15.11.2007

Zeitdilatation ultragenau gemessen

Für schnell bewegte Lithiumatome gehen die Uhren langsamer. Diese Zeitdilatation wurde jetzt in Heidelberg mit bisher unerreichter Präzision gemessen und damit Einsteins Vorhersagen bestätigt.



Für schnell bewegte Lithiumatome gehen die Uhren langsamer. Diese Zeitdilatation wurde jetzt in Heidelberg mit bisher unerreichter Präzision gemessen und damit Einsteins Vorhersagen bestätigt.

Einsteins Spezielle Relativitätstheorie hat unsere Vorstellung von Raum und Zeit verändert. So erscheinen Maßstäbe verkürzt und Uhren langsamer zu gehen, wenn sie sich relativ zu uns bewegen. Schon 1907 hatte Einstein vorgeschlagen, die Zeitdilatation anhand der Änderung der Strahlungsfrequenzen schnell fliegender Ionen nachzuweisen. Jetzt haben Forscher in Heidelberg die Zeitdilatation an Lithiumionen mit bisher unerreichter Präzision gemessen und Einsteins Vorhersagen bestätigt.

Für ihr Experiment haben Sascha Reinhardt und Guido Saathoff vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg und ihre Kollegen eine einfache relativistische Formel ausgenutzt. Fliegt ein Atom, das in Ruhe mit der Frequenz f 0 strahlt, auf uns zu oder von uns weg, so erreicht uns seine Strahlung mit erhöhter bzw. verringerter Frequenz. Um ein bewegtes Atom anzuregen, muss es, je nach Flugrichtung, mit Licht der Frequenz f p bzw. f a bestrahlt werden (Strahlungsrichtung parallel bzw. antiparallel zur Flugrichtung). Wegen des Doppler-Effekts ist f p > f 0 > f a. Aufgrund der Zeitdilatation muss, anders als beim klassischen Doppler-Effekt, f 0 das geometrische Mittel von f p und f a sein: f 0 2 = f p f a. Zu Abweichungen von dieser Formel käme es, wenn die Zeitdilatation nicht die von Einstein vorhergesagte Form hätte, weil z. B. die Lorentz-Transformationen zwischen Atom und Beobachter nicht exakt gelten.

Um das zu überprüfen, haben die Heidelberger Forscher Lithium-7-Ionen mit einem Van-de-Graaffschen Generator beschleunigt und dann in einem Speicherring von 55 Meter Umfang kreisen lassen. Die Ionen wurden auf eine Geschwindigkeit entweder von 3% oder von 6,4 % der Lichtgeschwindigkeit gebracht. Bei viel größeren Geschwindigkeiten, die durchaus möglich gewesen wären, ist die Zeitdilatation zwar viel größer, sie lässt sich dann aber nicht mehr so genau messen. Und äußerste Präzision war das Ziel des Experiments, da man die Zeitdilatation genauer messen wollte, als es bisher mithilfe von GPS-Signalen gelungen ist.

Die im Ring kreisenden Lithiumionen befanden sich in einem metastabilen Zustand, von dem aus sie mit grünem Licht einer bestimmten Frequenz zu einem Hyperfeinübergang angeregt werden konnten. Für ruhende Lithiumionen war die entsprechende Frequenz f 0 schon vor 13 Jahren mit hoher Genauigkeit gemessen worden. Doch f 0 brauchten die Forscher bei ihrem Experiment überhaupt nicht zu kennen. Es reichte, die beiden Frequenzen f p und f a für diesen Hyperfeinübergang sowohl für die „langsamen“ als auch für die „schnellen“ Ionen zu messen und die beiden geometrischen Mittel miteinander zu vergleichen.

Die Ionen wurden dazu von zwei verschiedenen Laserstrahlen getroffen und angeregt. Der eine Laserstrahl war parallel zur Flugrichtung der Ionen orientiert. Seine Frequenz wurde auf f p fixiert und mithilfe einer gut bekannten Jodline stabilisiert. Der andere Laserstrahl, der von einem Farbstofflaser erzeugt wurde, war antiparallel zur Flugrichtung orientiert. Seine Frequenz, die um f a herum variiert werden konnte, wurde mit einer anderen Jodlinie stabilisiert. Die Frequenzen der Jodlinien wurden über einen Frequenzkamm mit Hilfe einer Cäsiumatomuhr kalibriert. Hier trugen Theodor Hänsch und seine Kollegen vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching wesentlich zum Gelingen des Heidelberger Experiments bei.

Die Frequenzen f a und f p wurden mittels Sättigungsspektroskopie gemessen. Während die Forscher die Frequenz des Farbstofflasers variierten, beobachteten sie, wie sich die Intensität des Fluoreszenzlichtes änderte, das die angeregten Ionen abstrahlten. Normalerweise regten der Laser mit der auf f p fixierten Frequenz und der Farbstofflaser zwei verschiedene Populationen von Ionen an, deren Fluggeschwindigkeiten sich geringfügig unterschieden. Traf der Farbstofflaser jedoch genau die Frequenz f a, so regten beide Laser dieselbe Population an. Die Photonen der beiden Laser mussten plötzlich um dieselben Ionen konkurrieren. Das führte dazu, dass die Intensität des Fluoreszenzlichtes bei der Frequenz f a deutlich abnahm. Auf diese Weise konnten die Forscher beide Frequenzen mit hoher Genauigkeit messen, sowohl für die langsamen Ionen als auch, in einem zweiten Experiment, für die schnellen.

Für das geometrische Mittel von f a und f p erhalten die Forscher im Fall der langsamen Ionen (546.466.918.577 ± 108) kHz und im Fall der schnellen Ionen (546.466.918.493 ± 98) kHz. Diese Werte stimmen hervorragend miteinander überein. Außerdem stimmen sie auch mit dem früher gemessenen Wert für f 0 überein, ja sie sind sogar fünfmal genauer! Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass sie die Zeitdilatation so genau gemessen haben wie nie zuvor. Damit werden solchen Theorien enge experimentelle Schranken gezogen, die die Gültigkeit der Lorentz- oder der CPT-Invarianz anzweifeln oder die die Existenz eines ausgezeichneten kosmischen Inertialsystems annehmen, das z. B. an die kosmische Hintergrundstrahlung gebundenen ist.

Rainer Scharf

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