Zeitlich kristalline Ordnung beobachtet
Gekoppelte Spins im oszillierenden Magnetfeld zeigen eigensinniges Verhalten.
Ein physikalisches System macht einen Phasenübergang, wenn eine seiner Symmetrien spontan gebrochen wird. Dabei geht es in einen Zustand über, der eine geringere Symmetrie hat. So ist in einem Kristall die räumliche Translationssymmetrie der Flüssigkeit gebrochen und in einem Ferromagneten die Rotationssymmetrie der unmagnetischen Phase oberhalb der Curie-
Abb.: Ein „Zeitkristall“ aus zehn Ionen, die geflippt werden (oben), miteinander wechselwirken wie Ising-
Bei der spontanen zeitlichen Symmetriebrechung sollte, analog zum räumlichen Fall, so etwas wie ein zeitlicher Kristall auftreten. Das wäre ein physikalisches System, das sich spontan zeitlich periodisch ändert, also von selbst mit einer bestimmten Frequenz zu pulsieren beginnt. Diese auf Frank Wilczek zurückgehende Idee lässt sich allerdings in ihrer ursprünglichen Form nicht realisieren, da Quantensysteme im Grundzustand oder im thermischen Gleichgewicht zeitunabhängige Observable haben und deshalb keinen „Zeitkristall“ bilden können.
Wird ein Quantensystem hingegen zeitlich periodisch getrieben, so besitzt es eine diskrete zeitliche Translationssymmetrie (Invarianz gegen Verschiebung um die Antriebsperiode), die spontan gebrochen werden kann. Dabei pulsiert das System z. B. mit der halben Antriebsfrequenz. Im analogen räumlichen Fall würden in einem Kristall bestimmte Atome, denen jeweils zwei verschiedene Typen von Gitterplätzen zur Auswahl stünden, sich übereinstimmend für denselben Typ entscheiden.
Der Zeitkristall sollte widerstandsfähig sein und sich nicht bei der kleinsten Störung auflösen. Die Brechung der diskreten zeitlichen Symmetrie sollte also robust sein gegen geringfügige Parameteränderungen wie die der Stärke und der Frequenz der treibenden Kraft. Darüber hinaus muss sichergestellt sein, dass die Antriebskraft keine Energie in das System pumpt und es dadurch immer weiter aufheizt. Das kann man z. B. erreichen, indem man Unordnung in das System bringt, die zu einem Lokalisierungseffekt führt, durch den die Aufnahme und Verteilung von Energie verhindert wird.
Abb.: Phasendiagramm eines „Zeitkristalls“ aus einer Million Spins von Stickstoff-
Jetzt haben die Teams von Chris Monroe an der University of Maryland und von Mikhail Lukin in Harvard einen solchen Zeitkristall realisiert. Monroe und seine Mitarbeiter haben eine Idee von Norman Y. Yao und Kollegen aufgegriffen. Dazu haben sie eine Kette von maximal 14 Ytterbium-171-
Die starke Kopplung zwischen den Spins sorgte dafür, dass die Ionenkette sich „eigensinnig“ verhielt: Die Spins kehrten nicht nach zwei Laserpulsen in ihre Ausgangsrichtung zurück sondern erst nach vier Pulsen. Die zeitliche Translationssymmetrie war gebrochen. Außerdem war diese Symmetriebrechung robust, da sie auch dann noch auftrat, wenn die Spinflips deutlich von 180 Grad abwichen. Die Forscher stellten ein experimentell gewonnenes Phasendiagramm auf, das den Übergang zwischen dem Zeitkristall und dem Zustand mit ungebrochener Symmetrie zeigte und hervorragend mit Berechnungen übereinstimmte.
Mikhail Lukin und seine Kollegen haben untersucht, wie sich die Spins von etwa einer Million Stickstoff-
Auch hier erwies sich die Symmetriebrechung als robust gegen Abweichungen des Spinflips vom Winkel 180 Grad. Interessanterweise heizte sich das Spinsystem nicht durch die Spinflips auf, obwohl keine Unordnung vorhanden war. Hier spielten also die durch Unordnung hervorgerufenen lokalisierten Vielteilchenzustände keine Rolle bei der Verhinderung der Energieaufnahme durch das System. Das beobachtete zeitlich kristalline Verhalten von einer Million Spins, das sich nicht mehr berechnen lässt, ist also noch nicht gänzlich verstanden. Die robuste Schwingungsfrequenz der „Zeitkristalle“ und eine mögliche topologische Ordnung dieser Systeme, die ihre Zustände stabilisiert, lassen interessante Anwendungen erwarten.
Rainer Scharf
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