Weltrekord: Material unter Höchstdruck
Weiterentwicklung von Diamantstempelzellen ermöglicht mehr als sechs Millionen Atmosphären.
Völlig neue Dimensionen für die Materialwissenschaften eröffnet eine neue, an der Universität Bayreuth entwickelte Forschungstechnik. Erstmals ist es unter normalen Raumtemperaturen im Laboratorium gelungen, extrem hohe statische Drücke von mehr als sechs Millionen Atmosphären zu erzeugen Dieser Druck ist sechs Millionen Mal so stark wie der Luftdruck auf der Erdoberfläche und eineinhalb Mal so stark wie der Druck, der im Zentrum der Erde herrscht. Bisher wurden in der Materialforschung höchstens rund 420 Gigapascal erreicht. „Wenn wir die Eigenschaften, Strukturen und Verhaltensweisen von Materialien unter derart extremen Bedingungen erforschen können, hat das weitreichende Auswirkungen auf zahlreiche Wissenschaftszweige, insbesondere die Geowissenschaften, die Kosmologie, die Chemie und die Physik kondensierter Materie“, erklärt Leonid Dubrovinsky vom Bayerischen Geoinstitut. „Wir haben beispielsweise ganz neue Chancen, um die Entstehung der Erde zu erforschen oder um herauszufinden, wie sich Eisen unter extremen Drücken verhält.“ Eisen ist das Material, das im Erdkern am häufigsten vorkommt.
Abb.: Schematische Darstellung der zweistufig aufgebauten Diamantstempelzelle (links unten): Zwischen den Flächen der beiden Diamant-Einkristalle sind zwei erheblich kleinere nanokristalline Diamanten fixiert. Dazwischen wird die Materialprobe komprimiert. - Die Abbildung zeigt das bei einem Druck von 640 Gigapascal entstandene Röntgen-Beugungsmuster einer Mischung aus Rhenium und Gold. (Bild: U Bayreuth)
Die neue Forschungstechnik ist eine – im Ergebnis revolutionäre – Weiterentwicklung von Diamantstempelzellen (diamond anvil cells), die in der Materialforschung schon seit längerem zum Einsatz kommen. Das Prinzip dieser Apparaturen: Die Probe des zu untersuchenden Materials wird zwischen den Flächen zweier Diamanten platziert. Diese Diamanten pressen die Materialprobe aus entgegensetzten Richtungen zusammen. Sind die Drücke, die von beiden Seiten auf die Probe einwirken, hoch genug, kann das Material seine inneren Strukturen grundlegend ändern.
In diesen herkömmlichen Diamantstempelzellen lassen sich mit relativ hohem technischen Aufwand Drücke bis zu rund 250 Gigapascal generieren. Doch mit einer kleinen, aber entscheidenden Modifikation haben die Bayreuther Wissenschaftler diesen Wert um rund 150 Prozent steigern können. Sie verwenden dafür Diamant-Einkristalle mit jeweils zirka 0,25 Karat. Diese Diamanten kommen jetzt aber nicht mehr direkt mit der Materialprobe in Berührung. Vielmehr wird auf jeder der einander gegenüberliegenden Diamantflächen ein halbkugelförmiger nanokristalliner Diamant befestigt, der einen Durchmesser von 20 bis 50 Mikrometern – also von 0,02 bis 0,05 Millimetern – hat. Die winzigen runden Köpfe dieser Diamanten liegen präzise einander gegenüber. Zwischen ihnen wird nun die Materialprobe platziert.
Der Clou dieser Konstruktion ist der zweistufigen Aufbau der Diamantstempelzelle. Der Druck, der von den gegenüberliegenden Einkristallen ausgeht, konzentriert sich jetzt in den winzigen „Köpfen“ der beiden halbkugelförmigen Diamanten. Weshalb können diese der enormen Drucksteigerung standhalten? Der Grund liegt in ihrem inneren Aufbau. Die Diamanten werden deshalb als nanokristallin bezeichnet, weil sie sich aus winzigen Nanopartikeln zusammensetzen. Physikalisch gesprochen: Sie besitzen eine Korngröße von weniger als 50 Nanometern. Im Vergleich mit den Diamant-Einkristallen, auf denen sie befestigt werden, verfügen sie deshalb über eine viel höhere Druckfestigkeit. Denn je geringer die Korngröße eines Diamants ist, desto robuster verhält er sich unter extremen Drücken und Temperaturen.
Abb.: Natalia Dubrovinskaia und Leonid Dubrovinsky bei Synchrotron-Experimenten. (BIld: U Bayreuth)
"Nanokristalline Diamanten könnten sich für die materialwissenschaftliche Hochdruckforschung als Material der Zukunft erweisen", erklärt Natalia Dubrovinskaia, Heisenberg-Professorin für Materialphysik und Technologie bei extremen Bedingungen an der Universität Bayreuth. Diese Diamanten lassen sich aus glasigem Carbon mithilfe einer neuen Hochdruck-Synthesetechnik herstellen, und zwar auf relativ kostengünstige Weise.
Die neue Forschungstechnik wurde in Kooperation mit der Universität Chicago erprobt, genauer: mit der Advanced Photon Source des Argonne National Laboratory (ANL). Hier haben die Bayreuther Wissenschaftler gemeinsam mit U.S.-amerikanischen Kollegen Experimente auf der Basis von Synchrotronstrahlung durchgeführt, die durch eine Beamline ausgerichtet und gefiltert wird. Mit einer hochleistungsfähigen Röntgen-Beugungstechnik haben sie winzige Materialproben untersucht, die eine Dicke von weniger als 0,001 Millimetern hatten.
Das internationale Forschungsteam zeigt sich zuversichtlich, die in der Materialforschung eingesetzten Drücke mithilfe des neuen Verfahrens erheblich steigern zu können. Drücke von ein Terapascal – also von zehn Millionen Atmosphären – seien kein unrealistisches Ziel mehr.
U. Bayreuth / CT