Weniger Verluste durch Reibung
Detailanalyse kann zu optimierten Werkstoffen mit geringerem Verschleiß führen.
Verschleiß führt zu erheblichen wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Folgen. Alle beweglichen Teile sind davon betroffen, ob es sich um ein Lager in einer Windkraftanlage oder ein künstliches Hüftgelenk handelt. Bis heute ist jedoch weitgehend unklar, wie genau Verschleiß entsteht. Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie KIT konnten nun belegen, dass der Effekt bereits bei der ersten Berührung auftritt und sich immer an einer ganz bestimmten Stelle im Material abspielt. Die Erkenntnisse sollen langfristig dazu dienen, optimierte Materialien zu entwickeln, um Energie und Rohstoffe einzusparen.
Abb.: Hart trifft auf weich: Wenn die Saphirkugel über die Kupferprobe fährt, bewirkt dies bereits beim ersten Kontakt eine dauerhafte Veränderderung im Material. (Bild: P. Schreiber, KIT-IAM)
Wo Objekte aneinander haften, übereinander gleiten oder rollen, tritt Reibung auf. So werden etwa rund dreißig Prozent der Energie im Transportsektor aufgewendet, um Reibung zu überwinden. In Deutschland kosten Reibung und Verschleiß rund 1,2 bis 1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, im Jahr 2017 also zwischen 42,5 bis 55,5 Milliarden Euro. Während die Konsequenzen jedoch beim Reiben der Hände noch einfach zu verstehen sind – sie werden warm – reagieren Materialien deutlich komplizierter. „Hier verändert sich gleichzeitig vieles. Aber wie diese Veränderung genau beginnt, wo Verschleißpartikel wirklich entstehen und wie sich die Reibungsenergie auswirkt, ist bis heute weitgehend unverstanden, da wir bisher kaum direkt unter die Oberfläche der Reibpartner schauen konnten“, so Peter Gumbsch, Lehrstuhlinhaber für Werkstoffmechanik am KIT und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik.
„Mit unseren neuen mikroskopischen Methoden gelingt uns das heute. Dann sieht man im Material eine scharfe Grenzfläche, und an dieser Grenze werden die Verschleißpartikel abgelöst. Die Frage ist, wo diese Schwächung im Material herkommt?“, fragt sich Gumbsch. Tatsächlich fanden die Wissenschaftler bei ihren Experimenten immer eine scharfe Linie in 150 bis 200 Nanometer Materialtiefe. Sie entsteht schon nach dem ersten Kontakt und ist nicht umkehrbar. Damit ist bereits der Grundstein für die zukünftige Schwachstelle im Material gelegt. Die Wissenschaftler experimentierten mit verschiedenen Materialien, etwa Kupfer, verschiedenen Messinglegierungen, Nickel, Eisen oder Wolfram, immer mit dem gleichen Resultat. „Diese Ergebnisse sind völlig neu. Wir haben mit so etwas überhaupt nicht gerechnet“, sagt Gumbsch. Die Erkenntnisse tragen dazu bei, Vorgänge, die sich bei der Reibung abspielen, auf einer molekularen Ebene grundlegend nachzuvollziehen. „Wenn wir die auftretenden Effekte verstehen, können wir gezielt eingreifen. Mein Ziel ist es, Richtlinien zu entwickeln, mit deren Hilfe man zukünftig Legierungen oder Materialien mit besseren Reibungseigenschaften herstellen kann“, so Gumbsch.
Bei dem aufgetretenen Defekt im Material handelt es sich um Versetzungen. Diese sind für plastische, also unumkehrbare Verformungen verantwortlich. Der Effekt entsteht, wenn sich Atome gegeneinander verschieben. Im Material entsteht dabei gewissermaßen eine atomare Welle ähnlich der Bewegung einer Schlange. „Wir haben festgestellt, dass sich diese Versetzungen während des Reibvorgangs selbst organisiert zu der beobachteten linienartigen Struktur zusammenfügen. Dieser Effekt ist bei jedem Versuch in gleicher Weise aufgetreten“, erläutert Christian Greiner vom KIT-Institut für Angewandte Materialien - Computational Materials Science.
Die Wissenschaftler verglichen den beobachteten Effekt mit der mechanischen Spannungsverteilung im Material, die sich analytisch berechnen lässt. Die Berechnungen bestätigten, dass sich bestimmte Versetzungstypen in einem Spannungsfeld mit einer Materialtiefe zwischen 100 und 200 Nanometer selbst organisieren. Zusätzlich zum erwähnten Effekt untersuchten die Wissenschaftler an Kupferproben, wie sich Reibung auf die Oxidation von Oberflächen auswirkt. Nach wenigen Reibungszyklen bildeten sich auf der Oberfläche Kupferoxidflecken, die mit der Zeit zu halbkreisförmigen nanokristallinen Kupferoxidclustern anwuchsen.
Die etwa drei bis fünf Nanometer großen Kupfer-2-Oxid-Nanokristalle waren von einer amorphen Struktur umgeben und wuchsen immer mehr in das Material hinein, bis sie überlappten und eine geschlossene Oxidschicht bildeten. Dieses Phänomen, so Greiner, sei schon lange bekannt, aber auch hier sei noch nicht erforscht, wie es zu dem Effekt käme. „Es ist sehr wichtig zu verstehen, wie durch Reibung verursachte Oxidation vonstattengeht. In materialwissenschaftlichen Untersuchungen ist Kupfer ein sehr häufiges Material. Aber auch als Ausgangsmaterial für bewegliche Teile spielt es eine wichtige Rolle“, so Greiner. Viele Lager bestehen aus Kupferlegierungen wie Bronze oder Messing. Daher stoßen die Untersuchungsergebnisse in der kupferverarbeitenden Industrie auf großes Interesse.
Der Versuchsansatz für beide Untersuchungen ist denkbar einfach: Eine Kugel aus Saphir wird dazu sehr sanft, langsam und kontrolliert in gerader Linie über ein Plättchen aus hochreinem Kupfer gezogen. Die Saphirkugel wurde gewählt, da sie einen immer gleichen, reproduzierbaren Kontaktpunkt garantiert und außerdem der Reibungseffekt auf die Kugel selbst wegen der Härte von Saphir vernachlässigbar ist. Nach jeder Überfahrung maßen die Forscher die entstandenen Verformungen und die dadurch hervorgerufenen strukturellen Veränderungen im Inneren der Metalle. In einem einzigartigen Ansatz koppelten sie dazu Reibexperimente mit Methoden der zerstörungsfreien Prüfung sowie mit Data-Science-Algorithmen und hochauflösender Elektronenmikroskopie.
KIT / JOL