Wie Bakterien aus Labyrinthen herausfinden
Physikalisches Modell kann bei der Entwicklung intelligenter pharmazeutischer Wirkstoff-Transporter helfen.
Wenn sich Bakterien im Boden, in Gewebe oder in anderen Umgebungen voller Hindernisse ausbreiten, müssen sie flexibel sein. Hielten sie starr an einem enggefassten Bewegungsmuster fest, strandeten sie schnell in Sackgassen. Tatsächlich bewegen sich Bakterien aber solange durch offene Räume, bis sie in eine Falle geraten; dann orientieren sie sich neu, um durch das nächste freie Loch zu schlüpfen. Ein von einem internationalen Forschungsteam entwickeltes physikalisches Modell erklärt, warum diese „Hop-and-trap“ genannte Strategie bei Bakterien funktioniert und wie sie für selbstangetriebene Polymerteilchen optimiert werden könnte. Das kann der Entwicklung zukünftiger Mikroroboter zugutekommen, die sich durch komplexe dreidimensionale Umgebungen bewegen müssen. Ein Anwendungsbeispiel wären winzige Wirkstofftransporter, die durch Tumorgewebe navigieren, um am geeigneten Ort Chemotherapeutika freizusetzen.
„Wir wollten verstehen, welchen Einfluss der ‚Hop-and-Trap‘-Mechanismus auf die Bewegungsweite der Bakterien in verschiedenen Umgebungen hat“, erläutert Christina Kurzthaler von der Princeton University in den USA. Als Modellorganismus verwendete das Team E. coli-Bakterien. Deren Bewegungen in einem porösen Medium hatte im Vorfeld eine Gruppe um Sujit Datta an der Princeton University gemessen.
Suvendu Mandal von der TU Darmstadt hat zusammen mit Kurzthaler simuliert, wie sich ein Bakterium zufällig durch eine komplexe, dreidimensionale Umgebung bewegen kann. Im Modell wurden die Bakterien durch Kunststoffraupen in einem Aquarium voller Tischtennisbälle repräsentiert. Statistische Analysen offenbarten Muster in den simulierten Bahnen von Kunststoffraupen, die E. coli-Bewegungen nach dem ‚Hop-and-Trap‘-Mechanismus sehr ähneln. Das Modell passt also zum natürlichen Vorbild.
Die Forscher entwickelten daraus ein vereinfachtes Modell, mit dem sie die effizienteste Art der Bakterienausbreitung bestimmten. Darin ergibt sich eine allgemeine Regel: Ein Bakterium bewegt sich am effektivsten, wenn es eine Strecke zurücklegt, die in etwa der Länge der größten Poren oder Löchern in der Umgebung entspricht, bevor es sich neu orientiert. „Bei sehr kleiner Lauflänge kommen die Bakterien nicht sehr weit, sie bewegen sich nur wahllos vor- und rückwärts. Ist die Weglänge sehr groß, verfangen sich die Zellen leicht, weil sie sich nie neu orientieren“, so Kurzthaler.
„Das neue Modell liefert auch ein Kriterium für die Entwicklung von Polymeren, die als Wirkstofftransporter in der Lage sind, Arzneimittel durch den Körper zu transportieren oder Schadstoffe im Boden zu finden und abzubauen“, sagt Mandal. „Wenn man einen solchen Mikroroboter entwerfen wollte, wäre es wichtig, dass er sich umorientieren kann, um die komplexe Umgebung zu erkunden, in der er arbeiten soll.“
Auf dieser Grundlage kann auch das kollektive Verhalten von Bakterien modelliert werden, wie diese etwa Biofilme in porösen Materialien bilden. Das hat wichtige Implikationen für den Krankenhausalltag, wo es darum geht, für die Bakterienbesiedlung besonders attraktive Stellen zu identifizieren. Solche Formen können dann schon vorab, bei der Konstruktion von Geräten, vermieden werden.
Die theoretische Physik liefere immer wieder wichtige Aussagen für scheinbar sehr weit entfernte Wissenschaftsgebiete, betont Hartmut Löwen von der Uni Düsseldorf: „Gerade die Physik der weichen Materie hat viele Schnittstellen zum praktischen Leben, wie diese Studie eindrucksvoll belegt. Das Modell kann Aussagen für die Pharmazie, Mikrobiologie und sogar für die Krankenhaushygiene treffen.“
HHU / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
C. Kurzthaler et al.: A geometric criterion for the optimal spreading of active polymers in porous media, Nat. Commun. 12, 7088 (2021); DOI: 10.1038/s41467-021-26942-0 - Dept. of Mechanical and Aerospace Engineering, Princeton University, USA
- Institut für Theoretische Physik II: Weiche Materie (H. Löwen), Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Physikalisches Institut, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg