Zaubern mit doppelt-magischem Zinn
Ersten Experimenten zufolge hat Zinn-100 von allen Atomkernen den „schnellsten“ Beta-Zerfall.
Wenige Minuten nach dem Urknall gab es im Universum nur die Elemente Wasserstoff und Helium. Alle anderen chemischen Elemente entstanden erst sehr viel später. Physikern der Technischen Universität München (TUM), des Exzellenzclusters Universe und des Helmholtz-Instituts für Schwerionenforschung (GSI) ist es nun gelungen, Zinn-100 herzustellen, ein zwar sehr instabiles, aber für das Verständnis der Bildung schwererer Elemente sehr wichtiges Element.
Abb.: Blick auf das Experiment am GSI entgegen der Strahlrichtung. Im Zentrum des „Igels“ aus 105 mit flüssigem Stickstoff gekühlten Gamma-Detektoren werden die Fragmente gestoppt und mit 25 großen Teilchendetektoren wird der Zeitpunkt und die frei werdende Energie beim Beta-Zerfall vermessen. (Bild: T. Faestermann / TUM)
Das übliche Zinn besitzt 112 Kernteilchen, 50 Protonen und 62 Neutronen. Die Neutronen wirken dabei gewissermaßen wie ein Puffer zwischen den sich elektrisch abstoßenden Protonen und verhindert den Zerfall des Atomkerns. Nach dem Schalenmodell der Kernphysik ist die 50 eine „magische Zahl“, bei der besondere Eigenschaften auftreten. Zinn-100 ist mit 50:50 „doppelt magisch“ und daher für die Kernphysik besonders interessant.
Indem sie Xenon-124 Ionen mit beinahe Lichtgeschwindigkeit auf ein Beryllium-Blech schossen, gelang es einem Physikerteam der TU München, des Exzellenzclusters Universe und der GSI in Darmstadt, Zinn-100 herzustellen und dessen Zerfall zu analysieren. Mit den eigens entwickelten Teilchendetektoren konnten sie, Halbwertszeit und Zerfallsenergie des Zinn-100 und seiner Folgeprodukte vermessen und unter anderem eine Voraussage theoretischer Physiker bestätigen, dass Zinn-100 von allen Atomkernen den „schnellsten“ Beta-Zerfall hat. Dabei spaltet der Kern ein Neutron, ein Positron und ein Neutrino ab und wird zu einem Isotop des Elements Indium.
Der doppelt magische Kern Zinn-100 hat 50 Protonen und 50 Neutronen und daher Z=50 und A=100. In dem Diagramm, in dem Z über A/Z aufgetragen wurde, befindet es sich daher an der Position Z=50 und A/Z=2. Die Farbkodierung zeigt die Intensität an und spricht hier für den eindeutigen Nachweis. (Bild: TUM)
Demnächst soll das Experiment am Forschungszentrum RIKEN in Japan wiederholt werden. Dort gibt es inzwischen eine höhere Strahlintensität, die noch präzisere Messungen ermöglicht. Ziel der Forschungsarbeiten ist ein besseres Verständnis der Vorgänge bei der Entstehung der schweren Elemente in Explosionen an der Oberfläche kompakter Sterne. Außerdem hofft man, aus den Messungen Rückschlüsse auf die Neutrinomasse ableiten zu können.
TUM / OD