09.03.2017

Zeitlich kristalline Ordnung beobachtet

Gekoppelte Spins im oszillierenden Magnetfeld zeigen eigensinniges Verhalten.

Ein physikalisches System macht einen Phasen­übergang, wenn eine seiner Symmetrien spontan gebrochen wird. Dabei geht es in einen Zustand über, der eine geringere Symmetrie hat. So ist in einem Kristall die räumliche Translations­symmetrie der Flüssigkeit gebrochen und in einem Ferromagneten die Rotations­symmetrie der unmagnetischen Phase oberhalb der Curie-Temperatur. Jetzt haben zwei Forscher­gruppen beobachtet, wie die zeitliche Translations­symmetrie eines Quanten­systems spontan gebrochen wurde.

Abb.: Ein „Zeitkristall“ aus zehn Ionen, die geflippt werden (oben), miteinander wechselwirken wie Ising-Spins (Mitte) und einer effektiven magnetischer Unordnung ausgesetzt sind (unten). Das Verhalten der Spins wird über 100 solcher „Floquet-Perioden“ verfolgt. (Bild: J. Zhang et al.)

Bei der spontanen zeitlichen Symmetrie­brechung sollte, analog zum räumlichen Fall, so etwas wie ein zeitlicher Kristall auftreten. Das wäre ein physikalisches System, das sich spontan zeitlich periodisch ändert, also von selbst mit einer bestimmten Frequenz zu pulsieren beginnt. Diese auf Frank Wilczek zurückgehende Idee lässt sich allerdings in ihrer ursprünglichen Form nicht realisieren, da Quanten­systeme im Grund­zustand oder im thermischen Gleich­gewicht zeit­unabhängige Observable haben und deshalb keinen „Zeitkristall“ bilden können.

Wird ein Quantensystem hingegen zeitlich periodisch getrieben, so besitzt es eine diskrete zeitliche Translations­symmetrie (Invarianz gegen Verschiebung um die Antriebs­periode), die spontan gebrochen werden kann. Dabei pulsiert das System z. B. mit der halben Antriebs­frequenz. Im analogen räumlichen Fall würden in einem Kristall bestimmte Atome, denen jeweils zwei verschiedene Typen von Gitter­plätzen zur Auswahl stünden, sich über­einstimmend für denselben Typ entscheiden.

Der Zeitkristall sollte widerstandsfähig sein und sich nicht bei der kleinsten Störung auflösen. Die Brechung der diskreten zeitlichen Symmetrie sollte also robust sein gegen geringfügige Parameter­änderungen wie die der Stärke und der Frequenz der treibenden Kraft. Darüber hinaus muss sichergestellt sein, dass die Antriebs­kraft keine Energie in das System pumpt und es dadurch immer weiter aufheizt. Das kann man z. B. erreichen, indem man Unordnung in das System bringt, die zu einem Lokalisierung­seffekt führt, durch den die Aufnahme und Verteilung von Energie verhindert wird.

Abb.: Phasendiagramm eines „Zeitkristalls“ aus einer Million Spins von Stickstoff-Fehlstellen-Zentren in einem Diamanten. Je mehr die Spinflips von 180 Grad abweichen, desto stärker muss die Kopplung zwischen den Spins sein, damit man die zeitlich kristalline Phase (rote Rauten) beobachten kann. (Bild: S. Choi et al., Nature)

Jetzt haben die Teams von Chris Monroe an der University of Maryland und von Mikhail Lukin in Harvard einen solchen Zeit­kristall realisiert. Monroe und seine Mitarbeiter haben eine Idee von Norman Y. Yao und Kollegen aufgegriffen. Dazu haben sie eine Kette von maximal 14 Ytterbium-171-Ionen in einer Ionenfalle festgehalten und mit abgestimmtem Laserlicht bestrahlt. Dadurch wurden die Spins der Ionen so gekoppelt wie die Spins in einem Ising-Magneten. Außerdem wurden sie einem räumlich inhomogenen, effektiven Magnetfeld ausgesetzt, das für die nötige Unordnung in der Ionenkette sorgte, während zeitlich periodische Laser­pulse die Ionen­spins um rund 180 Grad „flippen“ ließen.

Die starke Kopplung zwischen den Spins sorgte dafür, dass die Ionenkette sich „eigensinnig“ verhielt: Die Spins kehrten nicht nach zwei Laserpulsen in ihre Ausgangs­richtung zurück sondern erst nach vier Pulsen. Die zeitliche Translations­symmetrie war gebrochen. Außerdem war diese Symmetrie­brechung robust, da sie auch dann noch auftrat, wenn die Spinflips deutlich von 180 Grad abwichen. Die Forscher stellten ein experimentell gewonnenes Phasen­diagramm auf, das den Übergang zwischen dem Zeit­kristall und dem Zustand mit ungebrochener Symmetrie zeigte und hervor­ragend mit Berechnungen übereinstimmte.

Mikhail Lukin und seine Kollegen haben untersucht, wie sich die Spins von etwa einer Million Stickstoff-Fehlstellen-Zentren in einem Diamanten verhielten, wenn sie durch gepulste Mikrowellen­felder stark mit einander gekoppelt und zusätzlich periodisch „geflippt“ wurden. Auch dieses Spinsystem entwickelte ein Eigen­leben: Wenn die Kopplung hinreichend stark war, kehrten die Spins erst nach vier oder sechs Spinflips in den Anfangs­zustand zurück. Statt mit der Antriebsperiode T oszillierte das System mit der Periode 2T oder 3T.

Auch hier erwies sich die Symmetriebrechung als robust gegen Abweichungen des Spinflips vom Winkel 180 Grad. Interessanterweise heizte sich das Spin­system nicht durch die Spin­flips auf, obwohl keine Unordnung vorhanden war. Hier spielten also die durch Unordnung hervorgerufenen lokalisierten Vielteilchen­zustände keine Rolle bei der Verhinderung der Energie­aufnahme durch das System. Das beobachtete zeitlich kristalline Verhalten von einer Million Spins, das sich nicht mehr berechnen lässt, ist also noch nicht gänzlich verstanden. Die robuste Schwingungs­frequenz der „Zeitkristalle“ und eine mögliche topologische Ordnung dieser Systeme, die ihre Zustände stabilisiert, lassen interessante Anwendungen erwarten.

Rainer Scharf

DE

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