30.04.2020

Wenn aus Mesonen Licht wird

Die neu vermessene Lebensdauer neutraler Pionen liegt noch im Rahmen des Standardmodells.

Neutrale Pionen sind die leichtesten Teilchen, die gebundene Zustände der starken Wechsel­wirkung darstellen. Sie sind Mesonen, die aus einem Quark-Antiquark-Paar bestehen, und zwar aus einer Mischung von Up- und Anti-Up- sowie Down- und Anti-Down-Paaren. Da sie die einfachsten Elementar­teilchen der starken Wechselwirkung miteinander verbinden und sich ihre Zerfallsraten gut berechnen lassen, wurden sie auch schon als „Positronium der Quanten­chromodynamik“ bezeichnet – analog zum rein elektro­magnetischen Bindungszustand aus Elektron und Positron. 

 

Abb.: Schematischer Aufbau des Experiments PrimEx-II. (Bild: I. Larin et al.)
Abb.: Schematischer Aufbau des Experiments PrimEx-II. (Bild: I. Larin et al.)

Wenn neutrale Pionen zerfallen, entstehen dabei zwei Gammaquanten. Bei diesem Zerfall sticht die kurze Lebensdauer der neutralen Pionen ins Auge, die auf die Besonderheit von chiralen Symmetrien bei solchen Wechsel­wirkungen hinweisen. Damit bieten neutrale Pionen nicht nur selbst einen Test für fundamentale Fragen zum Standardmodell der Teilchen­physik, sondern können auch eine Grundlage für andere derartige Tests bieten. Ein inter­nationales Forscher­team der PrimEx-Kollaboration hat diese Zerfälle nun mit der bislang höchsten Präzision untersucht. Wie sich heraus­stellte, gibt es nur eine kleine Diskrepanz zu den theoretisch ableit­baren Erwartungen. Diese wird in Zukunft noch genauer zu untersuchen sein.

Die Quanten­chromodynamik ist dafür berüchtigt, dass ihre Kopplungen bei wachsender Reichweite nicht abnehmen – im Gegensatz zu allen anderen Natur­kräften. Das sorgt zusammen mit ihrer Symmetrieg­ruppe einerseits dafür, dass gebundene Zustände nur in Komposit­systemen von zwei oder mehr Quarks möglich sind. Denn wenn man versucht, ein Quark aus einem solchen System zu entfernen, steigt die dafür notwendige Energie schnell so stark an, dass per Paar­erzeugung weitere Quarks entstehen, die sich wiederum zu Komposit­systemen zusammensetzen. Und zweitens sorgt diese Eigenheit der Quanten­chromodynamik dafür, dass sich viele Berechnungen nicht so wie in der Quantenelektrodynamik oder bei der schwachen Wechsel­wirkung störungs­theoretisch durchführen lassen. Dieser nicht-perturbative Charakter bedingt aufwändige Gitterrechnungen, will man stark wechsel­wirkende Systeme besser verstehen. Auch dann sind schon die theoretischen Fehler aber häufig groß.

Die Zerfallsrate von neutralen Pionen gehört jedoch zu den wenigen Observablen der stark wechselwirkenden Teilchen, die sich auch analytisch noch berechnen lassen. Damit bieten diese Teilchen einen hervor­ragenden Test für die Quantenchromo­dynamik im nieder­energetischen, nicht-perturbativen Bereich. Insbesondere der Vergleich mit verwandten Teilchen ist hierbei aufschluss­reich. So ist etwa das Produkt aus der Halbwerts­zeit von neutralen Pionen und positiv geladenen Pionen – die über die schwache Wechselwirkung zerfallen – lediglich von den Pionenmassen abhängig und nicht von anderen hadronischen Eigen­schaften. Außerdem lässt sich das Matrixelement, das den Übergang vom Vakuum zu einem Zwei-Photonen­zustand beschreibt, exakt aus der Feinstruktur­konstanten und den Photon-Impulsen ableiten. Vergleicht man dies mit dem Zerfall geladener Pionen zu Myonen und Neutrinos, stellt sich heraus, dass die Kopplung der neutralen Pionen an den Zwei-Photonen-Zustand umgekehrt propor­tional zur Zerfalls­amplitude der geladenen Pionen sein muss. Dies liefert eine gute Voraussetzung, um fundamentale Tests des Standard­modells über die sonst notorisch schwierig zu handhabende starke Wechselwirkung anzustellen.

Die Forscher erzeugten die neutralen Pionen über den Primakoff-Effekt. Hierbei entstehen die Pionen aus einem hochenerge­tischen Photon, das auf ein virtuelles Photon in Nähe eines Atomkerns trifft. Die hochener­getischen Photonen koppelten die Forscher aus dem Strahl des Teilchen­beschleunigers am Jefferson Laboratory aus. Als Target-Atomkerne dienten Kohlenstoff-12 und Silizium-28. Da neutrale Pionen eine sehr kurze Lebensdauer haben, verwendeten die Forscher Photonen mit genau bekanntem Energie- und Zeitstempel. Schon die früheren Versuche der Kollaboration mit dem Experiment PrimEx-I konnten eine gute Genauigkeit erreichen. Nun legten die Forscher der Kolla­boration mit dem Nachfolgeexperiment PrimEx-II die Latte ein Stück höher. Sie konnten 83.000 Ereignisse an bei Kohlenstoff-12 als Target nachweisen und 166.000 Ereignisse bei Silizium-28 – eine sechsfache Steigerung zum Vorläufer­experiment. Sie ermittelten als Kombination der Daten von PrimEx-I und PrimEx-II eine Lebensdauer der neutralen Pionen von 8.34 (± 0.13) × 10−17 Sekunden, wobei der Fehler nur noch 1,5 Prozent beträgt.

Die gemessenen Werte passen ganz gut zu den besten analytischen Vorhersagen, die nur um rund 1,8 Standard­abweichungen hiervon abweichen und einen ähnlich hohen Fehler aufweisen. Dieser Unterschied könnte allerdings Grund liefern, sich die Rechnungen noch einmal genauer anzuschauen. Neuere Gitter­rechnungen sind in Einklang mit diesen Ergebnissen, weisen aber noch einen relativ hohen Fehler von rund sieben Prozent auf. Dieser Fehler dürfte sich aber in nicht allzu ferner Zukunft deutlich drücken lassen. 

Die Untersuchung solcher Prozesse wirft auch neues Licht auf ähnliche Systeme zum Test des Standardmodells. Die Streuung von Licht an Licht unter Erzeugung eines resonanten Zustands aus neutralen Pionen spielt auch als virtueller Prozess beim magne­tischen Dipolmoment von Myonen eine Rolle. Dort liefern solche Prozesse mit die wichtigsten Beiträge dafür, dass das Dipolmoment vom Wert zwei abweicht. Damit erhöhen die experimentellen und theoretischen Präzisions­untersuchungen an neutralen Pionen auch die Empfind­lichkeit anderer fundamentaler Tests des Standard­modells.

Dirk Eidemüller

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