16.08.2018

Weniger Verluste durch Reibung

Detailanalyse kann zu optimierten Materialien mit geringerem Verschleiß führen.

Verschleiß führt zu erheblichen wirtschaft­lichen oder gesund­heitlichen Folgen. Alle beweg­lichen Teile sind davon betroffen, ob es sich um ein Lager in einer Windkraft­anlage oder ein künst­liches Hüftgelenk handelt. Bis heute ist jedoch weitgehend unklar, wie genau Verschleiß entsteht. Wissen­schaftler des Karlsruher Instituts für Techno­logie KIT konnten nun belegen, dass der Effekt bereits bei der ersten Berührung auftritt und sich immer an einer ganz bestimmten Stelle im Material abspielt. Die Erkennt­nisse sollen langfristig dazu dienen, opti­mierte Materialien zu entwickeln, um Energie und Rohstoffe einzu­sparen.

Abb.: Hart trifft auf weich: Wenn die Saphirkugel über die Kupferprobe fährt, bewirkt dies bereits beim ersten Kontakt eine dauerhafte Veränderderung im Material. (Bild: P. Schreiber, KIT-IAM)

Wo Objekte aneinander haften, über­einander gleiten oder rollen, tritt Reibung auf. So werden etwa rund dreißig Prozent der Energie im Transport­sektor aufgewendet, um Reibung zu überwinden. In Deutsch­land kosten Reibung und Verschleiß rund 1,2 bis 1,7 Prozent des Bruttoinlands­produkts, im Jahr 2017 also zwischen 42,5 bis 55,5 Milliarden Euro. Während die Konse­quenzen jedoch beim Reiben der Hände noch einfach zu verstehen sind – sie werden warm – reagieren Materialien deutlich kompli­zierter. „Hier verändert sich gleich­zeitig vieles. Aber wie diese Veränderung genau beginnt, wo Verschleiß­partikel wirklich entstehen und wie sich die Reibungs­energie auswirkt, ist bis heute weitgehend unver­standen, da wir bisher kaum direkt unter die Oberfläche der Reib­partner schauen konnten“, so Peter Gumbsch, Lehrstuhl­inhaber für Werkstoff­mechanik am KIT und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Werkstoff­mechanik.

„Mit unseren neuen mikro­skopischen Methoden gelingt uns das heute. Dann sieht man im Material eine scharfe Grenzfläche, und an dieser Grenze werden die Verschleiß­partikel abgelöst. Die Frage ist, wo diese Schwächung im Material herkommt?“, fragt sich Gumbsch. Tatsächlich fanden die Wissen­schaftler bei ihren Experi­menten immer eine scharfe Linie in 150 bis 200 Nanometer Material­tiefe. Sie entsteht schon nach dem ersten Kontakt und ist nicht umkehrbar. Damit ist bereits der Grundstein für die zukünftige Schwach­stelle im Material gelegt. Die Wissen­schaftler experi­mentierten mit verschiedenen Materialien, etwa Kupfer, verschiedenen Messing­legierungen, Nickel, Eisen oder Wolfram, immer mit dem gleichen Resultat. „Diese Ergeb­nisse sind völlig neu. Wir haben mit so etwas überhaupt nicht gerechnet“, sagt Gumbsch. Die Erkennt­nisse tragen dazu bei, Vorgänge, die sich bei der Reibung abspielen, auf einer mole­kularen Ebene grund­legend nachzu­vollziehen. „Wenn wir die auftre­tenden Effekte verstehen, können wir gezielt eingreifen. Mein Ziel ist es, Richt­linien zu entwickeln, mit deren Hilfe man zukünftig Legie­rungen oder Materialien mit besseren Reibungseigenschaften herstellen kann“, so Gumbsch.

Bei dem aufge­tretenen Defekt im Material handelt es sich um Versetzungen. Diese sind für plastische, also unumkehr­bare Verfor­mungen verant­wortlich. Der Effekt entsteht, wenn sich Atome gegen­einander verschieben. Im Material entsteht dabei gewisser­maßen eine atomare Welle ähnlich der Bewegung einer Schlange. „Wir haben festgestellt, dass sich diese Versetzungen während des Reib­vorgangs selbst organisiert zu der beobach­teten linien­artigen Struktur zusammen­fügen. Dieser Effekt ist bei jedem Versuch in gleicher Weise aufge­treten“, erläutert Christian Greiner vom KIT-Institut für Ange­wandte Materialien - Compu­tational Materials Science.

Die Wissen­schaftler verglichen den beobach­teten Effekt mit der mechanischen Spannungs­verteilung im Material, die sich analytisch berechnen lässt. Die Berechnungen bestätigten, dass sich bestimmte Versetzungs­typen in einem Spannungs­feld mit einer Material­tiefe zwischen 100 und 200 Nano­meter selbst orga­nisieren. Zusätz­lich zum erwähnten Effekt unter­suchten die Wissens­chaftler an Kupferproben, wie sich Reibung auf die Oxi­dation von Oberflächen auswirkt. Nach wenigen Reibungs­zyklen bildeten sich auf der Oberfläche Kupferoxid­flecken, die mit der Zeit zu halbkreis­förmigen nano­kristallinen Kupferoxid­clustern anwuchsen.

Die etwa drei bis fünf Nano­meter großen Kupfer-2-Oxid-Nano­kristalle waren von einer amorphen Struktur umgeben und wuchsen immer mehr in das Material hinein, bis sie überlappten und eine geschlossene Oxid­schicht bildeten. Dieses Phänomen, so Greiner, sei schon lange bekannt, aber auch hier sei noch nicht erforscht, wie es zu dem Effekt käme. „Es ist sehr wichtig zu verstehen, wie durch Reibung verur­sachte Oxidation von­stattengeht. In material­wissenschaft­lichen Unter­suchungen ist Kupfer ein sehr häufiges Material. Aber auch als Ausgangs­material für beweg­liche Teile spielt es eine wichtige Rolle“, so Greiner. Viele Lager bestehen aus Kupfer­legierungen wie Bronze oder Messing. Daher stoßen die Untersuchungs­ergebnisse in der kupfer­verarbeitenden Industrie auf großes Interesse.

Der Versuchs­ansatz für beide Unter­suchungen ist denkbar einfach: Eine Kugel aus Saphir wird dazu sehr sanft, langsam und kontroll­iert in gerader Linie über ein Plättchen aus hoch­reinem Kupfer gezogen. Die Saphirkugel wurde gewählt, da sie einen immer gleichen, reprodu­zierbaren Kontakt­punkt garantiert und außerdem der Reibungs­effekt auf die Kugel selbst wegen der Härte von Saphir vernachlässigbar ist. Nach jeder Überfahrung maßen die Forscher die entstan­denen Verfor­mungen und die dadurch hervor­gerufenen strukturellen Verän­derungen im Inneren der Metalle. In einem einzig­artigen Ansatz koppelten sie dazu Reib­experimente mit Methoden der zerstörungs­freien Prüfung sowie mit Data-Science-Algorithmen und hochauf­lösender Elektronen­mikroskopie.

KIT / JOL

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