Das Europäische Patentamt (EPA) würdigt den Göttinger Physiker Jens Frahm vom Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie mit dem Europäischen Erfinderpreis für seine bahnbrechenden Weiterentwicklungen in der Magnetresonanztomografie (MRT). In zwei Schritten ist es ihm und seinem Team gelungen, die MRT um das bis zu 10.000-fache zu beschleunigen und diese Technologie in der klinischen Praxis zu etablieren.
Abb.: Jens Frahm (Bild: F. Vinken / MPG)
Frahm setzte sich in der Kategorie Forschung erfolgreich gegen die mit ihm nominierten britischen Forscher Eileen Ingham und John Fisher sowie das polnische Team um Jacek Jemielity, Joanna Kowalska und Edward Darynkiewicz durch. In seiner Rede anlässlich der feierlichen Verleihung des Europäischen Erfinderpreises am 7. Juni 2018 in Paris, Saint-Germain-en-Laye (Frankreich) bedankte sich der frisch gekürte Preisträger und lobte sein gesamtes Team: „Der Europäische Erfinderpreis ist eine große Ehre und eine wundervolle Anerkennung der innovativen Arbeit unseres ganzen Forschungsteams. Ich bin herzlich den vielen fantastischen Mitarbeitern dankbar, die über die Jahre daran gemeinsam gewirkt haben.“
Bei den ersten MRT-Geräten in den 1970er Jahren mussten Patienten für ein aussagekräftiges Bild minutenlang völlig still liegen – ein großer Nachteil gegenüber den deutlich schneller erstellten Ultraschall- und Röntgenaufnahmen. Frahm revolutionierte die MRT, indem er diese radikal schneller machte. Die von ihm und seinem Team entwickelte Flash-Technologie reduzierte die Bildaufnahmeraten von Minuten auf Sekunden und machte die MRT in der Folge zu einem der bedeutendsten bildgebenden Verfahren in der klinischen Diagnostik.
Anders als Röntgenstrahlen ist diese Technik für den Patienten zudem völlig unschädlich. Weltweit finden rund 100 Millionen Untersuchungen im Jahr statt; jede einzelne nutzt Frahms Technologie. Mit dem Flash2-Verfahren gelang Jens Frahm und seinem Team 2010 schließlich ein zweiter großer Durchbruch hin zur Echtzeit-MRT, mit der sich erstmals Vorgänge aus dem Inneren unseres Körpers live filmen lassen – ein weiterer entscheidender Fortschritt für eine medizinische Diagnose.
Im Magnetresonanz-Tomografen richten sich diese Wasserstoffkerne parallel zu den Magnetfeldlinien aus, die vom Gerät erzeugt werden. Durch einen kurzen Radiofrequenzimpuls werden die Kerne dann aus ihrem Gleichgewicht ausgelenkt. Beim Zurückschwingen in ihre ursprüngliche Ausrichtung senden sie ihrerseits Radiowellen aus, die von hochempfindlichen Spulen aufgezeichnet werden. Vielfach wiederholt, lässt sich aus diesen ortsabhängigen Signalen am Computer ein Bild berechnen, das exzellente Darstellungen von Organen und Gefäßen ermöglicht.
Die erste MRT-Aufnahme eines Menschen im Jahr 1977 dauerte genau vier Stunden und 45 Minuten – für den klinischen Alltag ein untaugliches „Schneckentempo“. „Die damals sehr langen Messzeiten in der MRT entstanden durch die vielen Einzelmessungen mit unterschiedlicher Ortskodierung und der dazwischen nötigen Wartezeit“, erklärt Frahm. „Unsere Idee in den 1980er Jahren war es, für jede Einzelmessung nur einen Teil des verfügbaren MRT-Signals zu nutzen. Mit diesem physikalischen Trick konnten wir die Pausen vollständig eliminieren und die Messzeiten mit Flash radikal um mindestens den Faktor 100 verkürzen.“ In wenigen Minuten war so ein hochaufgelöstes, dreidimensionales MRT-Bild erstellt – und dies ohne Verlust von Bildqualität. Führende Hersteller von MRT-Geräten übernahmen Flash bereits innerhalb weniger Monate. Als bis heute profitabelstes Patent der Max-Planck-Gesellschaft hat es rund 155 Millionen Euro an Lizenzeinnahmen eingebracht.
Im Jahr 2010 lösten Frahm und sein Team mit Flash2 schließlich auch das Problem der hohen Zahl an erforderlichen Einzelmessungen. Einfach ausgedrückt ist Flash2 die Flash-Technologie samt Filmfunktion: Es verwendet ein neues mathematisches Verfahren für die Bildrekonstruktion und kommt dadurch mit nur wenigen Einzelmessungen pro Bild aus. Die Technik beschleunigte die MRT-Aufnahmen ein weiteres Mal erheblich, auf bis zu 100 Bilder pro Sekunde. Dies erlaubt es, beliebige Vorgänge im Inneren des Körpers wie Gelenke in Bewegung, das schlagende Herz oder komplexe Abläufe wie das Sprechen oder Schlucken direkt zu beobachten.
Davon könnten Patienten mit Gelenk- oder Herzproblemen ebenso profitieren wie Menschen mit Sprachstörungen, Schluckbeschwerden oder Sodbrennen. Herzpatienten müssen beispielsweise bei der Echtzeit-MRT – anders als bei einer konventionellen MRT-Untersuchung – dank der schnellen Bildrate weder den Atem anhalten, noch muss die Aufnahme über das EKG-Signal gesteuert werden. „Ärzte können so in viel kürzerer Zeit das schlagende Herz in einer neuen Weise umfassend kardiologisch begutachten und Herzrhythmusstörungen genauer analysieren“, so Frahm.
Die Echtzeit-MRT wird derzeit an der Universitätsmedizin Göttingen und mehreren anderen Universitäten in Deutschland, Großbritannien und den USA für den routinemäßigen Einsatz am Patienten getestet. „Der Erfinderpreis wird unsere Motivation weiter stärken, wissenschaftliche Forschung zu betreiben, die unmittelbar den Menschen zugutekommt. Die hiermit verbundene große mediale Aufmerksamkeit wird sicher dazu beitragen, die breitere klinische Nutzung unserer Echtzeit-MRT-Technik zu beschleunigen“, ergänzt der Physiker.
Aber nicht nur in der Medizin, auch in ganz anderen Bereichen wie beispielsweise der Musik liefert die Echtzeit-MRT neue Einblicke. So untersucht Frahm, der selbst Klarinette spielt, in einer gemeinsamen Studie mit der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, wie Klang in Blechblasinstrumenten wie dem Horn erzeugt wird. An dieser Studie beteiligt waren auch Berliner Philharmoniker. Ihre eigenen Spielbewegungen live zu sehen, brachte den Blechbläsern überraschende Einsichten: Anders als bisher gedacht, haben Zungenbewegungen einen ganz erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der Töne. Diese Erkenntnis könnte für die künftige Musikerausbildung bedeutend sein und helfen, Berufskrankheiten von Blechblasmusikern wie die fokale Dystonie zu therapieren. (cr)
Der gebürtige Oldenburger Jens Frahm studierte an der Universität Göttingen Physik und forschte für seine Doktorarbeit in physikalischer Chemie am MPI für biophysikalische Chemie. Schon damals war sein Forschungsthema, Prozesse im menschlichen Körper sichtbar zu machen: Als junger Doktorand untersuchte er die medizinische Anwendung der damals neuartigen Magnetresonanztomografie. Im Anschluss arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent am selben Institut und leitete dort von 1982 bis 1992 die selbstständige Forschungsgruppe biomedizinische NMR. Seit 1993 ist Frahm Leiter der am MPI für biophysikalische Chemie angesiedelten gemeinnützigen biomedizinischen NMR Forschungs-GmbH, die über Einnahmen des Flash-Patents finanziert wird. Er habilitierte 1994 an der Universität Göttingen und wurde im Jahr 1997 zum außerplanmäßigen Professor an die hiesige Fakultät für Chemie berufen. Jens Frahm ist als Erfinder von vier europäischen Patenten genannt.
Für seine Forschungsarbeiten wurde Jens Frahm mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem European MRI Award der Deutschen Röntgengesellschaft (1989), dem Gold Medal Award der International Society for Magnetic Resonance in Medicine (1991), dem Karl Heinz Beckurts-Preis (1993), dem Forschungspreis der Sobek-Stiftung (2005), dem Stifterverbandspreis (2013) und der Jacob Henle-Medaille (2016). 2016 wurde Jens Frahm in die Hall of Fame der deutschen Forschung gewählt.
MPIBPC / DE