09.06.2011

Wellenfunktion direkt gemessen

Durch eine Kombination aus schwacher Orts- und vollständiger Impulsmessung lässt sich die komplexe Wellenfunktion einzelner Photonen direkt bestimmen.

Durch eine Kombination aus schwacher Orts- und vollständiger Impulsmessung lässt sich die komplexe Wellenfunktion einzelner Photonen direkt bestimmen.

Alles was man über ein quantenmechanisches System wissen kann, steckt in seiner Wellenfunktion. Sie beschreibt die statistische Verteilung von Messergebnissen, die man durch Messungen an vielen identischen Kopien des Quantensystems erhält. Bisher konnte man die Wellenfunktion nur indirekt durch „Tomographie“ aus den Messergebnissen für unterschiedliche Beobachtungsgrößen erschließen. Doch jetzt haben Forscher in Kanada ein Verfahren entwickelt und experimentell erprobt, mit dem man die Wellenfunktion direkt messen kann.

Abb.: Die millimetergenau gemessene Wellenfunktion eines Photons: Realteil blau und Imaginärteil rot dargestellt. (Bild: Jeff S. Lundeen et al., Nature)

Jeff Lundeen und seine Kollegen vom Institute for National Measurement Standards in Ottawa haben an einem Photonenstrahl die komplexe Wellenfunktion ψ(x) der einzelnen Photonen längs einer Richtung senkrecht zum Strahl bestimmt. Sie benutzten dazu das Verfahren der „schwachen Messung“ einer Observablen. Dabei schwächt man die Kopplung zwischen Messgerät und Quantensystem soweit ab, dass dieses nur wenig gestört wird. Entsprechend ungenau ist das Ergebnis der Messung. Anschließend wird auf herkömmliche Weise die dazu komplementäre Observable gemessen. Führt man die beiden Messungen an einem Ensemble von identisch präparierten Quantensystemen durch und wählt diejenigen aus, bei denen die zweite Messung ein bestimmtes Resultat ergeben hat, so kann man aufgrund dieser „Postselektion“ wichtige Informationen aus den Ergebnissen der schwachen Messung herausdestillieren.

Zwischen dem Resultat einer schwachen Messung und dem einer vollständigen Messung bestehen zwei bemerkenswerte Unterschiede. Zum einen kann das „schwache“ Messergebnis für eine beschränkte Observable wie etwa den Spin größer sein als ihr größter Eigenwert (also als das größte Ergebnis, was eine vollständige Messung ergeben könnte). So hatten schon Yakir Aharonov und Lev Vaidman, auf die die Idee der schwachen Messung zurückgeht, darauf hingewiesen, dass eine schwache Spin-Messung an einem Spin-1/2-Teilchen z. B. den Wert 100 ergeben kann. Diesen Verstärkungseffekt hatten Onur Hosten und Paul Kwiat vor drei Jahren genutzt, um den winzigen Spin-Hall-Effekt von Photonen beobachten zu können.

Während die Messung einer Observablen immer eine reelle Zahl als Ergebnis liefert, kann eine schwache Messung auch ein komplexes Resultat haben. Das brachte Lundeen und seine Kollegen auf die Frage, ob man durch eine schwache Ortsmessung, gefolgt von einer vollständigen Impulsmessung, die komplexe Wellenfunktion von Photonen direkt messen kann. Ihre Berechnungen bestätigten dies. Zum experimentellen Nachweis erzeugten sie viele Photonen mit derselben Wellenfunktion. Die Photonen kamen von einem Laser und wurden durch eine Glasfaser in die Versuchsapparatur geleitet. Sie passierten einen Polarisator, der sie linear senkrecht polarisierte, eine Linse, die das Laserlicht parallel zur optischen Achse machte und auf eine rechteckige Blende lenkte, und anschließend eine zweite Linse, die die Photonen auf einen Spalt fokussierte, der auf der optischen Achse lag. Schließlich wurden die Photonen analysiert und von Detektoren registriert.

In der rechteckigen Blende fand eine schwache Ortsmessung statt. Hier mussten die Photonen, die den Abstand x von der optischen Achse hatten, ein millimetergroßes Plättchen passieren, das ihre Polarisationsrichtung um 20° verdrehte. Dadurch erhielt die Polarisation eines Photons Information über seine x-Koordinate. Allerdings war diese Information nicht vollständig. Nur bei einer Drehung der Polarisationsrichtung um 90° hätte man eindeutig sagen können, ob das Photon das Plättchen passiert hatte oder nicht. Dann wäre aber der zur x-Koordinate komplementäre x-Impuls völlig unbestimmt gewesen. Nach der schwachen x-Messung war der x-Impuls jedoch nur wenig gestört.

Die zweite Linse bewirkte eine Fourier-Transformation und brachte die Wellenfunktion der Photonen von der Orts- in die Impulsdarstellung. Insbesondere hatten die von der Linse auf den Spalt fokussierten Photonen den x-Impuls Null. Die so postselektierten Photonen wurden nun durch einen Analysator geschickt, der die in ihrer Polarisation enthaltene Information auswertete. Dabei wurde für jede x-Position des Plättchens gezählt, wie viele Photonen am Ende horizontal bzw. vertikal polarisiert waren. Die Berechnungen der Forscher zeigten, dass das Verhältnis der beiden Wahrscheinlichkeiten proportional zum Realteil von ψ(x) war. Eine Auszählung der zirkular rechts- bzw. linkspolarisierten Photonen ergab den Imaginärteil von ψ(x). Indem das Plättchen in Millimeterschritten längs der x-Richtung verschoben wurde, ließ sich ψ(x) millimetergenau rekonstruieren.

Die Forscher überprüften ihr Verfahren dadurch, dass sie der Wellenfunktion mit geeigneten Blenden bestimmte Formen gaben. Wie sich zeigte, stimmten die berechneten und die gemessenen Wellenfunktionen hervorragend miteinander überein. Jeff Lundeen und seine Kollegen weisen darauf hin, dass man mit ihrer Methode auch die Wellenfunktionen anderer Quantensysteme wie Atom- und Molekülorbitale oder ultrakurze Wellenpakete wird messen können. Auch für die Quanteninformationsverarbeitung ist das Verfahren interessant. Ob es sich aber auch gegen die hier bisher eingesetzte Zustandstomographie durchsetzen kann, muss sich noch erweisen. Doch schon jetzt hat sich die Wellenfunktion als eine reale und beobachtbare Eigenschaft von Quantensystem erwiesen.

Rainer Scharf

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