Wie fest zu flüssig wird
Detaillierte Beobachtung von Schmelzvorgängen bei Festkörpern.
Aus Eis wird Wasser, Butter zerläuft zu flüssigem Fett, Minerale verwandeln sich in transparentes Glas – all diese Prozesse funktionieren nur, weil sich der Aggregatzustand eines Ausgangsmaterials durch Erhitzen von fest in flüssig verändert. Gemeinhin nennt man diesen Übergang Schmelzen. Doch obwohl er allgegenwärtig ist, ist überraschend wenig darüber bekannt, wie der Vorgang auf der Ebene von Molekülen und Atomen eigentlich genau abläuft. Ein internationales Forscherteam hat jetzt detailliert beobachtet, was beim Schmelzen genau passiert.
Abb.: Ein internationales Forscherteam um Lothar Wondraczek von der Uni Jena hat den Vorgang des Schmelzens von Feststoffen detailliert aufgeklärt. (Bild: L. Wondraczek, FSU)
„In der Regel schmilzt ein Material von seiner Oberfläche aus – Eis wird so beispielsweise rutschig“, sagt Lothar Wondraczek von der Uni Jena, einer der beteiligten Wissenschaftler. „Doch unter bestimmten Bedingungen schmilzt ein Körper auch homogen, also im Ganzen.“ In den meisten bisher bekannten Fällen ist die Viskosität der entstandenen Flüssigkeit am Schmelzpunkt sehr niedrig, so dass der eigentliche Schmelzprozess äußerst schnell abläuft und sich nur schwer beobachten lässt. Dem Team gelang es, sich den Schmelzvorgang quasi in Zeitlupe anzuschauen. Dabei deckten die Forscher auf, dass beim Übergang von fest nach flüssig grundsätzlich zwei Schritte aufeinanderfolgen.
Erhöht man die Temperatur, so erreicht das System zunächst einen energetischen Zustand, der zufällig auftauchende gestörte Bereiche zur Folge hat. Allerdings ohne dass die Teilchen, aus denen das Kristallgitter besteht, bereits größere Bewegungen vornehmen. Nur wenn diese Teilchen im zweiten Schritt auch die Freiheit erlangen, sich verstärkt und stetig über größere Strecken zu bewegen, verflüssigen sich die gestörten Bereiche. „In gewisser Weise muss die Flüssigkeit also erst tatsächlich flüssige Eigenschaften erlangen, bevor der Schmelzvorgang abgeschlossen ist“, erklärt Wondraczek. „Wenn man beispielsweise Eis sehr schnell auf einige Grad Celsius erwärmt, so ist die Beweglichkeit der Teilchen im flüssigen Zustand in aller Regel allerdings so hoch, dass der zweite Teil der Reaktion aufgrund der hohen Geschwindigkeiten kaum separat beobachtbar ist.“
Für die Erkenntnisse der Forscher sind Experimente an Zeolithen verantwortlich, Materialien mit sehr poröser Struktur. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass diese in flüssiger Form eine weitaus höhere Viskosität als Wasser und sogar als zäher Honig besitzen. Zeolithe kommen in der Natur vor, werden aber auch in großer Menge künstlich produziert und finden vielfältige Anwendungsmöglichkeiten, etwa in Waschmitteln oder Filtern. In unterschiedlichen Experimenten erhitzten die Wissenschaftler die Zeolithe und beobachteten gleichzeitig, wie sich währenddessen die Materialeigenschaften verändern. „Der Schmelzprozess läuft hierbei wesentlich langsamer ab, was uns ein Zeitfenster im Minutenbereich für unsere Beobachtungen ermöglichte“, so Wondraczek. Mit den neuen Erkenntnissen besteht nun die Möglichkeit, das Material auch während des Schmelzprozesses in seiner Struktur festzuhalten und es so noch weiter modifizieren zu können.
Bedeutender für das Team ist jedoch, dass hier eine wichtige Lücke in der Grundlagenforschung geschlossen werden könnte. „Viele Wissenschaftler aus ganz unterschiedlichen Disziplinen, etwa aus den Geowissenschaften, der Chemie und der Physik, haben sich dem Thema von ganz unterschiedlichen Seiten genähert“, sagt Wondraczek. „Wir glauben, dass wir nun auf dem Weg zu einer allgemeingültigen und übergreifenden Klärung dessen, was beim Schmelzen genau passiert, einen entscheidenden Schritt machen konnten.“
FSU / RK