09.08.2021 • Materialwissenschaften

Wenn beim Abkühlen die Vibrationen zunehmen

Fluktuationen in Nickel-Oxid frieren bei sinkender Temperatur nicht ein, sondern werden schneller.

Tiefere Temperaturen bedeuten in normaler Materie stets weniger Bewegung der mikro­skopischen Bestand­teile. Je weniger Wärme als Energie zur Verfügung steht, desto seltener wechseln Atome ihren Ort oder magnetische Momente ihre Richtung: Sie frieren ein. Ein inter­nationales Team geleitet von Wissen­schaftlern des HZB und von DESY hat nun erstmals ein gegen­teiliges Verhalten in einem Nickel-Oxid-Material beobachtet, das eng mit Hoch­temperatur-Supra­leitern verwandt ist. Fluktua­tionen in diesem Nickelat frieren beim Abkühlen nicht etwa ein, sondern werden schneller.

Abb.: Die Entwick­lung dieses Fleck­musters mit der Zeit zeigt...
Abb.: Die Entwick­lung dieses Fleck­musters mit der Zeit zeigt mikro­sko­pische Fluk­tu­a­tionen in der Probe. (Bild: A. Ricci et al. / APS)

Die Forscher nutzten für ihre Beobachtung die Technik der Röntgen-Korrela­tions­spektro­skopie: Dabei konnten sie mittels kohärenter weicher Röntgen­strahlung die Ordnung elementarer magnetischer Momente in Raum und Zeit verfolgen. Beim Abkühlen ordnen sich diese Spins zu einem Streifen-Muster an. Diese Ordnung ist bei höheren Temperaturen nicht perfekt, sondern besteht aus einer zufälligen Anordnung kleiner lokal geordneter Bereiche. Die Wissen­schaftler fanden, dass diese Anordnung nicht statisch ist, sondern auf Zeitskalen von einigen Minuten fluktuiert. Beim weiteren Abkühlen werden diese Fluktua­tionen zunächst immer langsamer und die einzelnen geordneten Bereiche wachsen. So weit entspricht dieses Verhalten dem, was eine Vielzahl von Materialien zeigen: Je weniger thermische Energie zur Verfügung steht, desto mehr frieren Fluktua­tionen ein und nimmt Ordnung zu.

Völlig ungewöhnlich und noch nie so beobachtet war jedoch, dass beim weiteren Abkühlen die Fluktua­tionen wieder schneller wurden, während die geordneten Bereiche schrumpften. Die Streifen-Ordnung zerfällt also bei tiefen Temperaturen sowohl räumlich als auch durch immer schneller werdende Fluktua­tionen und zeigt somit eine Art Anti-Frieren.

Diese Beobachtung hilft möglicher­weise dabei, die Hoch­temperatur-Supra­leitung in Kupfer-Oxiden besser zu verstehen. In solchen Kupraten wird angenommen, dass eine Streifen­ordnung ähnlich der in Nickelaten in Konkurrenz zur Supra­leitung steht. Auch dort zerfällt die Streifen­ordnung bei tiefen Temperaturen, was bisher damit erklärt wurde, dass die sich bildende Supra­leitung die Streifen­ordnung verdrängt. Da in Nickelaten keine Supra­leitung existiert, die Streifen­ordnung aber dennoch bei tiefen Temperaturen zerfällt, scheint bei der bisherigen Beschreibung der Kuprat-Supra­leitung ein wichtiger Aspekt zu fehlen. Möglicher­weise wird die Streifen­ordnung in Kupraten nicht einfach nur verdrängt, sondern zerfällt auch aus intrin­sischen Gründen und räumt damit das Feld für das Entstehen der Supra­leitung. Ein tieferes Verständnis dieses Mechanismus könnte helfen, Supra­leitung zu kontrol­lieren.

Die Studie zeigt das Potenzial, das kohärente weiche Röntgen­strahlung für die Unter­suchung von Materialien hat, die räumlich uneinheit­lich sind, insbesondere solche Materialien, bei denen aus dieser räum­lichen Uneinheit­lich­keit neue Funktio­nalität erwächst. Korrelations­spektro­skopie mit Lasern wird seit vielen Jahr­zehnten genutzt, um beispiels­weise die Bewegung von Kolloiden in Lösungen zu studieren. Über­tragen auf weiche Röntgen­strahlung lassen sich mit der Technik die Fluktua­tionen magnetischer und etwa auch elektro­nischer und chemischer Unordnung in Raum und Zeit verfolgen. Mit zukünftigen Röntgen­quellen wie BESSY III, die um viele Größen­ordnungen intensivere kohärente Röntgen­strahlung erzeugen werden als heutige Quellen, wird es möglich werden, diese Technik auf schnellere Fluktua­tionen und kürzere Längen­skalen auszu­weiten und damit Effekte zu beobachten, die bisher nicht erreichbar sind.

HZB / RK

Weitere Infos

 

ContentAd

Kleinste auf dem Markt erhältliche Hochleistungs-Turbopumpe
ANZEIGE

Kleinste auf dem Markt erhältliche Hochleistungs-Turbopumpe

Die HiPace 10 Neo ist ein effizienter, kompakter Allrounder für den Prüfalltag, der geräuscharm und besonders energieeffizient ist.

Sonderhefte

Physics' Best und Best of
Sonderausgaben

Physics' Best und Best of

Die Sonder­ausgaben präsentieren kompakt und übersichtlich neue Produkt­informationen und ihre Anwendungen und bieten für Nutzer wie Unternehmen ein zusätzliches Forum.

Meist gelesen

Themen