für Temperaturen unter 350 K weicher wird. Unklar war bisher, warum das so ist.

Die beiden Forscher haben das Problem des Legierungs-Weichmachens in drei Schritten gelöst. Zunächst berechnen sie, wie die Beweglichkeit einer Versetzung – einer linienförmigen Störung – im Kristallgitter des Molybdäns von einzelnen Fremdatomen abhängt. Dann untersuchen sie, wie statistisch verteilte Fremdatome die Beweglichkeit der Versetzungen im Kristallgitter beeinflussen. Schließlich berechnen sie daraus die makroskopische Festigkeit der Legierung – in Abhängigkeit von ihrer Zusammensetzung und von der Temperatur.

Der entscheidende mikroskopische Prozess, mit dem ein Kristall auf Beanspruchung reagiert, ist die Bewegung einzelner Versetzungslinien im Kristallgefüge. Bleiben die Versetzungen an Fremdatomen hängen, so erhöht dies die Festigkeit des Kristalls. Für die Festigkeit des Molybdänkristalls ist die Beweglichkeit von schraubenförmigen Versetzungen in \[111\]-Richtung bestimmend. Doch wie hängt die Beweglichkeit dieser Versetzungen von der Art der Fremdatome ab? Dazu führten die Forscher folgendes Gedankenexperiment durch: Sie ersetzten die Molybdänatome einer \[111\]-Atomreihe des Kristalls, die längs der Versetzungslinie lag, durch Atome der Elemente Hafnium (Hf), Tantal (Ta), Rhenium (Re), Osmium (Os), Iridium (Ir) oder Platin (Pt). Dann berechneten sie die Energien dieser atomaren Konfigurationen und vergleichen sie miteinander.

Es zeigte sich, dass Hf und Ta, die eine kleinere Zahl von d-Elektronen haben als Molybdän, den Widerstand des Kristalls gegen die Versetzungsbewegung erhöhen und damit den Kristall härter machen. Hingegen erleichtern Re, Os und Ir, die mehr d-Elektronen haben als Molybdän, die Versetzungsbewegung und machen den Kristall weicher. Platin fiel aus dem Rahmen: Obwohl es elektronenreich ist, erhöhte es die Härte, wenn auch nur geringfügig.

Wenn eine Versetzungslinie durch den Kristall wandert, bewegt sie aber nicht auf ganzer Länge. Um auf diese Weise einen Gitterplatz voranzukommen, müsste sie eine viel zu große Energiebarriere überwinden. Vielmehr bildet die Versetzung – thermisch angeregt – an einer energetisch günstigen Stelle eine Ausstülpung, durch die sie sich auf einem kleinen Abschnitt um einen Gitterplatz „vorantastet“. Es entsteht ein „Kink-Antikink-Paar“. Kink und Antikink können daraufhin, ohne große Energiebarrieren überschreiten zu müssen, entlang der Versetzungslinie in entgegengesetzte Richtungen davonlaufen. Dadurch verbreitert sich der Abschnitt der Versetzungslinie, der schon einen Gitterplatz weitergekommen ist.

Wie hängt die Beweglichkeit der Versetzungen von der Temperatur ab? Bei tiefen Temperaturen ist die thermische Anregung eines Kink-Antikink-Paares der limitierende Prozess. Bei hohen Temperaturen hingegen ist die Bewegung der Kinks und Antikinks entlang einer Versetzung entscheidend für deren Beweglichkeit. Fremdatome im Molybdänkristall beeinflussen sowohl die Entstehung der Kink-Antikink-Paare als auch die Bewegung der Kinks und Antikinks. Die Metalle Re, Os, Ir, Pt verringern die Energiebarriere, die bei der Bildung von Kink-Antikink-Paaren überwunden werden muss. Sie machen deshalb die Legierung bei tiefen Temperaturen weicher.

Bei hohen Temperaturen ist es entscheidend, ob sich die Kinks und Antikinks entlang der Versetzungen frei bewegen können oder ob sie an Clustern von Fremdatomen hängen bleiben. Je größer der Anteil der Fremdatome in der Legierung ist, umso größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich solche störenden Cluster bilden, die dann letztlich die Beweglichkeit der Versetzungen behindern und damit die Legierung härten.

Für Legierungen von Molybdän mit Re bzw. Pt haben die Forscher die Materialfestigkeit und Härte berechnet – in Abhängigkeit von der Temperatur und vom Prozentanteil der Fremdatome. Sie finden eine sehr gute Übereinstimmung mit experimentellen Werten. Mit ihrem Verfahren konnten Trinkle und Woodward also das Problem des Legierungs-Weichmachens am Beispiel des Molybdäns befriedigend erklären. Weitere Probleme aus der „Chemie der Deformationen“ sollten sich ebenfalls auf diese Weise lösen lassen.

Rainer Scharf

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