16.11.2021

Wenn ein Loch am Stern zuppelt

Erstmals schwarzes Loch außerhalb der Milchstraße per Radialgeschwindigkeitsmethode entdeckt.

Mit Hilfe des Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO) haben Astronomen ein kleines schwarzes Loch außerhalb der Milchstraße entdeckt. Dies gelang durch die Ermittlung seines Einflusses auf die Bewegung eines Sterns in seiner unmittelbaren Nähe. Zum ersten Mal wurde diese Nachweis­methode eingesetzt, um ein schwarzes Loch außerhalb unserer Galaxie zu entdecken. Die Methode könnte der Schlüssel zur Entdeckung verborgener schwarzer Löcher in der Milch­straße und in nahe gelegenen Galaxien sein. Sie könnte bei der Aufklärung des Ursprungs und der Entwicklung dieser mysteriösen Objekte helfen.

 

Abb.: Künstlerische Darstellung des schwarzen Lochs in NGC 1850, das seinen...
Abb.: Künstlerische Darstellung des schwarzen Lochs in NGC 1850, das seinen Begleit­stern verformt. (Bild: ESO / M. Kornmesser)

Das neu entdeckte schwarze Loch wurde in NGC 1850 gesichtet, einem Haufen von Tausenden von Sternen in der Großen Magellanschen Wolke, einer Nachbar­galaxie der Milchstraße, in einer Entfernung von etwa 160 000 Lichtjahren.

„Ähnlich wie Sherlock Holmes, der eine kriminelle Organisation anhand ihrer Taten aufspürt, betrachten wir jeden einzelnen Stern in diesem Haufen mit einer Lupe in der Hand und versuchen, Beweise für die Existenz von schwarzen Löchern zu finden, ohne sie jedoch direkt zu sehen“, sagt Studienleiterin Sara Saracino vom Astrophysics Research Institute der Liverpool John Moores University in Großbritannien. „Das hier gezeigte Ergebnis offenbart nur einen der gesuchten Delinquenten, aber wenn man einen gefunden hat, ist man auf dem besten Weg, viele andere in verschiedenen Haufen zu entdecken.“

Dieser erste Kandidat, den das Team aufspürte, erwies sich als etwa elfmal so massereich wie unsere Sonne. Der entscheidende Hinweis, der die Astronomen auf die Spur dieses schwarzen Lochs brachte, war sein gravitativer Einfluss auf den es umkreisenden Stern mit einer Masse von fünf Sonnenmassen. Astronomen haben solche kleinen, stellaren schwarzen Löcher bereits in anderen Galaxien entdeckt, indem sie das Röntgenlicht sammelten, das sie beim Verschlucken von Materie aussenden, oder die Gravitationswellen, die bei der Kollision von schwarzen Löchern untereinander oder mit Neutronen­sternen entstehen.

Die meisten schwarzen Löcher mit Sternmasse verraten ihre Anwesenheit jedoch nicht durch Röntgenstrahlen oder Gravitationswellen. „Die große Mehrheit kann nur aufgrund von Bewegungen enttarnt werden“, sagt Stefan Dreizler, ein Mitglied des Teams an der Universität Göttingen in Deutschland. „Wenn sie ein System mit einem Stern bilden, beeinflussen sie dessen Lauf auf subtile, aber nachweisbare Art, so dass wir sie mit hochentwickelten Instrumenten finden können.“

Diese dynamische Methode, die Saracino und ihr Team anwenden, könnte es Astronomen ermöglichen, viele weitere schwarze Löcher zu finden und dazu beitragen, ihre Geheimnisse zu entschlüsseln. „Jede einzelne Entdeckung, die wir machen, wird für unser zukünftiges Verständnis von Sternhaufen und den schwarzen Löchern in ihnen wichtig sein“, sagt Koautor der Studie Mark Gieles von der Universität Barcelona, Spanien.

Die Entdeckung in NGC 1850 ist das erste Mal, dass ein schwarzes Loch in einem jungen Sternhaufen gefunden wurde. Der Haufen ist nur etwa 100 Millionen Jahre alt, ein Wimpernschlag in astronomischen Maßstäben. Die Anwendung ihrer dynamischen Methode in ähnlichen Sternhaufen könnte noch mehr junge schwarze Löcher aufdecken und ein neues Licht auf deren Entwicklung werfen. Durch den Vergleich mit größeren, entwickelteren schwarzen Löchern in älteren Sternhaufen könnten die Forscher verstehen, wie diese Objekte wachsen, indem sie Sterne verschlingen oder mit anderen schwarzen Löchern verschmelzen. Darüber hinaus verbessert die Kartierung der Demografie schwarzer Löcher in Sternhaufen unser Verständnis für den Ursprung von Gravitationswellenquellen.

Für ihre Suche nutzte das Team Daten, die über zwei Jahre hinweg mit dem Multi Unit Spectroscopic Explorer (MUSE) am VLT der ESO in der chilenischen Atacama-Wüste gesammelt wurden. „MUSE ermöglichte uns die Beobachtung sehr dicht besiedelter Gebiete, wie die innersten Regionen von Sternhaufen, und analysierte das Licht jedes einzelnen Sterns in der Nähe. Das Ergebnis sind Informationen über Tausende von Sternen auf einen Schlag, mindestens zehnmal mehr als mit jedem anderen Instrument“, sagt Mitautor Sebastian Kamann, ein langjähriger MUSE-Experte am Astrophysics Research Institute in Liverpool. Auf diese Weise konnte das Team den seltsamen Stern ausmachen, dessen eigenartige Bewegung die Anwesenheit des schwarzen Lochs anzeigte. Anhand von Daten des Optical Gravitational Lensing Experiment der Universität Warschau und des Hubble-Weltraum­teleskops konnten sie die Masse des schwarzen Lochs messen und ihre Ergebnisse bestätigen.

Das Extremely Large Telescope der ESO in Chile, das noch in diesem Jahrzehnt in Betrieb genommen werden soll, wird es den Astronomen ermöglichen, noch mehr versteckte schwarze Löcher zu finden. „Das ELT wird dieses Feld definitiv revolutionieren“, sagt Saracino. „Es wird uns ermöglichen, im gleichen Blickfeld wesentlich schwächere Sterne zu beobachten und nach schwarzen Löchern in Kugel­sternhaufen zu suchen, die sich in viel größerer Entfernung befinden.“

MPIA / DE

 

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