13.08.2020

Zuckerbrot und Nulldiät

Die Überlebensstrategie von Bakterien beruht auf komplexem Wechselspiel von Wachstum und Energiesparen.

Bakterien sind Überlebenskünstler: Wenn sie Nahrung bekommen, vermehren sie sich rasant, doch sie können auch Hunger­phasen überdauern. Allzu schnelles Wachstum reduziert jedoch ihre Überlebens­fähigkeit, das zeigen Untersuchungen eines Forschungs­teams der Technischen Universität München (TUM) an Koli­bakterien. Die Ergebnisse könnten dabei helfen, die Wirksamkeit von Antibiotika zu steigern. 
 

Abb.: Bakterien­kultur zur Bestimmung von Wachstums­raten (Bild: A....
Abb.: Bakterien­kultur zur Bestimmung von Wachstums­raten (Bild: A. Hedder­gott / TUM)

„Die Fitness von Bakterien ist komplexer als gedacht“, erklärt Ulrich Gerland, Professor für Theorie komplexer Biosysteme an der TU München. Der Physiker untersucht seit mehreren Jahren die Überlebens­strategien von Kolibakterien. Die Einzeller mit dem lateinischen Namen Escherichia coli, die im Dickdarm von Säugetieren die Verdauung unterstützen, sind ein beliebter Modell-Organismus. Mit ihrer Hilfe lässt sich untersuchen, wie es Lebewesen gelingt, sich an wechselnde Umwelt­bedingungen anzupassen. 

„Bisher wusste man, dass die biologische Fitness von zwei Dingen anhängt: der Wachstums­rate, wenn Nahrung zur Verfügung steht, sowie der Überlebens­fähigkeit in Zeiten von Nährstoff­mangel“, erläutert der Wissenschaftler. „Ungeklärt war jedoch, wie diese beiden Faktoren zusammen­hängen.“ Zusammen mit seinem Team hat Gerland nun erstmals systematisch untersucht, inwieweit schnelles oder langsames Wachstum die Überlebens­fähigkeit von Kolibakterien beeinflusst: „Dabei hat sich gezeigt, dass Veränderungen der Wachstums­bedingungen direkte Auswirkungen haben auf die Sterberaten. Diese folgen einem einfachen Gesetz: Die am besten ernährten und am schnellsten wachsenden Bakterien sterben auch als erste, wenn man ihnen die Nahrung entzieht.“

Üppige Ernährung ist also schlecht für die Fitness von Bakterien. Doch warum? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, führten die Forscher verschiedene Experimente durch: Zunächst wurden Kulturen von Kolibakterien mit unterschiedlich gehaltvollen Nähr­lösungen versorgt. Im zweiten Schritt setzte man die Einzeller auf Nulldiät. Während der gesamten Zeit untersuchten die Wissenschaftler, ob und wie schnell sich die Zellen vermehrten beziehungs­weise wie lange sie überlebten.

Die Untersuchungen zeigten, dass die Bakterien, unabhängig davon wie gut oder schlecht sie zuvor ernährt wurden, ihre Reproduktion stoppen, wenn ihnen die Nahrung entzogen wird. Der Organismus kämpft in dieser Erhaltungs­phase ums nackte Überleben: Alle verfügbaren Energie­quellen – beispielsweise auch die Zellreste bereits abgestorbener Artgenossen – werden genutzt, um den Stoff­wechsel aufrecht zu erhalten. 

In dieser Extremsituation sterben binnen weniger Tage viele Zellen den Hungertod. Besonders hoch ist die Sterberate aber unter den schnell gewachsenen Koli­bakterien. „Sie sind auf schnelles Wachstum eingestellt und gehen verschwenderisch mit den Energie-Ressourcen um. Das wird ihnen während der Hunger­phase zum Verhängnis“, erläutert Gerland. 

Tatsächlich haben die zuvor reichlich genährten Bakterien auch einen erhöhten Energie­bedarf, das beweisen weitere Experimente. Und wer viel Energie benötigt, der kann Hunger­zeiten schlechter überdauern. „Wir verstehen jetzt, warum die Evolution nicht die schnellstmögliche Reproduktion bevorzugt“, sagt Gerland. „Die biologische Fitness, die für den Fortbestand einer Art entscheidend ist, basiert auf der Balance zwischen Wachstum und Überlebens­fähigkeit.“

Die Forschungsergebnisse lassen sich möglicherweise in Zukunft dazu nutzen, um beispielsweise die Wirkung von Antibiotika zu verbessern: „Man könnte nach dem Zuckerbrot-und-Peitsche-Prinzip beispielsweise Darm­bakterien durch Verzehr einer Süßspeise zum Wachstum anregen. Das würde sie schwächen, wenn man dann ein Antibiotikum gegen eine Darm­infektion einnimmt“, erklärt Gerland. Für konkrete Empfehlungen sei es aber noch zu früh. Hier seien weitere Forschungen nötig.

TUM / DE
 

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