Wie Vakuum auf chemische Reaktionen wirkt
Hohlraum-quantenelektrodynamische Effekte können Elektronentransfer bei molekularen Prozessen massiv beschleunigen.
Das Vakuum ist nicht einfach leer. Wie aus der Quantenfeldtheorie bekannt, entstehen und vergehen ständig und überall virtuelle Teilchen. Diese Vakuumfluktuationen führen nicht nur zur Vakuumpolarisation und schirmen etwa die Ladung von Teilchen ab. Sie können auch ganz reale Kräfte bewirken. Beim Casimir-Effekt etwa liegen sich zwei leitende Platten in geringem Abstand gegenüber. Dadurch ist die Anzahl möglicher Zustände des elektromagnetischen Feldes zwischen diesen Platten begrenzt, weil nur die virtuellen Wellen mit den passenden Wellenlängen zwischen den Platten oszillieren können. Außerhalb der Platten hingegen ist die Anzahl der Zustände unbeschränkt. Dieses Übermaß an virtuellen Zuständen außerhalb erzeugt einen geringen, aber messbaren Druck auf die Platten.
Abb.: Das quantisierte elektromagnetische Feld in einem Hohlraum kann den Elektronentransfer bei molekularen Reaktionen deutlich beschleunigen. (Bild:F. Herrera, Univ. Santiago)
Auf einem ganz ähnlichen Prinzip beruht eine neuartige Idee, sich die Vakuumfluktuationen nutzbar zu machen – und zwar mit überraschend großem Effekt. Wie die Arbeitsgruppe von Thomas Ebbesen von der Universität Strasbourg in den letzten Jahren zeigen konnte, lässt sich der Elektronentransfer in bestimmten Materialien mittels geeigneter Hohlräume um eine ganze Größenordnung beschleunigen. Nun haben Felipe Herrera von der University of Santiago in Chile und Frank Spano von der Temple University in Philadelphia diese Arbeiten weiter theoretisch ausgebaut. Nach ihren Berechnungen sollten bestimmte Elektronentransfer-Reaktionen sogar um bis zu zwei Größenordnungen schneller ablaufen, wenn man die Geometrie der feldbegrenzenden Strukturen geschickt auf entsprechenden Moleküle einstellt.
Je nach Material kommen eine ganze Reihe verschiedener Strukturen in Betracht, um passende Hohlräume zu realisieren. So könnte man ebene optische Mikrokavitäten oder plasmonische Nanokavitäten einsetzen, bei denen das eingeschlossene elektromagnetische Feld das Nahfeld eines metallischen Nanoteilchens ist, das plasmonische Resonanzen unterstützt. „Andere Konfigurationen könnten dielektrische Wellenleiter oder photonische Kristalle sein”, so Herrera. „Alles, was das elektromagnetische Feld stark genug eingrenzt, sollte funktionieren.”
Der Effekt beruht auf der Entkopplung der elektronischen und der Vibrationszustände der Moleküle. Bei Elektronentransfer-Reaktionen geht ein Elektron von einem Donor auf einen Akzeptor über. Die Geschwindigkeit dieser Reaktion ist häufig dadurch begrenzt, dass sich die Moleküle reorganisieren, wenn die Elektronen von der Donor- auf die Akzeptorgruppe wechseln. Da die Bewegung der Moleküle sehr viel langsamer als die Elektronen ist, bremst dies den ganzen Prozess. Wenn aber die Wellenlänge des elektromagnetischen Feldes durch geschickte Wahl der Kavitätenlänge sich in Resonanz mit dem Donor-Zustand befindet, kann das Feld so stark an die Elektronen koppeln, dass der Elektronentransfer stattfindet, bevor das Molekül sich reorganisiert.
Im Idealfall ist diese Kopplung stark genug, dass sich im Fall der Photolumineszenz ein ungeordnetes, molekulares Aggregat mit starker vibronischer Kopplung wie ein geordnetes, vibrationsfreies Aggregat verhält. Das ermöglicht die Delokalisierung der Wellenfunktion, die sich dank der geänderten „Energie-Landkarte” in einem solchen Feld ergibt. „Die Wechselwirkung zwischen der Kavität und den Donor-Molekülen kann die Energie-Niveaus der Elektronen-Zustände verändern”, erläutert Bill Barnes von der Universität Exeter, der ebenfalls auf dem Gebiet forscht. Interessanterweise tritt der Effekt erst bei einer hinreichend großen Anzahl von Molekülen auf. „Es handelt sich hier um einen kollektiven Effekt, der nicht bei einem einzelnen Molekül vorkommt”, so Herrera. Da die optischen Moden sehr viel größer als die typischen Moleküle sind, lassen sich viele dieser Moleküle in einem passenden Hohlraum unterbringen. „Es ist möglich, hybride Licht-Materie-Zustände zu erzeugen, die theoretisch über rund 100.000 Moleküle delokalisiert sind”, sagt Ebbesen.
Die Idee, mit Hilfe von Vakuumfluktuationen chemische Reaktionen zu beeinflussen, ist noch so neu, dass das Gebiet mit Ausnahme einiger experimenteller und theoretischer Arbeiten noch kaum erforscht ist. Der erste internationale Workshop zu diesem Thema soll im Oktober dieses Jahres in San Sebastian stattfinden. Die beteiligten Forscher erwarten jedoch ein schnell wachsendes Forschungsfeld.
Denn schon jetzt lässt sich absehen, dass sich mit Hilfe des Vakuums insbesondere einige Eigenschaften von organischen Halbleitern verbessern lassen sollten, die sich bislang noch als Hemmschuh erweisen. So gibt es eine große Bandbreite an organischen Halbleitern, deren Funktionalität sich in gewissen Grenzen nach Wunsch einstellen lässt. Doch vor allem bei der Schaltgeschwindigkeit und der Fähigkeit, große Ströme zu transportieren, sind organische Halbleiter limitiert. Genau dieses Problem ließe sich jedoch mit geeigneter Vakuum-Beschleunigung beseitigen. Wenn es gelingt, weitere passende Nanostrukturen zu finden, könnten organische Leuchtdioden oder Solarzellen spürbar an Effizienz gewinnen. Bis dahin werden aber noch einige Jahre Grundlagenforschung notwendig sein: Die Forscher rechnen erst in einigen Jahren mit möglichen Anwendungen.
Dirk Eidemüller
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