Wenn aus Mesonen Licht wird
Die neu vermessene Lebensdauer neutraler Pionen liegt noch im Rahmen des Standardmodells.
Neutrale Pionen sind die leichtesten Teilchen, die gebundene Zustände der starken Wechselwirkung darstellen. Sie sind Mesonen, die aus einem Quark-Antiquark-Paar bestehen, und zwar aus einer Mischung von Up- und Anti-Up- sowie Down- und Anti-Down-Paaren. Da sie die einfachsten Elementarteilchen der starken Wechselwirkung miteinander verbinden und sich ihre Zerfallsraten gut berechnen lassen, wurden sie auch schon als „Positronium der Quantenchromodynamik“ bezeichnet – analog zum rein elektromagnetischen Bindungszustand aus Elektron und Positron.
Wenn neutrale Pionen zerfallen, entstehen dabei zwei Gammaquanten. Bei diesem Zerfall sticht die kurze Lebensdauer der neutralen Pionen ins Auge, die auf die Besonderheit von chiralen Symmetrien bei solchen Wechselwirkungen hinweisen. Damit bieten neutrale Pionen nicht nur selbst einen Test für fundamentale Fragen zum Standardmodell der Teilchenphysik, sondern können auch eine Grundlage für andere derartige Tests bieten. Ein internationales Forscherteam der PrimEx-Kollaboration hat diese Zerfälle nun mit der bislang höchsten Präzision untersucht. Wie sich herausstellte, gibt es nur eine kleine Diskrepanz zu den theoretisch ableitbaren Erwartungen. Diese wird in Zukunft noch genauer zu untersuchen sein.
Die Quantenchromodynamik ist dafür berüchtigt, dass ihre Kopplungen bei wachsender Reichweite nicht abnehmen – im Gegensatz zu allen anderen Naturkräften. Das sorgt zusammen mit ihrer Symmetriegruppe einerseits dafür, dass gebundene Zustände nur in Kompositsystemen von zwei oder mehr Quarks möglich sind. Denn wenn man versucht, ein Quark aus einem solchen System zu entfernen, steigt die dafür notwendige Energie schnell so stark an, dass per Paarerzeugung weitere Quarks entstehen, die sich wiederum zu Kompositsystemen zusammensetzen. Und zweitens sorgt diese Eigenheit der Quantenchromodynamik dafür, dass sich viele Berechnungen nicht so wie in der Quantenelektrodynamik oder bei der schwachen Wechselwirkung störungstheoretisch durchführen lassen. Dieser nicht-perturbative Charakter bedingt aufwändige Gitterrechnungen, will man stark wechselwirkende Systeme besser verstehen. Auch dann sind schon die theoretischen Fehler aber häufig groß.
Die Zerfallsrate von neutralen Pionen gehört jedoch zu den wenigen Observablen der stark wechselwirkenden Teilchen, die sich auch analytisch noch berechnen lassen. Damit bieten diese Teilchen einen hervorragenden Test für die Quantenchromodynamik im niederenergetischen, nicht-perturbativen Bereich. Insbesondere der Vergleich mit verwandten Teilchen ist hierbei aufschlussreich. So ist etwa das Produkt aus der Halbwertszeit von neutralen Pionen und positiv geladenen Pionen – die über die schwache Wechselwirkung zerfallen – lediglich von den Pionenmassen abhängig und nicht von anderen hadronischen Eigenschaften. Außerdem lässt sich das Matrixelement, das den Übergang vom Vakuum zu einem Zwei-Photonenzustand beschreibt, exakt aus der Feinstrukturkonstanten und den Photon-Impulsen ableiten. Vergleicht man dies mit dem Zerfall geladener Pionen zu Myonen und Neutrinos, stellt sich heraus, dass die Kopplung der neutralen Pionen an den Zwei-Photonen-Zustand umgekehrt proportional zur Zerfallsamplitude der geladenen Pionen sein muss. Dies liefert eine gute Voraussetzung, um fundamentale Tests des Standardmodells über die sonst notorisch schwierig zu handhabende starke Wechselwirkung anzustellen.
Die Forscher erzeugten die neutralen Pionen über den Primakoff-Effekt. Hierbei entstehen die Pionen aus einem hochenergetischen Photon, das auf ein virtuelles Photon in Nähe eines Atomkerns trifft. Die hochenergetischen Photonen koppelten die Forscher aus dem Strahl des Teilchenbeschleunigers am Jefferson Laboratory aus. Als Target-Atomkerne dienten Kohlenstoff-12 und Silizium-28. Da neutrale Pionen eine sehr kurze Lebensdauer haben, verwendeten die Forscher Photonen mit genau bekanntem Energie- und Zeitstempel. Schon die früheren Versuche der Kollaboration mit dem Experiment PrimEx-I konnten eine gute Genauigkeit erreichen. Nun legten die Forscher der Kollaboration mit dem Nachfolgeexperiment PrimEx-II die Latte ein Stück höher. Sie konnten 83.000 Ereignisse an bei Kohlenstoff-12 als Target nachweisen und 166.000 Ereignisse bei Silizium-28 – eine sechsfache Steigerung zum Vorläuferexperiment. Sie ermittelten als Kombination der Daten von PrimEx-I und PrimEx-II eine Lebensdauer der neutralen Pionen von 8.34 (± 0.13) × 10−17 Sekunden, wobei der Fehler nur noch 1,5 Prozent beträgt.
Die gemessenen Werte passen ganz gut zu den besten analytischen Vorhersagen, die nur um rund 1,8 Standardabweichungen hiervon abweichen und einen ähnlich hohen Fehler aufweisen. Dieser Unterschied könnte allerdings Grund liefern, sich die Rechnungen noch einmal genauer anzuschauen. Neuere Gitterrechnungen sind in Einklang mit diesen Ergebnissen, weisen aber noch einen relativ hohen Fehler von rund sieben Prozent auf. Dieser Fehler dürfte sich aber in nicht allzu ferner Zukunft deutlich drücken lassen.
Die Untersuchung solcher Prozesse wirft auch neues Licht auf ähnliche Systeme zum Test des Standardmodells. Die Streuung von Licht an Licht unter Erzeugung eines resonanten Zustands aus neutralen Pionen spielt auch als virtueller Prozess beim magnetischen Dipolmoment von Myonen eine Rolle. Dort liefern solche Prozesse mit die wichtigsten Beiträge dafür, dass das Dipolmoment vom Wert zwei abweicht. Damit erhöhen die experimentellen und theoretischen Präzisionsuntersuchungen an neutralen Pionen auch die Empfindlichkeit anderer fundamentaler Tests des Standardmodells.
Dirk Eidemüller
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
I. Larin et al.: Precision measurement of the neutral pion lifetime, Science 368, 506 (2020); DOI: 10.1126/science.aay6641 - Primakoff Experiment PrimEx, Jefferson Lab, Newport News, USA
- Ashot Gasparian, North Carolina State University
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