16.06.2016

Wie Vakuum auf chemische Reaktionen wirkt

Hohlraum-quantenelektrodynamische Effekte können Elektronentransfer bei molekularen Prozessen massiv beschleunigen.

Das Vakuum ist nicht einfach leer. Wie aus der Quantenfeldtheorie bekannt, entstehen und vergehen ständig und überall virtuelle Teilchen. Diese Vakuum­fluktuationen führen nicht nur zur Vakuumpolarisation und schirmen etwa die Ladung von Teilchen ab. Sie können auch ganz reale Kräfte bewirken. Beim Casimir-Effekt etwa liegen sich zwei leitende Platten in geringem Abstand gegenüber. Dadurch ist die Anzahl möglicher Zustände des elektro­magne­tischen Feldes zwischen diesen Platten begrenzt, weil nur die virtuellen Wellen mit den passenden Wellenlängen zwischen den Platten oszillieren können. Außerhalb der Platten hingegen ist die Anzahl der Zustände unbeschränkt. Dieses Übermaß an virtuellen Zuständen außerhalb erzeugt einen geringen, aber messbaren Druck auf die Platten.

Abb.: Das quantisierte elektromagnetische Feld in einem Hohlraum kann den Elektronentransfer bei molekularen Reaktionen deutlich beschleunigen. (Bild:F. Herrera, Univ. Santiago)

Auf einem ganz ähnlichen Prinzip beruht eine neuartige Idee, sich die Vakuum­fluktua­tionen nutzbar zu machen – und zwar mit überraschend großem Effekt. Wie die Arbeitsgruppe von Thomas Ebbesen von der Universität Strasbourg in den letzten Jahren zeigen konnte, lässt sich der Elektronentransfer in bestimmten Materialien mittels geeigneter Hohlräume um eine ganze Größen­ordnung beschleunigen. Nun haben Felipe Herrera von der University of Santiago in Chile und Frank Spano von der Temple University in Philadelphia diese Arbeiten weiter theoretisch ausgebaut. Nach ihren Berechnungen sollten bestimmte Elektronen­­transfer-Reaktionen sogar um bis zu zwei Größen­ordnungen schneller ablaufen, wenn man die Geometrie der feld­begrenzenden Strukturen geschickt auf entsprechenden Moleküle einstellt.

Je nach Material kommen eine ganze Reihe verschiedener Strukturen in Betracht, um passende Hohlräume zu realisieren. So könnte man ebene optische Mikro­kavitäten oder plasmonische Nanokavitäten einsetzen, bei denen das einge­schlossene elektro­magnetische Feld das Nahfeld eines metallischen Nano­teilchens ist, das plasmonische Resonanzen unterstützt. „Andere Konfigurationen könnten dielektrische Wellenleiter oder photonische Kristalle sein”, so Herrera. „Alles, was das elektromagnetische Feld stark genug eingrenzt, sollte funktionieren.”

Der Effekt beruht auf der Entkopplung der elektronischen und der Vibrations­zustände der Moleküle. Bei Elektronen­transfer-Reaktionen geht ein Elektron von einem Donor auf einen Akzeptor über. Die Geschwindig­keit dieser Reaktion ist häufig dadurch begrenzt, dass sich die Moleküle reor­ganisieren, wenn die Elektronen von der Donor- auf die Akzeptorgruppe wechseln. Da die Bewegung der Moleküle sehr viel langsamer als die Elektronen ist, bremst dies den ganzen Prozess. Wenn aber die Wellen­länge des elektro­magnetischen Feldes durch geschickte Wahl der Kavitäten­länge sich in Resonanz mit dem Donor-Zustand befindet, kann das Feld so stark an die Elektronen koppeln, dass der Elektronen­transfer stattfindet, bevor das Molekül sich reorganisiert.

Im Idealfall ist diese Kopplung stark genug, dass sich im Fall der Photo­lumineszenz ein ungeordnetes, molekulares Aggregat mit starker vibronischer Kopplung wie ein geordnetes, vibrations­freies Aggregat verhält. Das ermöglicht die Delokalisierung der Wellenfunktion, die sich dank der geänderten „Energie-Landkarte” in einem solchen Feld ergibt. „Die Wechsel­wirkung zwischen der Kavität und den Donor-Molekülen kann die Energie-Niveaus der Elektronen-Zustände verändern”, erläutert Bill Barnes von der Universität Exeter, der ebenfalls auf dem Gebiet forscht. Interessanter­weise tritt der Effekt erst bei einer hinreichend großen Anzahl von Molekülen auf. „Es handelt sich hier um einen kollektiven Effekt, der nicht bei einem einzelnen Molekül vorkommt”, so Herrera. Da die optischen Moden sehr viel größer als die typischen Moleküle sind, lassen sich viele dieser Moleküle in einem passenden Hohlraum unterbringen. „Es ist möglich, hybride Licht-Materie-Zustände zu erzeugen, die theoretisch über rund 100.000 Moleküle delokalisiert sind”, sagt Ebbesen.

Die Idee, mit Hilfe von Vakuum­­fluktua­tionen chemische Reaktionen zu beeinflussen, ist noch so neu, dass das Gebiet mit Ausnahme einiger experi­men­teller und theore­tischer Arbeiten noch kaum erforscht ist. Der erste inter­­nationale Workshop zu diesem Thema soll im Oktober dieses Jahres in San Sebastian stattfinden. Die beteiligten Forscher erwarten jedoch ein schnell wachsendes Forschungs­­feld.

Denn schon jetzt lässt sich absehen, dass sich mit Hilfe des Vakuums insbesondere einige Eigen­schaften von organischen Halbleitern verbessern lassen sollten, die sich bislang noch als Hemmschuh erweisen. So gibt es eine große Bandbreite an organischen Halb­leitern, deren Funktiona­lität sich in gewissen Grenzen nach Wunsch einstellen lässt. Doch vor allem bei der Schalt­geschwindigkeit und der Fähigkeit, große Ströme zu transportieren, sind organische Halbleiter limitiert. Genau dieses Problem ließe sich jedoch mit geeigneter Vakuum-Beschleuni­gung beseitigen. Wenn es gelingt, weitere passende Nano­strukturen zu finden, könnten organische Leuchtdioden oder Solar­zellen spürbar an Effizienz gewinnen. Bis dahin werden aber noch einige Jahre Grund­lagen­forschung notwendig sein: Die Forscher rechnen erst in einigen Jahren mit möglichen Anwen­dungen.

Dirk Eidemüller

JOL

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