„Wetterballon“ im Zentrum der Milchstraße
Astrophysiker bestimmen Stärke des Strahlungsfelds mit Hilfe einer galaktischen Gaswolke.
Das Strahlungsfeld im Zentrum der Milchstraße muss tausendmal stärker sein als in der Zone, in der sich unsere Sonne befindet. Das haben Astrophysiker am Sonderforschungsbereich „Das Milchstraßensystem“ mit Hilfe von Computersimulationen berechnet. Die Arbeit der Forscher des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg ZAH und des MPI für Astronomie basieren auf den Daten einer Art „kosmischen Wetterballons“ – den Temperaturdaten einer besonders dichten Gaswolke in der Nähe des galaktischen Zentrums. Die Forschungen bieten neue Einblicke in Vorgänge der Sternentstehung, die unter den extremen Bedingungen im Zentrum der Milchstraße vermutlich anders ablaufen als in ihren Randbereichen.
Abb.: Der Infrarotsatellit Spitzer nahm diese Aufnahme von G0.253+0.016 in der Nähe des galaktischen Zentrum auf. Die „Dunkelwolke“, die sich vor dem hellen Hintergrund abzeichnet, erstreckt sich über dreißig Lichtjahre. Das Zentrum der Milchstraße ist der helle Fleck am rechten Bildrand. (Bild: NASA / Benjamin et al. / Churchwell et al.)
Das Zentrum unserer Heimatgalaxie ist nach den Ergebnissen der Heidelberger Forscher ein „unwirtlicher Ort“. Es herrschen dort „Wetterbedingungen“, die sich auf der Erde am ehesten mit dem Kap Horn vergleichen lassen. Ein Schwarzes Loch sowie sehr heiße oder explodierende Sterne sorgen für einen intensiven „Strahlungswind“, während sich unsere Sonne im Randbereich der Milchstraße quasi an der italienischen Riviera der Galaxis befindet. „Um im Bild zu bleiben: An einem Ort mit derart extremen Bedingungen würde niemand eine ,Ferienanlage‘ errichten. Dennoch lassen sich dort durchaus ,Bauaktivitäten‘ feststellen: In der Nähe des galaktischen Zentrums existieren Gaswolken, in denen sich gerade junge Sterne bilden“, sagt Paul Clark, der im Team von Ralf Klessen am ZAH tätig ist.
Eine besonders dichte Gaswolke mit der Bezeichnung G0.253+0.016 haben Clark und seine Kollegen jetzt genauer untersucht, denn trotz ihrer Nähe zum galaktischen Zentrum lässt sich bei G0.253+0.016 die Bildung einer großen Zahl neuer Sterne beobachten. Der Vorgang der Sternentstehung ist allgemein ein Wechselspiel von zwei Kräften: Unter dem Einfluss der Gravitation zieht sich interstellares Gas zusammen, während der innere Druck des Gases der Verdichtung entgegenwirkt. „Nahe am galaktischen Zentrum ist dieses Gas durch die Stärke des Strahlungsfeldes stärker aufgeheizt als in den Randbereichen der Galaxie, sodass die Bildung von Sternen im Zentrum der Milchstraße vermutlich anders abläuft, als wir es bislang von den Randbereichen kennen“, sagt Clark.
Um die Vorgänge im Zentrum der Milchstraße besser verstehen zu können, müssen die dort herrschenden Bedingungen – in diesem Fall die Stärke des Strahlungsfelds – genauer bestimmt werden. Die Wissenschaftler nutzten dazu G0.253+0.016 als eine Art „kosmischen Wetterballon“. Die Temperatur dieser Gaswolke ließ sich mit Hilfe von astronomischen Beobachtungen ermitteln. Die Daten dienten als Basis, um die Temperatur von G0.253+0.016 in Abhängigkeit zum Strahlungsfeld zu berechnen. Die Heidelberger Astrophysiker variierten dabei die mögliche Stärke dieses Feldes so lange, bis das Ergebnis der Berechnungen mit den realen Temperaturmessungen übereinstimmte. Bei diesen Simulationen kam der in Jülich stationierte Supercomputer „Milky Way“ zum Einsatz, den der SFB der für seine Projekte nutzt.
Die Computersimulationen haben ergeben, dass das Strahlungsfeld im Zentrum der Milchstraße tausendmal stärker sein muss als in der Umgebung unserer Sonne, die sich etwa 25.000 Lichtjahre entfernt am Rand der Galaxie befindet. Die Heidelberger Astrophysiker gehen davon aus, dass unter diesen extremen Bedingungen in der Gaswolke wesentlich weniger Kohlenstoffmonoxid entsteht als üblich. „Kohlenstoffmonoxid spielt eine wesentliche Rolle in den meisten Regionen, in denen Sterne entstehen, da es dazu beiträgt, die Temperatur der Wolke zu regulieren. Der geringere Gehalt an CO in den Wolken des galaktischen Zentrums hat erhebliche Auswirkungen auf ihre Entwicklung“, erläutert Clark. Weitere Untersuchungen an dem „kosmischen Wetterballon“ sollen dazu beitragen, den Prozess der Sternentstehung im Zentrum der Milchstraße vollständig zu verstehen.
U. Heidelberg / OD