23.03.2022

Wie Betonbalken sich biegen

Simulation von Bauteilen soll sich künftig auch der Möglichkeiten von Quantencomputern bedienen.

Beton ist aufgrund seiner Materialeigenschaften für die moderne Bauweise unverzichtbar. Doch neben vielen Vorteilen hat der Universal­baustoff auch Nachteile – vor allem erschwert seine Heterogenität die simulations­gestützte Dimensionierung von Bauteilen und Bauwerken. Durch Biegeversuche induzierte Risse geben Aufschluss über das Bauteil­verhalten. Forscher am Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschafts­mathematik ITWM entwickeln eine Analysesoftware für die Computer­tomographie, um feinste Struktur­veränderungen in bewehrten Beton­bauteilen sichtbar zu machen. Künftig soll das System mehrere Terabyte an CT-Bilddaten auswerten können. Dabei kann auch Quanten­computing hilfreich sein.

 

Abb.: Betonprobe mit Riss (Bild: FH.-ITWM)
Abb.: Betonprobe mit Riss (Bild: FH.-ITWM)

Die Computertomographie erlaubt den Blick ins Innere – nicht nur in der Medizin. Sie eignet sich auch, um Verbundwerkstoffe wie bewehrten Beton zu durchleuchten und zerstörungsfrei zu untersuchen. Was passiert im Inneren eines Beton­bauteils, wenn es mechanischen Belastungen ausgesetzt ist? An welcher Stelle entstehen Risse? Wie sind diese beschaffen? Wie wachsen sie bei zunehmender Belastung?

Diesen Fragen widmen sich Forscher am Fraunhofer ITWM. Im BMBF-geförderten Projekt „Detektion von Anomalien in großen räumlichen Bilddaten“ (DAnoBi) entwickeln sie gemeinsam mit Arbeitsgruppen an den Universitäten in Kaiserslautern, Ulm und Magdeburg mathematische und statistische Methoden, um robust und automatisierbar Rissstrukturen in Beton anhand computer­tomographischer Daten zu finden, vollständig zu segmentieren und zu erfassen. „Sogar in verrauschten CT-Daten von kleinen Betonproben konnten wir winzige, mikrometergroße Risse nicht nur erkennen, sondern auch die zu ihnen gehörenden Voxel (Datenpunkt in einem dreidimensionalen Gitter) identifizieren. Die Risse müssen dazu nicht breiter als ein Voxel sein. Das heißt in einem Betonquader mit 15 Zentimeter Kantenlänge finden wir 100 Mikrometer breite Risse“, sagt Katja Schladitz, Wissenschaftlerin am Fraunhofer ITWM. Um dies zu erreichen, haben Schladitz und ihr Team Methoden des maschinellen Lernens, die Modellierung der Strukturen und der Bildgebung sowie statistische Methoden für die Detektion der Risse kombiniert. „Deren Dicke und Form lassen Rückschlüsse zu, wie Nachriss­verhalten und Mikrostruktur zusammenhängen. Im instituts­eigenen CT-Gerät haben wir sie aber bisher nur vor oder nach, nicht während der Belastung beobachtet“, so die Mathematikerin.

Das Problem: Mikro-CT-Technologie wie am Fraunhofer ITWM durchleuchtet Betonproben mit nur wenigen Zentimetern Kantenlänge und Durchmesser. Mechanische Belastungs­versuche an mehrere Meter langen Betonproben lassen sich nicht durchführen. Dies wird künftig an der Technischen Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieur­wesen, möglich sein. Dort entsteht derzeit eine weltweit einzigartige CT-Anlage, die im Sommer 2023 an den Start geht. Die Anlage arbeitet mit wesentlich stärkeren Röntgen­strahlen – neun Mega­elektronen­volt – als medizinische Röntgengeräte, sodass bewehrte Betonbauteile bis zu einem Durchmesser von 30 Zentimetern und einer Länge von sechs Metern durchleuchtet werden können. Eines der ersten und wichtigsten Anwendungs­szenarien in Gulliver, so der Name des Großgeräts, ist die 3D-Abbildung der Rissentwicklung in großen Betonbalken während eines Vier-Punkt-Biegeversuchs. Die dreidimensionalen Röntgen­aufnahmen dieser Prozesse sind für die Forschung sehr aufschlussreich. Die Technik wird den Wissenschaftlern dabei helfen, den komplexen Verbund­werkstoff Beton besser zu verstehen. Je Experiment erzeugt Gulliver dabei zwischen 120 Gigabyte und zwei Terabyte an Bilddaten. Ziel der Forschung ist die 3D-Abbildung und die Analyse der Struktur­veränderungen durch die Biegebelastung während des laufenden Versuchs.

„Wir optimieren das Speichermanagement und die Bildauswertung unserer umfangreichen 3D-Bildverarbeitungs- und -analysesoftware, um mit den anfallenden riesigen Datenmengen effizient umgehen zu können. Die komplexen Algorithmen müssen kurze Antwortzeiten bei der Bildverarbeitung ermöglichen“, erläutert Schladitz. Eine anspruchsvolle Aufgabe, gilt es doch, in kurzer Zeit feinste Strukturen in der riesigen Datenmenge zu finden. Dafür bietet die Software umfangreiche Analysemethoden, etwa für lokale Porositäts-, Dicken- und Orientierungsanalyse.

Geplant ist, die Expertise von Bauingenieuren mit der 3D-Bildanalyse zu verknüpfen, um komplexe Algorithmen optimal auszuwählen und zu parametrisieren, Zwischen­ergebnisse korrekt zu bewerten und Fehler möglichst früh zu korrigieren. Dazu wird ein KI-Assistent entwickelt, der den erwarteten Arbeitsablauf und Datenfluss erlernt, sowie erwartete Zwischenergebnisse und typische Fehlerbilder. Er wird unter anderem anhand der CT-Messparameter und der Proben­beschaffenheit wie Dimensionen und Material­mischung trainiert, um die Bilddatenqualität zu bewerten. Bauingenieure erhalten dadurch schließlich bessere Berechnungsgrundlagen etwa zum Tragverhalten von Bauteilen aus Beton und können infolgedessen Material sparen und den Anteil des erforderlichen Bewehrungsstahls oder des Faseranteils optimal anpassen.

In Zukunft soll Quanten­computing die Auswertung von CT-Daten beschleunigen – nicht nur in diesem Fall. Geschickte Nutzung der besonderen Eigenschaften von Qubits ermöglicht es, sehr große Bilddaten, wie sie mit Gulliver erzeugt werden, mit wenigen Qubits zu repräsentieren, etwa 1024 auf 1024 Pixel mit 21 Qubits. Würde man die bisher üblichen Filter- und Analysealgorithmen durch Quanten-Bildverarbeitungs-Algorithmen ersetzen, so wäre eine effizientere Verarbeitung dieser enormen Datenmengen möglich. Theoretisch könnten sowohl Speicher- als auch Rechenaufwand exponentiell reduziert werden.

Praktisch erfordern das Kodieren des Bildes und das Ausführen von Algorithmen sehr viele einzelne Quanten-Operationen. Deshalb sind derzeit die Ergebnisse einfacher Bild­verarbeitungs­schritte auf kleinen Bildern oft bis zur Unkenntlichkeit verrauscht. Wie im Quanten­computing allgemein sind daher Rauschmodelle und Algorithmen, die möglichst wenige Basis­operationen benötigen, Gegenstand der aktuellen Forschung des Fraunhofer ITWM und anderer Fraunhofer-Institute.

FH.-ITWM / DE

 

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