19.02.2016

Wie kleine Tiere Schall orten

Richtungshören bei kleinen Tieren läuft dank gekoppelter Ohren über einen Tunnel im Kopf.

Sei es eine Bedrohung, die sich anschleicht oder eine Beute, die es im Dunkeln zu finden gilt – die genaue Position einer Geräusch­quelle bestimmen zu können, ist im Tierreich von großer Bedeutung. Fast alle Säugetiere, darunter auch der Mensch, lokalisieren eine Geräusch­quelle horizontal mit Hilfe der zeitlichen Verzögerung mit der das Schallsignal an beiden Ohren ankommt. Aus dem Zeit­unter­schied berechnet das Gehirn die Richtung, aus der das Geräusch kam.

Abb.: Ein luftgefüllter Kanal verbindet die Ohren der Eidechse im Inneren und ermöglicht ihr das Richtungshören. (Bild: F. Mugele, U. Twente)

Frösche, viele Reptilien und auch Vögel haben diese Möglichkeit nicht, da ihr Ohrabstand oft nur wenige Zenti­meter beträgt. Der Zeit­unter­schied ist daher so gering, dass das Gehirn ihn nicht mehr verarbeiten kann. Um diesen Nachteil auszugleichen, haben diese Tiere ein einfaches und zugleich sehr effizientes System entwickelt: Ein luft­gefüllter Hohlraum verbindet die Trommel­felle beider Ohren.

Dieser quer durch den Schädel hindurch verlaufende Hohl­raum sorgt für eine Kopplung der beiden Trommel­felle. Die Wissen­schaftler sprechen hierbei von „intern gekoppelten Ohren“ (englisch „internally coupled ears“, ICE). Dieser „Tunnel im Kopf“ wird gut sichtbar, wenn man beispiels­weise einem Gecko in eines seiner Ohren hineinleuchtet: Der Lichtstrahl tritt dann aus dem anderen Ohr wieder aus.

Anders als bei uns Menschen nehmen die Tiere damit nicht nur die von außen auftreffenden Signale wahr, sondern auch eine Überlagerung der äußeren Schall­wellen mit jenen, die im Inneren des Verbindungs­ganges durch die Kopplung mit der anderen Seite entstehen. Zwar haben Wissenschaftler durch Experimente herausgefunden, dass die Tiere dieses resultierende Signal zur Richtungs­bestimmung nutzen. Was jedoch in den gekoppelten Ohren genau vor sich geht, blieb bislang ein Rätsel.

Nun ist es Wissenschaftlern um Leo van Hemmen, Professor für Theoretische Bio­physik an der Technischen Universität München (TUM), erstmals gelungen, ein universell anwendbares mathe­matisches Modell zu entwickeln, das genau beschreibt, wie sich die Schallwellen in intern gekoppelten Ohren ausbreiten und welche Hinweise auf die Richtung des Signals dabei entstehen.

„Unser Modell lässt sich auf alle Tiere mit diesem Hörsystem anwenden, auch wenn die Hohlräume zwischen den Trommelfellen bei den unterschiedlichen Spezies sehr verschieden aussehen“, erklärt van Hemmen. „Hierdurch verstehen wir nun, was genau im Inneren der Ohren dieser Tiere vor sich geht, und können Experimente bei ganz unter­schiedlichen Tierarten erklären und vorhersagen.“ Insgesamt besitzen mehr als 15.000 Arten intern gekoppelte Ohren – das ist mehr als die Hälfte aller land­lebenden Wirbeltiere.

Mit Hilfe ihres Modells fanden van Hemmen und sein Team heraus, dass die Tiere sogar zwei verschiedene Methoden zum Hören mit intern gekoppelten Ohren entwickelt haben. Sie treten in unterschiedlichen Frequenz­bereichen auf und ergänzen sich gegenseitig.

Bei Tönen mit einer Frequenz unterhalb der Grundfrequenz des Trommelfells wird der Zeitunterschied, der durch die Überlagerung der äußeren und der inneren Signale entsteht, bis zu fünffach verstärkt. Das reicht aus, um das Geräusch orten zu können.

Bei höheren Frequenzen kann die Zeitdifferenz nicht mehr genutzt werden. Hier kommt eine andere Eigenschaft des Signals zum Tragen: Der Unterschied in der Amplitude, also des Laut­stärke­pegels, mit dem das Signal an beiden Ohren wahrgenommen wird. „Diese Amplituden­differenz entsteht allein durch die Kopplung der beiden Ohren“, erklärt van Hemmen. „Das war ein überraschendes Ergebnis.“

Die neuen Erkenntnisse über den Mechanismus und vor allem die Vorteile des Hörens mit intern gekoppelten Ohren sind auch für die Industrie interessant. So könnten vielleicht einmal Roboter mit solch einem Hörsystem ausgestattet werden. „Ich kann mir eine Anwendung in der Robotik gut vorstellen, da diese Art der Verstärkung keine Energie kostet“, meint van Hemmen. In Zukunft wollen die Wissenschaftler um van Hemmen ihr Modell zusammen mit experimentell arbeitenden Kollegen weiter verfeinern.

TUM / DE

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