Wenn der Meeresboden abrutscht
Storegga-Ereignis muss nach jüngsten Messungen neu bewertet werden.
Rutschungen des Meeresbodens haben ein großes Tsunami-Potential und ereigneten sich am mittelnorwegischen Schelf in der Vergangenheit häufiger als bisher gedacht. Das zeigt eine neue Studie unter Leitung des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel. Darin untersuchen die Wissenschaftler die in der Veröffentlichung erstbeschriebene Nyegga-Rutschung vor der Küste Norwegens. Sie ereignete sich im selben Gebiet wie das bekannte Storegga-Ereignis vor 8150 Jahren. Dies wirft Fragen zur Häufigkeit von untermeerischen Großrutschungen und der damit verbundenen Tsunamigefahr auf.
Das Storegga-Ereignis ist eine der größten weltweit bekannten untermeerischen Rutschungen und befindet sich vor der Küste Norwegens. Es fand vor etwa 8150 Jahren, nach dem Ende der letzten Eiszeit, statt und löste einen gewaltigen Tsunami aus, der die Küsten des Nordatlantiks und der damaligen Nordsee verwüstete. Bisher ging man davon aus, dass die Rutschung die gesamten Sedimente auf etwa 300 Kilometern Länge, die während der letzten Eiszeit abgelagert wurden, verschob. Ein angenommenes Volumen von 2400 bis 3200 Kubikkilometern – eine Masse die ausreichen würde, um ganz Deutschland mit sieben bis neun Metern Sediment zu überlagern.
Nun haben Wissenschaftler vom Geomar und der Universität Bergen, Norwegen herausgefunden, dass sich ein großer Teil des Materials bereits 12.000 Jahre früher, nach dem Höhepunkt letzten der Eiszeit bewegte. So ereignete sich vor etwa 20.000 Jahren bereits die Nyegga-Rutschung, die von den Forschern nach dem Nyegga-Gebiet benannt wurde, in dem sie die ersten Hinweise auf das Ereignis entdeckt haben. Die Geophysiker und Geologen können darlegen, dass rund ein Drittel des gerutschten Materials, etwa 1000 Kubikkilometer, auf die Nyegga-Rutschung zurückzuführen ist. Diese überraschende Erkenntnis haben sie nun veröffentlicht.
Die Storegga-Rutschung ist somit kleiner, als bisher in Fachkreisen angenommen. Vor allem aber sind untermeerische Massebewegungen am mittelnorwegischen Schelf komplexer und häufiger als bisher gedacht. Laut dem bisherigen fachlichen Stand fanden derart große Destabilisierungen im Zusammenhang mit glazialen Zyklen statt. Das instabil abgelagerte Material der abschmelzenden Gletscher wurde demnach durch eine einzige Rutschung entfernt und in die Tiefsee transportiert. Diese Einschätzung muss nun neu bewertet werden.
„Das Storegga-Ereignis galt als eine der am besten erforschten Mega-Rutschungen weltweit, ein Großteil unseres Verständnisses von großflächigen Hangrutschungen und der damit zusammenhängenden Tsunami-Entstehung gehen darauf zurück“, sagt Jens Karstens, Meereswissenschaftler in der Forschungseinheit Geodynamik am Geomar. „Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass manche bisherigen Konzepte zu einfach sein könnten und sind daher von großer Bedeutung für die Bewertung von Georisiken im Zusammenhang mit Hangrutschungen an Kontinentalrändern.“ Die neuen Erkenntnisse beruhen auf schiffsbasierten Echolot-Untersuchungen, die während einer Forschungsfahrt im Jahr 2012 erhoben wurden, sowie der Untersuchung von dutzenden Sedimentkernen an der Universität von Bergen.
Altersdatierungen und sedimentologischen Untersuchungen wiesen in sieben der Sedimentkerne ungewöhnliche Ablagerungsprofile nach, welche sich nicht mit der vorherigen Rutschungsgeschichte erklären lassen. Hinweise auf ein früheres Rutschungsereignis in den Echholot-Daten, erlaubten es den Forschern nun, die Ablagerungsschichten mit dem Storegga-Ereignis und der deutlich früheren Nyegga-Rutschung zu erklären. Von der Studie unabhängige seismische Untersuchungen zeigen die Ablagerungen einer Vielzahl großer Rutschungsereignisse in tieferen Sedimentschichten. Weitere Forschung ist notwendig, um diese nun auch erdgeschichtlich präziser aufzuschlüsseln und das Gefahrenpotential großer untermeerischer Rutschungen besser abschätzen zu können.
Geomar / DE