Wie Muskeln Kraft erzeugen
Biophysikalisches Modell erklärt die Abnahme der Krafterzeugung bei verkürzten Muskeln.
Tätigkeiten des Alltags, des Sports sowie der zwischenmenschlichen Kommunikation erfordern viele koordinierte Muskelbewegungen. Seien es grobmotorische Volllastbewegungen wie Kniebeugen oder feinmotorische Präzisionsbewegungen wie das Einfädeln eines Fadens in ein Nadelöhr oder ein Lächeln. Robert Rockenfeller, Mathematiker an der Universität in Koblenz, Michael Günther, Physiker an der Universität Stuttgart, und Scott L. Hooper, Biologe an der Ohio University (OU) in Athens/Ohio, USA, haben ein mathematisch-physikalisches Modell vorgestellt, das erklären kann, warum bei einem verkürzten Muskel die Krafterzeugung abnimmt.
Ein Muskel wie etwa der Bizeps besteht aus Zehntausenden von Muskelfasern von der Dicke eines Haares, die wiederum aus tausenden der kleinsten Muskeleinheiten zusammengesetzt sind: den Sarkomeren. Sobald das zentrale Nervensystem den Anstoß zu einer bestimmten Bewegung gibt, wird durch das zentrale Nervensystem ein elektrischer Reiz gesendet. Dieser trifft auf die Muskelzelle und veranlasst die Ausschüttung von Kalzium-Ionen in die Sarkomere: Die Muskelzelle und damit ein Teil des Muskels wird aktiviert. Dies führt zu einer Kraft-aktiven Querverbindung der gegenläufigen fadenähnlichen Strukturen Aktin und Myosin. Myosin besitzt Proteinausstülpungen, die sich wie eine Menge untereinander unabgestimmt arbeitender Tauzieher am seilartigen Aktin entlanghangeln, dadurch Kraft erzeugen und so vereint eine Zugkraft an jedem Ende des Muskels erzeugen, die immer auf seine Verkürzung hinarbeitet. Als Treibstoff nutzen sie hierfür das vom Körper in großen Mengen synthetisierte Molekül Adenosintriphosphat (ATP).
Ein Muskel hat je nach Muskelaktivität einen anderen optimalen Arbeitsbereich – diejenige Muskellänge, bei der die maximale Kraft erzeugt werden kann, ändert sich also ständig. Diese verschiebt sich bei abnehmender Aktivität zu längeren Längen. Je weiter der Muskel entfernt von seiner aktuell optimalen Länge arbeitet, sei er länger oder kürzer, desto mehr fällt seine maximal mögliche Kraft ab. Eine abfallende Kraft bei langen Längen ist intuitiv gut vorstellbar, da die Aktin- und Myosin-Fäden auseinandergezogen werden und somit weniger gegenseitige Angriffspunkte haben.
„Kern unseres Modells ist die Vorstellung, dass Sarkomere ihr Volumen nicht verändern und dass Myosin-Köpfe elektrostatisch an Aktin angezogen werden, ähnlich wie Haare an einen daran geriebenen Ballon“, erklärt Rockenfeller. „In der Konsequenz wird ein sich verkürzendes Sarkomer dicker, wodurch sich die radialen Abstände zwischen den fadenähnlichen Strukturen erhöhen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Myosin-Kopf nun ein passendes Aktin finden kann, sinkt dadurch deutlich.“
Neben dem Kraftabfall bei kurzen Muskellängen kann das Modell auch die aktivitätsabhängige Verschiebung des optimalen Kraftbereiches erklären, was die Forscher am Beispiel von mehreren Datensätzen verschiedener Tiere und Muskeln zeigen.
„Es ist interessant, dass die Skelettmuskulatur von Säugetieren eine sehr geringe Variation in ihren Eigenschaften, zum Beispiel der Sarkomer-Geometrie, aufweist. Dies im Gegensatz zu der von etwa Weichtieren. Wir wissen erstaunlich wenig über die biologischen und evolutionären Mechanismen hinter unseren so wichtigen Alltagshelfern, den Muskeln", führt Rockenfeller weiter aus, der kürzlich eine Erklärung für das Auftreten von Ermüdungseffekten in einer wissenschaftlichen Publikation vorgestellt hatte.
Ob sich aus den Erkenntnissen der Forscher direkte Konsequenzen für den Alltag oder den Sportbetrieb ergeben, bleibt abzuwarten. Einer der Gutachter des Artikels hat sich zumindest in einer kurzen Stellungsnahme bereits für eine Änderung seines bisherigen Lehrmaterials ausgesprochen. In jedem Fall lohnt sich eine Reflexion über den achtsamen Umgang mit dem eigenen Körper. Denn immerhin halten uns die Muskeln am Laufen – in mehr als einer Hinsicht.
U. Koblenz-Landau / DE