01.02.2024

Wenn Vulkane rumoren

Neue Analysemethoden helfen beim Verständnis der seismischen Signale vor Eruptionen.

Methoden des maschinellen Lernens und der Musikwissenschaft können helfen, Vorläufer und verschiedene Phasen von Vulkanausbrüchen in seismischen Signalen frühzeitig zu erkennen. Das haben Forscher um Zahra Zali und Fabrice Cotton vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) und der Universität Potsdam anhand der Analyse der seismischen Signale vor und während des Geldingadalir-Vulkanausbruchs auf der isländischen Halbinsel Reykjanes im Jahr 2021 demonstriert. 


Abb.: Geldingadalir-Ausbruch 2021 am Fagradalsfjall-Vulkan, Island
Abb.: Geldingadalir-Ausbruch 2021 am Fagradalsfjall-Vulkan, Island
Quelle: E. Eibl, U. Potsdam

Bevor Vulkane ausbrechen, gibt es bereits ein Rumoren im Untergrund. Hierin charakteristische Merkmale zu erkennen, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Vorhersage potenzieller Eruptionen und für die Frühwarnung. Zahra Zali, Mostafa Mousavi, Mathias Ohrnberger, Eva Eibl und Fabrice Cotton vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ), der Standford University (USA) und der Universität Potsdam haben die seismischen Signale vor und während des Geldingadalir-Vulkanausbruchs auf der isländischen Halbinsel Reykjanes im Jahr 2021 analysiert. Es war das erste in einer Serie von mittlerweile fünf vulkanischen Ereignissen dort, zuletzt im Dezember 2023 und im Januar 2024 in Grindavík. Für ihre Analysen nutzten sie Methoden des maschinellen Lernens und aus der Musikverarbeitung und entwickelten sie weiter. 

So konnten sie im „Klang des Vulkans“ verschiedene zuvor verborgene Signaturen identifizieren, die für die verschiedenen Ausbruchsphasen charakteristisch waren. Insbesondere haben sie drei Tage vor der Eruption eine Tremor-Sequenz festgestellt, die auf bevorstehende eruptive Aktivitäten hinweisen könnte. Ein subtiler episodischer Tremor könnte den Übergang von kontinuierlichem Lavafluss zu Lavafontänen ankündigen. 

Angesichts des zerstörerischen Potenzials von Vulkanausbrüchen ist die Vorhersage von Zeitpunkt, Stärke und Verlauf von Eruptionen ein zentrales Ziel vulkanologischer Forschung. Sie wird erschwert durch die Vielfalt und Komplexität der Phänomene, die im Vorfeld und während des Ausbruchs ablaufen, wenn etwa Gesteine aufbrechen oder Magma aufsteigt. Seismische Signale sind eine wichtige Datenquelle für die Bewertung der Vorgänge im Untergrund, sowohl während der Eruptiohttps://www.dlr.de/tp/n als auch für die Erforschung von Eruptionsvorläufern. So werden beispielsweise seismische Schwärme, sich wiederholende Erdbeben und vulkanische Erschütterungen (Tremor) registriert. Bei Letzteren handelt es sich um kontinuierliche seismische Signale, die häufig mit Eruptionen einhergehen. Sie werden als potenzielle geophysikalische Marker für die Vorhersage von Eruptionen angesehen, lassen sich aber nicht immer gut von anderen überlagernden Signalen unterscheiden.

Einen neuen Ansatz zur genauen Aufschlüsselung und Analyse seismischer Daten im Zusammenhang mit Vulkanausbrüchen haben Zahra Zali, aktuell Post-Doc Wissenschaftlerin in GFZ-Sektion 4.2 „Geomechanik und Wissenschaftliches Bohren“, und Fabrice Cotton, Leiter der GFZ-Sektion 2.6 „Erdbebengefährdung und dynamische Risiken“, entwickelt, zusammen mit ihren Kollegen Mathias Ohrnberger, Wissenschaftler, und Eva Eibl, Junior-Professorin, beide an der Universität Potsdam, sowie Mostafa Mousavi von der Stanford University (USA). Sie haben spezielle Methoden des maschinellen Lernens (ML), das „Deep Embedded Clustering“ (DEC), und der musikalischen Signalverarbeitung weiterentwickelt.

Angeregt und initiiert wurden diese Entwicklungen durch die Arbeit von Frank Scherbaum, der vor rund zehn Jahren als Professor an der Universität Potsdam ein neues Forschungsfeld an der Schnittstelle von Musikwissenschaft und Seismologie geschaffen hat.

Das Team hat diese Techniken für die Analyse der seismischen Daten genutzt, die vor und während der am 19. März 2021 beginnenden Geldingadalir-Eruption in Island aufgezeichnet wurden. Die Daten stammen von einer Messstation 5,5 Kilometer südöstlich des Ausbruchsortes. Die Untersuchungen waren auch Teil von Zahra Zalis Doktorarbeit, die sie im Rahmen der DFG-Graduiertenschule „NatRiskChange“ am GFZ und an der Universität Potsdam durchgeführt und im September 2023 erfolgreich abgeschlossen hat.

Mit der Methode des Deep Embedded Clusterings konnten wir in unseren seismischen Daten Signale ähnlicher Struktur clustern und so bislang verborgene Muster erkennen. Wir nutzen hier einen Ansatz des sogenannten unüberwachten maschinellen Lernens. Der Vorteil gegenüber anderen ML-Verfahren ist, dass er auf unmarkierte Daten angewendet werden kann und selbstständig, ohne Vorgaben und schnell – nahezu in Echtzeit – Ergebnisse liefert“, erläutert Zahra Zali.

Um diese ersten Ergebnisse zu verifizieren und aus den Daten sowohl kontinuierliche vulkanische Erschütterungen zu extrahieren als auch transiente, also plötzlich auftretende Beben, nutzten die Forscher eine Methode, die Zahra Zali im Rahmen ihrer Doktorarbeit für die Analyse seismischer Signale weiterentwickelt hat: „Ich habe mich von der Idee der harmonisch-perkussiven Trennung (HPS) in der musikalischen Signalverarbeitung inspirieren lassen. Denn die Problematik ist bei diesen akustischen Wellen ähnlich: Um in einem Musikstück verschiedene Instrumente zu identifizieren, müssen verschiedene Arten Klänge voneinander getrennt werden, zum Beispiel die harmonischen Klänge melodiöser Violinen von den perkussiven eines Schlagwerks“, erläutert Zali.

Die vulkanischen Aktivitäten auf der isländischen Halbinsel Reykjanes begannen nach einer 781 Jahre währenden Ruhephase. Der ersten Eruption ging eine Reihe von seismischen Schwärmen und Intrusionsereignissen, also das Eindringen von Magma in Gestein, voraus. Start war ein bemerkenswerter einwöchiger Erdbebenschwarm im Dezember 2019. Ein gutes Jahr später, am 24. Februar 2021, markierte ein Erdbeben der Stärke 5,7 den Beginn der letzten seismischen Sequenz vor Beginn des Geldingadalir-Ausbruchs. Drei Wochen später erreichte das Magma die Oberfläche, am 19. März 2021 öffnete sich eine Spalte in der Nähe des Fagradalsfjall und die Eruption begann. Sie war zunächst durch kontinuierlichen Magmaausfluss gekennzeichnet, der ab dem 27. April stärker wurde und am 2. Mai dann in eine Phase mit Lavafontänen überging, die am 13. Juni endete.

Mit ihren neuen Ansätzen gelang es den Forschern, die verschiedenen Phasen des Ausbruchs detailliert nachzuzeichnen und ihre Übergänge exakt zu datieren. Insbesondere identifizierten die Forscher zwei subtile Signale, die für die Frühwarnung und Prognose von Vulkanausbrüchen und vulkanischen Aktivitäten von Bedeutung sein könnten: Zum einen fanden sie eine Tremor-Sequenz, die bereits drei Tage vor der Eruption einsetzte und währenddessen anhielt. Sie war in früheren wissenschaftlichen Analysen des Ereignisses nicht beschrieben worden. „Unsere Beobachtung des vulkanischen Tremors ab dem 16. März, also drei Tage vor dem Ausbruch, könnte darauf hindeuten, dass Magma die oberflächennahe Kruste erreicht hat. Denn solche voreruptiven Erschütterungen sind hauptsächlich auf Magmabewegungen und deren Wechselwirkungen mit Gas und angrenzendem Gestein zurückzuführen“, erläutert Zali. Zum anderen identifizierten sie einen subtilen episodischen Tremor im Übergang von stark ausfließender Lava hin zum Beginn von Lavafontänen. Er könnte mit einem Anstieg der Abflussrate kurz zuvor zusammenhängen.

Unsere Methode bietet einen schnellen und reproduzierbaren Ansatz, um die zeitliche Entwicklung eines vulkanischen Systems automatisch zu entschlüsseln: Auf Basis seismischer Rohsignale können wir auch ohne vorherige Datenverarbeitung einschlägige Merkmale identifizieren und möglicherweise unerwartete Erkenntnisse gewinnen“, betont Zahra Zali.

Weil nicht alle Vulkane immer gut mit Messgeräten ausgestattet sind, haben die Forscher in ihrer Studie auch gezeigt, dass es selbst mit einem begrenzten Datensatz, der nur die acht Tage vor dem Ausbruch umfasste, möglich ist, einen Cluster zu identifizieren, der mit prä-eruptiven Erschütterungen in Verbindung steht. Allerdings betonen sie, dass die Genauigkeit durch eine eingeschränkte Verfügbarkeit von Daten beeinträchtigt werden kann.

Co-Autor Fabrice Cotton resümiert: „Die wachsende Menge an seismologischen Daten unterstreicht den Bedarf an schnellen, automatisierten Algorithmen zur Verarbeitung kontinuierlicher seismischer Datenströme. Dank der Fortschritte bei den Überwachungstechnologien und im maschinellen Lernen haben wir in der Seismologie nun die Möglichkeit, die frühen Stadien von Vulkanausbrüchen zu erkennen und die nachfolgenden Eruptionsphasen mit größerer Geschwindigkeit und Präzision zu erfassen. Unsere jetzt publizierte Studie ist ein Beispiel für diese Fortschritte.“

GFZ / DE


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