21.10.2004

Wirbel um die Raumzeit

Der Lense-Thirring Effekt der Allgemeinen Relativitätstheorie konnte möglicherweise erstmals bestätigt werden.





Lecce/Baltimore – Seit 1918 weiß man, dass eine rotierende Masse die Raumzeit verdrillen (bzw. verwirblen) kann. Dieser, nach den beiden österreichischen Physikern Joseph Lense und Hans Thirring benannte Lense-Thirring Effekt, ist  ein bisher unbestätigter Teil der Allgemeinen Relativitätstheorie. Ein amerikanischer und ein italienischer Forscher haben nun möglicherweise diesen nur schwer nachweisbaren Effekt erstmals experimentell bestätigt - pikanterweise noch vor dem eigentlich dafür vorgesehenen Gravity Probe B Experiment, welches seit April die Erde umkreist. Wie sie in der Fachzeitschrift Nature schreiben, nutzten sie dazu die genaue Position der beiden LAGEOS Satelliten, deren Position und Lage von der Masse der sich drehenden Erde beeinflusst wird.

Die Hülle der Lageos Satelliten besteht aus Reflekoren für Laserstrahlen

"Wir untersuchten rund eine Million Messpunkte, die sich aus über 100 Millionen Laserbeobachtungen der Satelliten von 50 Stationen in aller Welt ergaben", erklären Ignazio Ciufolini von der Universität Lecce und sein Kollege Erricos Pavlis von der University of Maryland in Baltimore. Die beiden Satelliten LAGEOS-1 und LAGEOS-2 (LAser GEOdetic Satellites) dienen dabei als ausgeklügelte Reflektoren der Laserstrahlen. Eigentlich wurden sie 1976 und 1992 in eine kreisförmige rund 5800 Kilometer hohe Umlaufbahn gebracht, um kleine Effekte auf der Erdoberfläche wie das Driften der Kontinente, nacheiszeitliche Hebungsvorgänge, jahreszeitliche Schwankungen der Erdrotation und damit der Tageslänge zu bestimmen. Doch mit den auf ein bis drei Zentimeter genauen Laser-Positionsbestimmungen wirken diese rund 400 Kilogramm schweren Erdtrabanten auch wie ein überdimensionales Gyroskop, über das die Verdrillung der Raumzeit quantitativ bestimmt werden kann.

Dabei bewegen sich gemäß der theoretischen Vorhersage die Verdrehungswinkel der Raumzeit durch die rotierende Erdmasse bei gerade einmal zwölf Millionstel Grad. Wirkt der "Lense-Thirring-Effekt" - auch "Frame-Dragging" genannt - tatsächlich, bleibt den Satelliten nichts anderes übrig, als den gekrümmten Flugbahnen der so verdrillten Raumzeit zu folgen. Trotz möglicher Fehlerquellen durch das uneinheitliche Schwerefeld der Erde reichten die zentimentergenauen Positionsbestimmungen der Lageos-Satelliten aus, um diesen relativistischen Effekt mit 99-prozentiger Übereinstimmung zur Theorie zu messen. Den maximalen Fehler schätzen Ciufolini und Pavlis mit rund zehn Prozent ab. "Dieses Ergebnis ist die erste ausreichend genaue Messung des frame-draggings", meint auch Neil Ashby, Physiker der University of Colorado in einem Kommentar im gleichen Nature-Heft.

Das seit dem 20. April dieses Jahres in eine Erdumlaufbahn gebrachte Gravity Probe B Experiment, bleibt möglicherweise nur die eher unspektakuläre Aufgabe, die Lageos-Daten zu belegen. Allerdings erwarten die Physiker von GP-B eine deutlich höhere Messgenauigkeit von rund einer Zehnmillionstel Bogensekunde. Das Messprinzip beruht darauf, dass Kreisel durch die gekrümmte, rotierende Raumzeit der Erde in ihrer Ausrichtung beeinflusst werden und die Lage ihrer Drehachse verändern: sie präzedieren. Deshalb hat GP-B vier Gyroskope und ein Referenzteleskop an Bord. Die Gyroskop-Kreisel bestehen aus heliumgekühlten, Tischtennisball großen rotierenden Kugeln aus geschmolzenem Quarz. Das Referenzteleskops ist exakt auf den Stern IM Pegasi (HR8703) ausgerichtet. An den Polen zeigen die Drehachsen der Gyroskope auf den Referenzstern. Damit stellt der Satellit ein ideales Referenzsystem dar, um die Allgemeine Relativitätstheorie - als undankbarer Zweiter - zu testen.


Jan Oliver Löfken

Weitere Infos:



Weiterführende Literatur:

  • Lense, J. & Thirring, H. über den Einfluss der Eigenrotation der Zentralkörper auf die Bewegung der Planeten und Monde nach der Einsteinschen Gravitationstheorie. Phys. Z. 19, 156–163 (1918).


  • LAGEOS scientific results. J. Geophys. Res. B 90, 9215–9438 (1985).


  • Ciufolini, I.Measurement of the Lense-Thirring drag on high-altitude laser-ranged artificial satellites. Phys. Rev. Lett. 56, 278–281 (1986).


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