Wie lange dauert die Geburt eines Sterns?
Astrochemische Altersbestimmung durch Moleküllinienbeobachtungen mit SOFIA und APEX.
Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Wissenschaftlern des Sonderforschungsbereichs 956 „Bedingungen und Auswirkungen der Sternentstehung“ an der Universität zu Köln hat Beobachtungsdaten vom GREAT-Empfänger an Bord des Flugzeug-Observatoriums SOFIA sowie vom APEX-Teleskop in Chile dazu verwendet, das Alter eines Sternentstehungsgebiets in einer interstellaren Wolke genau zu bestimmen. Im Zentrum der Wolke entsteht eine Gruppe von sonnenähnlichen Sternen.
Abb.: Für die Beobachtung der ersten stellaren Evolutionsstufe, der Kontraktion zum sonnenähnlichen protostellaren System IRAS 16293-2422 im 400 Lichtjahre entfernten Sternbild Ophiuchus, diente molekularer Wasserstoff als chemische Uhr. Da Wasserstoff nicht direkt beobachtbar ist, wurden stattdessen H2D+-Ionen beobachtet. Die astronomischen Beobachtungen wurden im submm- und fern-infraroten Wellenlängenbereich mit dem erdgebunden APEX Teleskop in den chilenischen Anden und dem Flugzeug-Observatorium SOFIA durchgeführt. (Bild: M. Markus & O. Asvany; nach NASA, C. Thomas, C. Durán / ESO / APEX DSS2 / D. De Martin / ESO, L. Calçada / B. Saxton, NRAO)
Sterne wie unsere Sonne und ihre Planetensysteme bilden sich im Inneren von Wolken aus Gas und Staub in unserer Milchstraße, den Kinderstuben für die Entstehung neuer Sterne. Die Entwicklung eines neuen Sterns beginnt mit der Kontraktion von bereits verdichtetem Material im Inneren der Wolke bis zur Bildung eines embryonalen Protosterns. Wie diese Entwicklung genau abläuft, und auf welcher Zeitskala sich der Kollaps zu einem Protostern ereignet, ist nicht genau bekannt. Strömt das Gas aufgrund der Schwerkraft im freien Fall Richtung Zentrum oder wird der Kollaps durch bestimmte Faktoren verlangsamt? „Da diese Entwicklung wesentlich mehr Zeit braucht als die gesamte Geschichte der Menschheit, können wir sie nicht über den gesamten Ablauf hin verfolgen“, sagt Sandra Brünken von der Universität zu Köln. „Statt dessen benötigen wir eine innere Uhr, um das Alter der jeweiligen Sternentstehungsregion bestimmen zu können.“
Das Wasserstoffmolekül, das mit Abstand häufigste Molekül im Weltraum, könnte als eine Art „chemische“ innere Uhr dienen. Molekularer Wasserstoff tritt in zwei unterschiedlichen Formen auf, ortho- und para-Wasserstoff, die sich durch die unterschiedliche Orientierung der Spins der beiden Wasserstoffkerne unterscheiden. In den dichten und kalten Molekülwolken, aus denen sich Sterne bilden, ändert sich die relative Häufigkeit der beiden Formen stetig mit der Zeit aufgrund chemischer Austausch-Reaktionen. Deshalb kann das gemessene Häufigkeitsverhältnis als Maß dafür herhalten, wieviel Zeit seit der Entstehung der Wasserstoffmoleküle, und damit auch der Molekülwolke selbst, verstrichen ist. Leider ist es nicht möglich, H2 direkt in den sehr kalten interstellaren Brutstätten neuer Sterne nachzuweisen. Stattdessen lässt sich aber die ionisierte Variante H2D+ beobachten, bei der ein Deuterium-Kern an das H2-Molekül angebunden ist. Tatsächlich emittieren und absorbieren die beiden ortho- und para-Formen von H2D+-Strahlung bei bestimmten charakteristischen Wellenlängen, wobei diese Spektrallinien mit unterschiedlichen Teleskopen nachgewiesen werden können. „Wir wissen sowohl durch eigene Laborexperimente als auch von der Theorie her, dass H2D+ eine sehr enge chemische Beziehung zu H2 hat“, sagt Stephan Schlemmer von der Universität zu Köln, der diese Messungen vorgeschlagen hat. „Zum ersten Mal konnten wir nun beide Varianten von H2D+ beobachten und dadurch indirekt das Verhältnis von ortho-zu para-H2 bestimmen. Das Ablesen dieser chemischen Uhr ergibt ein Alter von mindestens einer Million Jahre für die Muttermolekülwolke, aus der sich zur Zeit sonnenähnliche Sterne entwickeln.“ Das Ergebnis steht im Widerspruch zu Theorien, die eine viel schnellere Entstehung der Sterne vorhersagen.
Die astronomischen Beobachtungen stellten eine große Herausforderung dar. Die entscheidende Spektrallinie des para-H2D+ liegt im Ferninfraroten bei einer Wellenlänge von 219 µm, bei der die Erdatmosphäre die eintretende Strahlung nahezu komplett verschluckt. „Der erste eindeutige Nachweis war nur möglich durch die einzigartigen Qualitäten unseres GREAT-Instruments an Bord des Flugzeug-Observatoriums SOFIA“, sagt Jürgen Stutzki, dessen Forschungsabteilung an der Universität zu Köln am Bau von GREAT maßgeblich beteiligt war. SOFIA, eine umgebaute Boeing 747, beherbergt ein 2,7 m großes Teleskop, und kann in Höhen bis zu 14 km fliegen, weit oberhalb der absorbierenden Schichten der Erdatmosphäre.
Das Forscherteam hat die entsprechende Spektrallinie des ortho-H2D+ bei Millimeter-Wellenlängen mit dem APEX-Teleskop beobachtet, das in 5100 m Höhe in den chilenischen Anden steht. „Es ist phantastisch, diese Synergie zwischen beiden Teleskopen zu sehen“, sagt Karl Menten vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie, der Leiter des APEX-Projekts.
Das Alter der hier untersuchten Sternentstehungsregion, die sich im Sternbild Ophiuchus (Schlangenträger) in zirka vierhundert Lichtjahren Entfernung befindet, wurde dadurch bestimmt, dass die beobachteten Spektraldaten von beiden Teleskopen mit detaillierten Computersimulationen zur zeitlichen Entwicklung der Chemie verglichen wurden. „Die Simulationen haben uns einen genauen Einblick in das Uhrwerk unserer H2D+-Uhr ermöglicht“, erklärt Jorma Harju von der Universität Helsinki. „Wir konnten zeigen, dass diese neue chemische Uhr wesentlich genauer geht als alle anderen bisher verwendeten Uhren. Und was noch wichtiger ist, sie funktioniert auch dann noch, wenn alle anderen Uhren ihren Gang längst eingestellt haben.“ Das Forscherteam ist daher überzeugt, dass die neue Methode auch bei der Altersbestimmung von weiteren stellaren Geburtsstätten von großem Nutzen sein wird.
MPIfR / OD
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