Wo bricht der Vulkan aus?
Neue Methode zur Durchbruchsprognose vereint physikalische und statistische Modelle.
Bei den meisten Vulkanausbrüchen, die man im Fernsehen oder im Internet sehen kann, schießt das Magma direkt aus der Spitze des Vulkans. Dabei ist es nicht ungewöhnlich, dass das Magma eher aus der Flanke des Vulkans als aus seinem Gipfel ausbricht. Nachdem es die unterirdische Magmakammer verlassen hat, drängt das Magma seitwärts, indem es Gestein zerklüftet. Manchmal legt es so Dutzende Kilometer zurück. Wenn es dann die Erdoberfläche durchbricht, erzeugt das Magma einen oder mehrere Schlote, aus denen es – manchmal explosionsartig – austritt. Man konnte diesen Vorgang beispielsweise beim Ausbruch des Vulkans Bárðarbunga in Island im August 2014 und beim Kīlauea auf Hawaii im August 2018 beobachten.
Abzuschätzen, wohin Magma fließt und wo es dann die Oberfläche durchbricht, ist in der Vulkanologie eine zentrale Fragestellung. Denn die Antwort darauf könnte dazu beitragen, das Risiko für gefährdete Dörfer und Städte zu verringern. Nun haben Eleonora Rivalta und ihr Team vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ in Potsdam zusammen mit Kollegen der Universität Roma Tre und des Vesuv-Observatoriums des italienischen Istituto Nazionale di Geofisica e Vulcanologia in Neapel eine neue Methode zur Erstellung solcher Durchbruchsprognosen entwickelt.
„Bisherige Ansätze basierten auf Statistiken über die Orte vorhergegangener Eruptionen“, sagt Eleonora Rivalta. „Unsere Methode verbindet Statistik mit Physik: Wir berechnen die Wege des geringsten Widerstands für aufsteigendes Magma und stimmen dann das Modell auf der Grundlage von Statistiken ab.“ Die Forscher haben den neuen Ansatz erfolgreich mit Daten aus der Caldera Campi Flegrei in Italien getestet, einem der Vulkane mit dem höchsten Ausbruchsrisiko weltweit.
Schlote an der Flanke eines Vulkans werden oft nur von einem einzigen Ausbruch genutzt. Alle Vulkane können solche einmaligen Schlote erzeugen, aber einige tun das mehr als andere. Ihre Flanken werden von Dutzenden von Öffnungen durchlöchert, deren Ausrichtung die Stellen markiert, an denen unterirdische Magmagänge die Erdoberfläche erreichten.
Bei Calderen, oft riesigen kesselartigen Strukturen, die sich kurz nach der Entleerung einer Magmakammer bei einem Vulkanausbruch bilden, können sich auch Schlote innerhalb und am Rand öffnen. Das liegt daran, dass es diesen Vulkanen an einem Gipfel als Zentrum eines neuerlichen Ausbruchs fehlt. „Calderen sehen oft aus wie ein mit Maulwurfshügeln bedeckter Rasen“, sagt Eleonora Rivalta von GFZ.
Die meisten Caldera-Schlote wurden nur bei einem einzigen Ausbruch benutzt. Die daraus resultierenden verstreuten, manchmal scheinbar zufälligen Schlotverteilungen bedrohen großräumige Gebiete und stellen eine Herausforderung für Vulkanologen dar, die Prognosekarten für den Ort zukünftiger Eruptionen erstellen. Solche Karten benötigt man auch zur genauen Vorhersagen von Lava- und pyroklastischen Strömen oder der Ausdehnung von Aschefahnen.
Die Schlot-Karten basieren bisher hauptsächlich auf der räumlichen Verteilung älterer Schlote: „In der Vulkanforschung geht man oft davon aus, dass sich der Vulkan künftig weiter so verhalten wird wie in der Vergangenheit“, sagt Eleonora Rivalta. „Das Problem ist, dass oft nur wenige Dutzend Schlote auf der Vulkanoberfläche sichtbar sind, da große Ausbrüche dazu führen können, dass vergangene Eruptionsmuster überdeckt oder verwischt werden. So mathematisch anspruchsvoll ein Verfahren auch sein mag, eine dünne Datenlage führt dann zu groben Karten mit großen Unsicherheiten. Außerdem kann sich die Dynamik eines Vulkans mit der Zeit ändern, so dass die Schlote anders wandern als erwartet.“
Deshalb hat die Physikerin Rivalta zusammen mit einem Team von Geologen und Statistikern die Physik der Vulkane genutzt, um die Prognosen zu verbessern. „Wir verwenden das aktuellste physikalische Wissen darüber, wie Magma sich unterirdisch ausbreitet, und kombinieren das mit einem statistischen Verfahren und dem Wissen über die Struktur und Geschichte des Vulkans. Wir stimmen die Parameter des physikalischen Modells so lange ab, bis sie mit früheren eruptiven Mustern übereinstimmen. Dann haben wir ein Arbeitsmodell und können damit zukünftige Ausbruchsstellen prognostizieren“, erklärt Rivalta.
Der neue Ansatz wird in Süditalien auf die Campi Flegrei bei Neapel mit einer Einwohnerzahl von fast einer Million Menschen angewandt. In den Campi Flegrei, einer Caldera mit mehr als zehn Kilometern Durchmesser, haben etwa achtzig Schlote in den letzten 15.000 Jahren explosive Ausbrüche ausgelöst. Der neue Ansatz schneidet in retrospektiven Tests gut ab, das heißt, er sagt nachträglich die Position von Schloten richtig voraus, die nicht zur Abstimmung des Modells verwendet wurden, berichten die Forscher.
„Der schwierigste Teil war, unseren Ansatz so zu gestalten, dass er für alle Vulkane funktioniert und nicht nur für einen – ihn zu verallgemeinern“, erklärt Rivalta. „Wir werden jetzt weitere Tests durchführen. Wenn unsere Methode auch bei anderen Vulkanen gut funktioniert, kann sie helfen, die Landnutzung in vulkanischen Gebieten besser zu planen und den Ort zukünftiger Eruptionen mit einer höheren Sicherheit als bisher vorherzusagen.“
GFZ / DE