Um mögliche Versauerungstrends besser beobachten zu können, entwickelte Jens Müller, Meereschemiker am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW), eine sehr genaue optische pH-Messmethode weiter, die bislang nur bei hohen Salzgehalten im Ozean anwendbar war. Nun ist sie auch bei geringer Salinität im Ostsee-Brackwasser einsatzbereit. Das adaptierte Messverfahren, für das bereits ein marktreifes Gerät konstruiert wurde, empfiehlt sich daher für den routinemäßigen Einsatz im Rahmen der Ostsee-Umweltüberwachung der Helsinki-Kommission (HELCOM). Durchgeführt wurden die Arbeiten im Rahmen des EU-Projekts Bonus Pinbal.
Abb.: Die für Brackwasser adaptierte optische pH-Messmethode samt marktreifem Gerät (roter Kasten) wurde von Jens Müller eingehend auf See erprobt – hier an Bord des Fährschiffes Finnmaid. (Bild: IOW / J. Müller)
Der durch den Menschen verursachte übermäßige CO2-Ausstoß ist nicht nur ein Problem für das Weltklima, sondern auch für die Weltmeere: Kohlendoxid löst sich im Meerwasser, bildet Kohlensäure und setzt dadurch Wasserstoffionen frei, die zu einer Versauerung führen. Seit Beginn der Industrialisierung ist der durchschnittliche pH-Wert der Ozeane von 8,2 auf rund 8,1 gefallen. Auch als „das andere CO2-Problem“ bezeichnet, beeinflusst die Absenkung des pH-Werts fast alle biochemischen und biologischen Prozesse im Meer. Sehr empfindlich reagieren beispielsweise Muscheln, Krebse und Korallen, da der Aufbau ihrer Kalkschalen, -panzer oder -skelette in dem zunehmend sauren Milieu erschwert wird.
Obwohl sich die Wissenschaft bereits seit rund zwei Jahrzehnten mit der Ozeanversauerung befasst, ist es nicht leicht, die aktuelle Dynamik des Phänomens mitzuverfolgen: Langzeit-Messreihen im offenen Ozean zeigen, dass sich der pH-Wert im Schnitt jährlich um rund 0,002 Einheiten vermindert. Um diese geringen Veränderungen zu erfassen, bedarf es hochgenauer Messmethoden. In der Ozeanographie hat sich dafür die optische pH-Messung als Standard etabliert hat. Sie beruht auf der Zugabe des Farbstoffs m-Kresolpurpur zur Wasserprobe und dessen pH-abhängigen Farbumschlag von Violett nach Gelb. Die Farbigkeit kann mit einem Photometer äußerst exakt bestimmt und in Abhängigkeit von Salzgehalt und Temperatur in pH-Einheiten umgerechnet werden.
Und wie sieht es mit der Ostsee aus? „Wir haben Daten der letzten zwanzig Jahre analysiert und keinen eindeutigen Versauerungstrend feststellen können – ein ziemlich bemerkenswertes Ergebnis angesichts der bereits nachgewiesenen allgemeinen Ozeanversauerung“, sagt Jens Müller vom IOW, der sich im Rahmen seiner Doktorarbeit intensiv mit dem CO2-System der Ostsee befasst hat. Dafür kämen verschiedene Gründe in Frage. Zwei besonders wichtige seien die folgenden, erklärt der Meereschemiker: Erstens ist die Datenqualität in Bezug auf Messgenauigkeit unzureichend. Und zweitens gibt es tatsächlich keinen abnehmenden pH-Trend, da die Versauerung durch konträr wirkende Einflüsse abgepuffert wird.
Dass es in der Ostsee derzeit in der Tat Prozesse gibt, die der Versauerung entgegenwirken, zeigen umfangreiche Analysen zur Alkalinität, also zum Säurebindungsvermögen des Meerwassers. Der seit 1995 beobachtete Anstieg der Alkalinität in der Ostsee ist wahrscheinlich durch kontinentale Gesteinsverwitterung bedingt, deren Produkte mit den Flüssen in das Binnenmeer gewaschen werden. Wie lange dieser Alkalinitätsanstieg jedoch anhält und eine Versauerung abpuffern kann, ist unbekannt. „Um zu verstehen, was in der Ostsee in Sachen pH passiert, muss ausgeschlossen werden, dass ein Nachweis von Versauerung einfach an Methodenungenauigkeit scheitert“, betont Jens Müller.
Derzeit basiert die Erfassung des pH-Werts im Rahmen von Ostsee-Routine-Untersuchungen auf Messungen mit einer Glaselektrode; der Messfehler dieses Verfahrens ist zu groß, um Versauerungstrends sicher nachzuweisen. Jens Müller mahnt daher an, ein entsprechendes Monitoring mit genauester Methodik und möglichst guter zeitlicher und räumlicher Auflösung durchzuführen, damit man bei so einem Schlüsselparameter immer auf dem neusten Stand sei. Müller: „Wir haben deshalb die deutlich genauere optische pH-Messmethode, die bislang nur in den offenen Ozeanen mit hohen Salzgehalten zwischen 20 und 40 anwendbar war, so weiterentwickelt, dass sie auch im Ostsee-Brackwasser bei geringerer Salinität von 5 bis 20 funktioniert und für ein routinemäßiges Monitoring einsatzbereit ist.“
Dazu glich Jens Müller in Kooperation mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in künstlichen Meerwasserstandards durchgeführte optische pH-Messungen erstmals mit pH-Messungen nach dem primären, messtechnisch definierten elektrochemischen Standardverfahren ab und charakterisierte systematisch das Farbumschlagsverhalten des Indikatorfarbstoffs m-Kresolpurpur für niedrige Salzgehalte. „Mit Hilfe dieser auf Primärstandards zurückführbaren Daten können wir nun erstmals pH-Messgeräte auch für den Salinitätsbereich der Ostsee eichen und die Farbigkeit des Indikators zuverlässig in pH-Einheiten umrechnen“, erläutert Müller. In einem letzten Schritt konnte der IOW-Forscher noch experimentell ausschließen, dass sich Schwefelwasserstoff und größere Mengen organischen Materials, beides typisch für Brackwasserökosysteme wie die Ostsee, störend auf das neue Messverfahren auswirken.
Um das optische pH-Messverfahren nicht nur auf chemisch-physikalischer Ebene für den Einsatz in der Ostsee startklar zu machen, erarbeitete Jens Müller zusammen mit einer Kieler Meerestechnik-Firma und zwei wissenschaftlichen Partnerinstitutionen eine für den Feldeinsatz anwendungsreife technische Umsetzung, die mittlerweile erprobt und auf dem Markt ist. „Unser ‚Roter Kasten‘, in dem alles eingebaut ist, was man zur optisch-photometrischen pH-Messung braucht, kann leicht auf jedem Forschungsschiff installiert werden und auch auf sogenannten ‚voluntary observing ships‘ (VOS) mitfahren“, sagt Müller.
VOS sind regelmäßig auf den Ozeanen und auch auf der Ostsee verkehrende Schiffe, die nicht primär für die Forschung unterwegs sind, aber dennoch Messgeräte an Bord nehmen und wissenschaftliche Daten erheben. „Einer routinemäßigen Verwendung des angepassten Verfahrens für ein deutlich präziseres, hochaufgelöstes und flächendeckendes pH-Monitoring in der Ostsee steht damit nichts mehr im Wege. Wir halten das nun auch Brackwasser-taugliche Verfahren daher für geeignet, als offizielle neue Standard-Messmethode im Ostsee-Monitoring zum Einsatz zu kommen. Dafür machen wir uns bei der HELCOM stark“, kommentiert Gregor Rehder, Leiter der IOW-Arbeitsgruppe „Biogeochemie umweltrelevanter Gase“ und Koordinator des Pinbal-Projekts, die Forschungsergebnisse seines ehemaligen Doktoranden und jetzigen Kollegen abschließend.
Leibniz-IOW / DE