19.07.2018

Wie Spins und Phononen interagieren

Dynamik der Demagnetisierung von Ferrimagneten beim Aufheizen untersucht.

Magnete kommen in verschiedenen Varianten vor. Ferri­magnete bilden die größte Klasse von Magneten und bestehen aus zwei Arten von Atomen. Ähnlich einer Kompass­nadel besitzt jedes Atom ein kleines magnetisches Moment, auch Spin genannt, welches von den Elektronen des Atoms erzeugt wird. Bei einem Ferri­magneten zeigen die magnetischen Momente der beiden Atome in entgegen­gesetzte Richtungen. Die Gesamt­magnetisierung ist somit die Summe aller magnetischen Momente. Aufgrund der entgegen­gesetzten Richtung ist die Größe der Gesamtmagnetisierung durch diese Differenz gegeben.

Abb.: Bildliche Darstellung des Demagnetisierungs­prozesses, angeregt durch das plötzliche Aufheizen des Kristall­gitters durch intensive Terahertz-Strahlung (Bild: Fritz-Haber-Institut Berlin)

Wird ein nicht leitender Ferrimagnet erwärmt, erreicht die Wärme zunächst das Atom­gitter, wodurch sich die Atome zufällig um ihre Ruhelage bewegen. Schließlich verursacht ein Teil der Wärme auch eine zufällige Präzession der Spins um ihre ursprüngliche, kalte Richtung. Dadurch geht die magnetische Ordnung verloren. Die Gesamt­magnetisierung nimmt ab und verschwindet schließlich, wenn die Temperatur des Ferri­magneten eine kritische Temperatur, die Curie-Temperatur, überschreitet. Obwohl dieser Prozess von grund­legender Bedeutung ist, ist seine Dynamik noch nicht gut verstanden. Selbst für den Ferri­magneten Yttrium-Eisen-Granat (YIG), einen der am intensivsten erforschten Ferri­magnete, ist nicht bekannt, wie lange es dauert, bis das erwärmte Atom­gitter und die kalten magnetischen Spins mit­einander ins Gleich­gewicht kommen. Bisherige Schätzungen dieser Zeit­skala unterscheiden sich um einen Faktor von bis zu einer Million.

Ein Team von Wissenschaftlern aus Berlin (Collaborative Research Center / Transregio 227 Ultrafast Spin Dynamics, Fritz-Haber-Institut und Max-Born-Institut), Dresden (Helmholtz-Zentrum), Uppsala (Schweden), St. Petersburg (Russland) und Sendai (Japan) hat nun die elementaren Schritte dieses Prozesses aufgedeckt. „Um das Atom­gitter eines YIG-Films augen­blicklich und ausschließlich zu erwärmen, verwenden wir eine sehr spezifische und neuartige Art von Anregung: ultra­kurze Laser­licht­blitze bei Terahertz-Frequenzen. Mit einem nachträglich eintreffenden sichtbaren Laser­impuls können wir dann Schritt für Schritt die Entwicklung der zunächst kalten magnetischen Spins nach­vollziehen. Im Wesentlichen nehmen wir einen Stop-Motion-Film über die Entwicklung der Magnetisierung auf“, sagt Sebastian Maehrlein, der die Experimente durch­führte.

Sein Kollege Ilie Radu fasst zusammen: „Unsere Beobachtungen sprechen eine klare Sprache. Wir fanden heraus, dass eine plötzliche Erwärmung des Atom­gitters die magnetische Ordnung des Ferri­magneten auf zwei verschiedenen Zeit­skalen reduziert: eine unglaublich schnelle Skala von nur einer Piko­sekunde und eine 100.000-mal langsamere Skala von hundert Nano­sekunden.“

Diese beiden Zeitskalen können analog zu Wasser in einem geschlossenen Topf, der in einen heißen Ofen gestellt wird, verstanden werden. Die heiße Luft des Ofens entspricht dem heißen Atom­gitter, während die magnetischen Spins dem Wasser im Topf entsprechen (siehe Abb. A). Wird das Atom­gitter durch den Terahertz-Laserblitz erwärmt, führen die verstärkten zufälligen Schwingungen der Atome zu einer Übertragung der magnetischen Ordnung von Spintyp 1 auf Spintyp 2. Daher werden die beiden magnetischen Momente M1 (blaue Pfeile in Abb. B) und M2 (grüne Pfeile) um genau den gleichen Betrag reduziert (rote Pfeile). Dieser Prozess entwickelt sich auf der schnellen Zeit­skala, und die atomaren Spins sind gezwungen, sich bei konstanter Gesamt­magnetisierung M1-M2 aufzu­heizen, genau wie Wasser in einem geschlossenen Topf, das sein Volumen halten muss.

Der aufgeheizte Ferri­magnet möchte aber nicht nur M1 und M2, sondern auch seine Gesamt­magnetisierung M1-M2 verkleinern. Dazu muss ein Teil des Spins an das Atom­gitter abgegeben werden. Diese Situation ist wiederum völlig analog zum heißen Wasser in einem geschlossenen Topf: Der Druck im Topf steigt an, wird aber durch kleine Lecks im Deckel langsam nach außen abgegeben (siehe Abb. C). Diese Übertragung von Dreh­impuls an das Atom­gitter ist genau das, was im Ferri­magneten durch schwache Kopplungen zwischen den Spins und dem Gitter passiert.

„Wir haben jetzt ein klares Bild davon, wie das heiße Atom­gitter und die kalten magnetischen Spins eines ferri­magnetischen Nicht­leiters miteinander ins Gleich­gewicht gelangen“, sagt Ilie Radu. Das inter­nationale Forscher­team fand heraus, dass eine Energie­übertragung sehr schnell statt­findet und zu einem neu­artigen Zustand der Materie führt, in dem die Spins zwar heiß sind, aber noch nicht ihr gesamtes magnetisches Moment verringert haben. Dieser „Spin­über­druck“ wird durch wesentlich langsamere Prozesse abgebaut, die eine Abgabe von Dreh­impuls an das Gitter ermöglichen.

„Unsere Ergebnisse sind auch für Anwendungen in der Daten­speicherung relevant“, ergänzt Sebastian Maehrlein. „Der Grund ist einfach. Wann immer wir den Wert eines Bits in einem magnetischen Speicher­medium zwischen Null und Eins umschalten wollen, müssen letztlich Dreh­impuls und Energie zwischen Atom­gitter und Spins über­tragen werden."

FVB / DE

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