Wellen des Widerstands
Ladungsdichtewellen sind Schuld, wenn Supraleitung vor dem Erreichen praxistauglicher Temperaturen zusammenbricht.
Als Hochtemperatur-Supraleiter firmieren derzeit keramische Kuprate, die ihren elektrischen Widerstand zwar bei deutlich höheren Temperaturen verlieren als konventionelle Supraleiter, aber immer noch weit unter dem Gefrierpunkt von Wasser. Um systematisch nach neuen Supraleitern suchen zu können, müssen sich Physiker ein genaues Bild verschaffen, warum die derzeit besten überhaupt ihren Widerstand verlieren und wie sich die Temperatur, bei der das geschieht, nach oben schrauben lässt. Nun fügt eine internationale Kollaboration, in der neben dem MPI für Festkörperforschung die Universitäten Princeton und British Columbia sowie das Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie tragende Rollen spielen, mit zwei Arbeiten weitere Puzzlesteine in das Bild ein.
Abb.: Resonante Röntgenstreuung kann Ladungsdichtewellen im Innern von Kuprat-Supraleitern nachweisen. Die einfallende und austretende Strahlung ist durch die blauen Wellenlinien angedeutet. Das Koordinatensystem veranschaulicht, wie die Strahlung relativ zu den Kristallachsen a,b und c orientiert ist. (Bild: MPI-FKF)
„Wir haben in Kupraten oberhalb der Temperaturen, bei denen sie supraleitend werden, Ladungsdichtewellen gefunden“, sagt Bernhard Keimer. „Diese werden wie die Supraleitung von den starken Wechselwirkungen zwischen den Elektronen verursacht.“ Der Direktor am MPI in Stuttgart war an einer der beiden Arbeiten direkt und an der anderen beratend beteiligt.
Dass Elektronen stark miteinander wechselwirken, ist eine Voraussetzung, damit Supraleitung überhaupt entstehen kann – das wissen Physiker schon lange. Denn die Kräfte – nach dem derzeitigen Forschungsstand handelt es sich um magnetische Kräfte – schweißen je zwei Elektronen zu Cooper-Paaren zusammen, die ungebremst durch das Kristallgitter sausen. Schon lange wissen die Forscher auch, dass die starken Wechselwirkungen noch andere elektronische Phänomene hervorrufen können: Magnetismus etwa oder eben die Ladungsdichtewellen, die sich mit der Supraleitung überhaupt nicht vertragen.
„Diese verschiedenen Zustände konkurrieren in den Materialien miteinander“, erklärt Keimer. „Welcher sich durchsetzt, entscheidet sich oft nur durch eine Nasenlänge Vorsprung.“ Das heißt, ob ein Material supraleitend ist oder nicht, hängt ausgesprochen empfindlich davon ab, aus welchen Elementen es besteht und welche Struktur es bildet. Nicht zuletzt mischt dabei aber auch der Zufall mit. Auch dank der aktuellen Arbeiten bekommen die Physiker jedoch ein immer besseres Gefühl dafür, unter welchen Umständen Supraleitung auftritt. „Wir kommen also dem Ziel näher, diesen Zustand vorhersagen zu können und somit Materialien zu entwickeln, die schon bei hohen Temperaturen supraleitend werden“, sagt der Physiker.
Zum besseren Verständnis der Supraleitung trägt die Kollaboration nun mit Experimenten an zwei Materialien bei, die neben Kupferoxid als charakteristische Komponente Wismut enthalten und entsprechend der verschiedenen Anteile der Elemente Bi2201 und Bi2212 genannt werden. Jeweils eine einzige Probe des Materials untersuchten die Forscher mit verschiedenen Methoden: Beide Materialien durchleuchteten die Stuttgarter mit resonanter Röntgenstreuung in Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe des HZB am dortigen Synchrotron BESSY. Diese Experimente enthüllten Details über die Ladungsverteilung im Innern der Materialien. An der Princeton-University tasteten die Projektpartner die Probe mit einem Rastertunnel-Mikroskop ab, das die Ladungsverteilung an der Oberfläche erfasst. Die Bi2201-Probe untersuchten Physiker der UBC zudem mit der winkelaufgelösten Photoelektronen-Spektroskopie, die weitere Einzelheiten der elektronischen Struktur an der Oberfläche des Materials offenlegt.
Mithilfe der sich ergänzenden Untersuchungen wiesen die Forscher für beide Proben nach, dass die Ladungswellen in verschiedenen bismuthhaltigen Kupraten auftreten, und zwar im gesamten Material und nicht etwa nur an der Oberfläche. „Da wir die Ladungsdichtewellen vorher schon an einem anderen Kuprat-Supraleiter gefunden haben, können wir davon ausgehen, dass sie in allen Kuprat-Supraleitern auftreten und die Supraleitung zestören“, sagt Bernhard Keimer.
Mit einer der beiden Arbeiten vervollständigten die Wissenschaftler das Puzzle der Hochtemperatur-Supraleitung aber noch an anderer Stelle. Sie können nämlich Auffälligkeiten in der Bandstruktur dieser Materialien erklären. Bei Supraleitern treten in der Bandstruktur Pseudolücken auf, wegen denen sich die Ladungsträger nicht mehr ungehindert durch das Material bewegen können. „Wir haben jetzt festgestellt, dass die Ursache der Pseudolücke in den Ladungsdichtewellen liegt“, sagt Keimer. Das lässt sich auch gut nachvollziehen: Wenn die Elektronen eine feste Ordnung einnehmen, verlieren sie ihre Beweglichkeit. „Letztlich lassen sich Pseudolücken also auch auf die starken Wechselwirkungen der Elektronen zurückführen“, so Keimer.
In Zukunft wird es also darum gehen, die starken Wechselwirkungen der Elektronen exakt kontrollieren zu können. Nur dann können Physiker und Materialwissenschaftler die Kräfte kanalisieren, damit diese auch bei normaler Umgebungstemperatur als Kitt der Cooper-Paare fungieren und nicht etwa Ladungsdichtewellen erzeugen.
MPG / OD