09.05.2019 • Magnetismus

Wo bleibt der Drehimpuls?

Laserinduzierte Spindynamik in Ferrimagneten untersucht.

Durch intensive Laserpulse kann die Magnetisierung eines Materials sehr schnell manipuliert werden. Magnetisierung wiederum ist fundamental mit dem Drehimpuls der Elektronen im Material verbunden. Ein Forscherteam unter der Leitung von Wissenschaftlern des Max-Born-Instituts für nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie konnte jetzt den Drehimpulstransfer bei der ultraschnellen optischen Entmagnetisierung in einer ferrimagnetischen Eisen-Gadolinium-Legierung im Detail verfolgen, um die grundlegenden Prozesse und deren Geschwindigkeitsgrenzen zu verstehen.

Abb.: So wandert der Drehimpuls während der von einem Femtosekunden-Laserpuls...
Abb.: So wandert der Drehimpuls während der von einem Femtosekunden-Laserpuls getriebenen, ultraschnellen Demagnetisierung der ferrimagnetischen GdFe-Legierung von den magnetischen Momenten der Gadolinium- (blau) und Eisen-Atome (pink) über den Bahndrehimpuls des Elektrons (rot) zum Gitter. (Bild: R. Abrudan, HZB)

Wenn die Magnetisierung eines ferromagnetischen Körpers verändert wird, will er sich drehen –  dieser Zusammenhang zwischen der Magnetisierung und dem Drehimpuls wurde bereits 1915 in einem Experiment von Einstein und de Haas beobachtet. Der Grund für dieses Phänomen ist die Tatsache, dass die Magnetisierung auf mikroskopischer Ebene untrennbar mit dem Drehimpuls der Elektronen verbunden ist. Im Gegensatz zu Einstein und de Haas wissen die Physiker heute, dass sowohl die Bahnbewegung des Elektrons um den Atomkern als auch sein Spin die Magnetisierung erzeugen. Tatsächlich erzeugt der Spin in einem ferromagnetischen Festkörper den Löwenanteil der Magnetisierung. Wenn der Drehimpuls erhalten bleibt, muss also eine Änderung der Magnetisierung mit einer Änderung anderer Formen des Drehimpulses im System einhergehen – im Einstein-de-Haas-Experiment war dies die resultierende Drehung eines aufgehängten Magneten nach Änderung seiner Magnetisierung. Auf mikroskopischer Ebene ist es die entsprechende Bewegung der Atome, die das letzte Reservoir des Drehimpulses bildet.

Die Belichtung mit einem ultrakurzen Laserpuls erlaubt es, ein Material sehr schnell zu entmagnetisieren – für die prototypischen Ferromagnete Eisen, Kobalt und Nickel zum Beispiel wird die Magnetisierung innerhalb von etwa einer Pikosekunde nach dem Auftreffen des Laserpulses auf das Material ausgelöscht. Daraus ergibt sich die Frage, über welche Kanäle der mit der Magnetisierung verbundene Drehimpuls während der kurzen verfügbaren Zeit auf andere Reservoire übertragen wird. Forscher des MBI in Berlin sowie Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums Berlin und der Nihon University in Japan konnten diesen Drehimpulstransfer für eine Eisen-Gadolinium-Legierung nun im Detail verfolgen. In diesem ferrimagnetischen Material weisen benachbarte Eisen- und Gadolinium-Atome eine Magnetisierung mit entgegengesetzter Richtung auf. Mit ultrakurzen Röntgenpulsen haben die Forscher die Absorption zirkular polarisierter Röntgenstrahlen durch die Fe- und Gd-Atome als Funktion der Zeit nach der vorherigen Laseranregung beobachtet. Dieser Ansatz ist insofern einzigartig, als er es ermöglicht, das magnetische Moment während der ultraschnellen Entmagnetisierung an beiden Atomarten einzeln zu verfolgen. Darüber hinaus ist es sogar möglich, bei der Analyse der jeweiligen Absorptionsspektren zwischen dem in der Bahnbewegung und im Spin der Elektronen gespeicherten Drehimpuls zu unterscheiden.

Mit diesem detaillierten „Röntgenblick“ fanden die Wissenschaftler heraus, dass der Entmagnetisierungsprozess an den Gd-Atomen in der Legierung deutlich schneller ist als in reinem Gadolinium. Das ist jedoch nicht auf einen Drehimpulsaustausch zwischen den verschiedenen Arten von Atomen zurückzuführen, wie man aufgrund ihrer antiparallelen Ausrichtung vermuten könnte. „Wir verstehen die beschleunigte Reaktion von Gadolinium als Folge der sehr hohen Temperaturen, die innerhalb des Systems der Elektronen in der Legierung erzeugt werden“, sagt Martin Hennecke vom MBI. Interessanterweise konnte mit einer zeitlichen Auflösung von etwa hundert Femtosekunden während der laserinduzierten Entmagnetisierung auch keine Umverteilung des Drehimpulses zwischen Spin- und Bahnbewegung der Elektronen festgestellt werden - das gilt lokal für alle Fe- und Gd-Atome.

Wohin also geht der Drehimpuls? „Offensichtlich wird der gesamte Drehimpuls vollständig auf das Atomgitter übertragen“, sagt Hennecke. „Gemäß neuer theoretischer Vorhersagen wird der Spindrehimpuls zunächst über die Spin-Bahn-Wechselwirkung auf die Bahnbewegung am selben Atom übertragen. Nur können wir nicht sehen, wie der Drehimpuls dort zunimmt, da er direkt weiter an das Atomgitter geht.“ Der letztgenannte Prozess wurde in der Theorie kürzlich auf bis zu eine Femtosekunde schnell geschätzt. Die detaillierten Experimente bestätigen nun, dass dieser letzte Transferschritt tatsächlich kein Engpass für den gesamten Drehimpulstransfer ist.

Da kurze Laserpulse auch zum permanenten Umschalten der Magnetisierung und damit zum Schreiben von Bits für die magnetische Datenspeicherung verwendet werden können, ist der Einblick in die Dynamik dieser grundlegenden Mechanismen von großer Bedeutung, um neue Ansätze zu entwickeln, die es ermöglichen, Daten viel schneller als heute auf Massenspeichermedien schreiben zu können.

FV Berlin / RK

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