21.07.2010

Wie man Atome verwirrt

Materialwissenschaftler entdecken neuen Mechanismus der Glasbildung.

Materialwissenschaftler entdecken neuen Mechanismus der Glasbildung.

Massive metallische Gläser besitzen einzigartige Eigenschaften und sind eine der am intensivsten untersuchten Materialklassen unserer Zeit. Sie sind deutlich härter als herkömmliche Stähle, zudem hoch elastisch und oft extrem korrosionsfest. Dabei können metallische Gläser hochpräzise und so einfach wie Plastik verarbeitet werden - kurz: ein Supermaterial. Wäre es nicht so kompliziert herzustellen. Denn beim Abkühlen der Metallschmelze muss die regelmäßige Anordnung der Atome, die so genannte Kristallisation, verhindert werden, um die atomare Unordnung der Schmelze einzufrieren. Das Verständnis, wie man Atome in Legierungen gezielt "verwirren" und damit die Kristallisation verhindern kann, ist also ein Schlüssel zur Beherrschung der Glasbildung. Bislang gab es jedoch keine Experimente, welche die genauen physikalischen Vorgänge der Glasbildung erklärten.


 

 

Abb.: Die großen Palladiumatome (grau) der Legierung Pd43Cu27Ni10P20 bilden noch in der flüssigen Schmelze ein starres Netzwerk, in dem die anderen Atome wie in einem Käfig gefangen werden. Das schwer bewegliche Gerüst bremst die Kristallisation, weshalb bereits eine geringe Kühlrate ausreicht, um ein metallisches Glas zu erzeugen. (Bild: CAU, Björn Gojdka)

Nun gelang es Forschern von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel um Franz Faupel erstmalig, die Beweglichkeit (Diffusionskoeffizienten) aller Elemente einer glasbildenden Legierung über den gesamten relevanten Temperaturbereich zu bestimmen. Wie die Wissenschaftler berichten, konnten sie in der Legierung Pd43Cu27Ni10P20 durch ihre Messungen einen fundamentalen Mechanismus der Glasbildung identifizieren. Sie zeigten, dass die Beweglichkeit der großen Palladiumatome während des Abkühlens der Schmelze kurz vor dem Erstarren zum Glas rund 10.000 Mal geringer ist, als die Beweglichkeit der übrigen Elemente. "Computersimulationen zufolge bilden die größten Atome in der Schmelze eine Art Käfig, in dem die anderen Atome eingesperrt werden. Bisher konnte dieser Vorgang aber experimentell nicht beobachtet werden", erklärt Faupel. Die verhältnismäßig großen Palladiumatome bilden dabei ein starres Netzwerk, noch lange bevor die Glassübergangstemperatur erreicht ist, bei der die flüssige Schmelze zum festen Körper erstarrt. Das langsame Untersystem der Palladiumatome verhindert dadurch eine schnelle Kristallisation der Legierung, so dass auch eine niedrige Kühlrate genügt, um die flüssige Unordnung einzufrieren.

"Der von uns entdeckte Mechanismus der Glasbildung ist so bedeutend, da er von universeller Natur ist", freut sich Faupel. Die Ergebnisse verbessern daher das Verständnis des Übergangs eines mehrkomponentigen Materials vom flüssigen zum glasförmigen Zustand. Die Jagd nach preiswerten glasbildenden Legierungen für technische Alltagsanwendungen ist in vollem Gange. Dank des besseren Verständnisses der Vorgänge bei der Glasbildung kann zukünftig zielstrebiger nach glasbildenden Legierungen gesucht werden.

Universität Kiel/AL


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