Wettervorhersagen für das All rücken näher
Drehmoment der Planeten als Ursache für langfristige Zyklen der Sonnenaktivität.
Die Sonne bestimmt den Lauf der Planeten. Doch auch die Planeten haben wohl mehr Einfluss auf die Sonne als bisher angenommen. Ihre Konstellation scheint verantwortlich für die langfristigen Zyklen erhöhter Sonnenaktivität. Forscher der Eawag und der ETH Zürich haben zusammen mit Kollegen aus Spanien und Australien für die letzten 10.000 Jahre die Zyklen der Sonnenmagnetfelder – rekonstruiert aus Eisbohrkernen – mit der Wirkung der Planeten verglichen. Die Übereinstimmung ist verblüffend und lässt hoffen, dass die Vorhersage von Zeiten mit erhöhter Sonnenaktivität näher rückt. Dies wird immer wichtiger, weil unsere Gesellschaft immer stärker von Technik wie Stromnetzen, Kommunikations- und Navigationssatelliten abhängig ist, die durch große solare Eruptionen lahmgelegt werden können.
Abb.: Die aktive Sonne unter den hochauflösenden Augen des Solar Dynamics Observatory. (Bild: NASA)
Die Sonne vereinigt mehr als 98 Prozent der Gesamtmasse unseres Sonnensystems auf sich und hält mit ihrem Gravitationsfeld die Planeten auf den Umlaufbahnen. Eine umgekehrte Wirkung der Planeten auf die Sonne, wurde bisher als vernachlässigbar betrachtet, als Verhältnis zwischen einer Mücke und einem Elefanten. Aber es scheint, dass auch ein kleiner Mückenstich am richtigen Ort einen großen Elefanten in Aufregung versetzen kann. So zeigt ein internationales Team von Forschern, dass ähnliches auch mit unserer riesigen Sonne geschehen könnte. Das verhältnismäßig geringe Drehmoment, welches die Planeten ihrerseits auf die Sonne ausüben, zeigt Wirkung: Es scheint die Ursache für die langfristigen Zyklen der Sonnenaktivität zu sein. Die beobachteten und bereits bekannten Perioden von 88, 104, 150, 208 und 506 Jahren stimmen während der letzten 10.000 Jahre genau mit den periodischen Änderungen des Drehmoments überein, das die Planeten auf eine dünne Schicht im Innern der Sonne ausüben. Dieser als Tachoklyne bezeichnete Übergang von der radiativen zur konvektiven Zone in der Sonne spielt nach heutiger Erkenntnis eine fundamentale Rolle beim Entstehen des solaren Magnetfeldes. Auf diese Schicht, so vermuten die Forscher, wirke das Drehmoment der Planeten, ähnlich wie der Mond auf der Erde Gezeiten verursacht. Schon kleine Veränderungen in der Tachoklyne könnten daher Auswirkungen auf das Auftreten solarer Eruptionen haben.
José Abreu und Jürg Beer von der ETH Zürich haben die fünf deutlichsten Zyklen der Sonnenaktivität über die letzten 10.000 Jahre zurückverfolgt und gesehen, dass die Hochs und Tiefs auch dann exakt im gleichen Rhythmus wieder auftauchen, wenn sie zwischenzeitlich einmal schwach geworden oder für einige Zeit ganz verschwunden sind. „Es deutet alles auf einen externen Taktgeber hin“, folgert Jürg Beer, „und dafür kommen eigentlich nur die Planeten in Frage.“
Abb.: Vergleich der Fourierspektren der Sonnenaktivität (a) und des Drehmoments der Planeten (b; Bild: EAWAG)
Direkte Angaben über die Zahl der Sonnenflecken – ein Maß für die Aktivität der Sonne – existieren erst seit rund 400 Jahren. Will man die Geschichte der Sonnenaktivität weiter zurück über die letzten 10.000 Jahre verfolgen, so ist man auf indirekte Informationen angewiesen. Die Forschenden haben sie aus Eisbohrkernen von der Antarktis und Grönland gewonnen, in denen durch die kosmische Strahlung produzierte Radionuklide eingelagert sind. Ist die Sonne relativ ruhig, gelangt mehr kosmische Strahlung in die Atmosphäre und damit werden mehr Radionuklide produziert, weil das abschirmende solare Magnetfeld schwächer ist. Die Autoren haben für ihre Studie neben Beryllium-Daten (10Be) aus dem Eis zusätzlich Kohlenstoffdaten (14C) aus den Jahrringen fossiler Hölzer berücksichtigt. Beide Zeitreihen stimmen sehr gut überein.
Noch bezeichnen Abreu und Beer ihre Schlüsse vorsichtig als Hypothese. Doch bestätigen sich die Befunde ihres Teams, haben sie eine große Bedeutung. Zum einen helfen sie mit, unser Verständnis der Sonne zu verbessern und realistischere Modelle der Sonne zu konstruieren. Zum anderen können sie helfen, zuverlässigere Prognosen für das Weltraumklima oder gar das Weltraumwetter zu machen – was im Hinblick auf längere Weltraumreisen enorm wichtig ist. Aber auch diejenigen, welche auf der Erde bleiben, sind von den magnetischen Vorgängen auf der Sonne betroffen. Denn zunehmend ist die Gesellschaft von verwundbaren technischen Einrichtungen abhängig.
Denn Super-Flares, gewaltige Plasma-Explosionen auf der Sonne, die Milliarden von Tonnen Gas in die Atmosphäre schleudern, führen im All und auf der Erde zu magnetischen Stürmen. Satelliten, die Bordelektronik von Flugzeugen, Stromnetze, Funksignale und vieles mehr können von einem solchen Ereignis beeinträchtigt oder zerstört werden. 1859 führt der vom britischen Astronomen Richard Carrington beobachtete Flare nur zu Störungen in den eben erst erstellten Telegrafennetzen in Europa und Nordamerika. Heute beziffern Studien die unmittelbaren ökonomischen Schäden eines ähnlich großen Sonnensturms allein für die USA auf bis zu zwei Billionen Dollar. Ob das bessere Verständnis der magnetischen Vorgänge auf der Sonne in Zukunft auch hilft, Häufigkeit und Heftigkeit solcher Eruptionen zu deuten, ist offen. „Von einer Sturmwarnung sind wir noch weit entfernt“, räumt Forscher Jürg Beer ein. Doch die jüngste Arbeit ist ein Schritt auf dem Weg, zumindest das längerfristige Klima im All besser erklären zu können.
ETH / OD